Liebe Sandra_0810,
Es ist gut, dass Du Dich hier angemeldet hast und bei Betroffenen nach ihren Erfahrungen fragst.
Die Aussage der Neurochirurgen, dass Deine OP weniger als ein Routineeingriff gewesen sei, beziehen sie auf Operationen am Gehirn. Üblich sind viele Stunden dauernde Operationen an diesem Organ, dass unsere Körperfunktionen, unser Denken, Fühlen, unsere Intelligenz, also unser gesamtes Leben steuert.
Sie meinten damit nicht, dass es für sie und für Dich eine "OP im Vorbeigehen" gewesen wäre, nach der man rasch mal wieder arbeiten gehen kann, nachdem man zu Hause die Kinder, den Haushalt und den Alltag erledigt hat.
Allerdings muss man auch sagen, dass es wenige Neurochirurgen gibt, die der Meinung sind: "OP erfolgreich - Patient fit", aber die meisten sehen den Patienten in seiner Gesamtheit.
Du schreibst, Du durftest 5 Tage nach der OP "sogar nach Hause ...", worüber Du froh warst.
Das ist eine ganz normale Aufenthaltsdauer nach einer Hirntumor-OP. Diese Kürze der Zeit hat mit finanziellen Problemen zu tun (Es gab für Dich keinen Pflegeaufwand mehr), aber vor allem auch mit der Infektionsgefahr in einem Krankenhaus. Du bist am Gehirn operiert worden. Dabei werden viele Vorsorgen getroffen, um während der OP möglichst gar keine Keime in das Gehirn zu lassen, weil das tödlich sein könnte. Während die Wunden außen und innen (!) verheilen, besteht diese Infektionsgefahr im Krankenhaus weiter und sie ist dort höher als zu Hause, insbesondere in Corona-Zeiten. Diese Aufenthaltsdauer von 5 postoperativen Tagen hat überhaupt nichts damit zu tun, dass Du wieder gesund oder auch nur halbwegs fit für den Alltag, für die Familie, und erst recht für Deine Arbeit bist.
Selbst nach Blinddarm-OPs, die im Ärztejargon mitunter als "Das macht der Pförtner." bezeichnet werden, bleibt man 6 Wochen oder länger zu Hause, je nach beruflicher Belastung.
Es ist wirklich überhaupt kein Wunder, dass Du Kopfschmerzen bekommst und die geringe Belastbarkeit spürst, wenn Du zu schnell wieder in das normale Leben zurück willst. Es ist nicht so, dass die OP vorbei ist und Du bist wieder voll einsatzfähig. Es mag mit irgendwelchen Hilfen nach Deinem Bänderriss möglich gewesen sein, arbeiten zu "gehen". Aber das Gehirn hat ein Unmenge mehr Aufgaben zu erfüllen als ein gerissenes Band. Es beschwert sich, wenn man ihm zu viel zumutet. Und zuviel haben ihm die Ärzte mit ihrem gesamten OP-Team bereits zugemutet. Mit der Operation haben sie stundenlang Dein Gehirn kräftig geärgert und es konnte sich nicht wehren. Es hat sich danach gewehrt, indem es mit Kopfschmerzen reagiert hat, indem es Dich daran gehindert hat, schnell mal aus dem Bett zu springen, indem es Dich zu sehr langsamem Gehen zwang, indem es Dich zu Hause nicht schlafen ließ, indem es Dir Deine geringe Belastbarkeit mit Müdigkeit klarmachte, indem es Deine Konzentrationsfähigkeit einschränkte, damit Du Dich bitte nicht auf irgendetwas Wichtiges oder weniger Wichtiges konzentrierst ...
Natürlich ist Mama Mama. Aber Mama hat auch ein Gehirn, das gerade nicht so funktioniert, wie es vor der OP funktioniert hat und das kann noch sehr lange dauern, bis es das wieder tut.
Du bist kein geduldiger Mensch. Wer ist das schon? Die meisten hier kannten das Wort "Geduld" vor ihrer Hirn-OP nicht und danach auch erstmal nicht und dann wurden sie wie Du von ihrem Gehirn gebremst und wollten es nicht merken und dann mussten sie es merken und dann lernten sie G-e-d-u-l-d.
Ich bin 1995 aus dem vollen Familien-, Drei-Kinder-Alleinerziehungs-, beruflichen Alltag in diese Situation hineingeraten, aber ich hatte das Glück, dass ich nach dem ersten Schock "Hirntumor" vom Neurochirurgen gleich auch den zweiten Schock erhielt: "Sie bleiben ein halbes Jahr zu Hause, früher schaffen es die wenigsten. Und dann arbeiten Sie sich langsam schrittweise wieder ein, erst recht in Ihrem Beruf als Lehrerin." Das war richtig. Ich war nach der OP (Damals blieb man zwei Wochen in der Klinik.) noch zwei Wochen zu Hause, danach 4 Wochen in der Rehaklinik (obwohl ich wie Du keine Ausfälle hatte) und nach insgesamt 6 Monaten arbeitete ich mich 6 Monate lang schrittweise wieder ein. Ich habe nach etwa 2 Jahren rückblickend gemerkt, dass mein Gehirn erst zu dieser Zeit alles wieder so konnte wie ich es gewohnt war. Und das ohne jegliche Kompliaktionen oder Ausfälle.
Aber - und auch das ist völlig anders als bei einem Bänderriss, einer Erkältung oder einer Blinddarm-OP - die Psyche wurde auch in Mitleidenschaft gezogen. Das ist ein generelles Problem bei Krebserkrankungen und wird auf die Todesangst, die sozialen Folgen, die Sorgen um die Familie, die Veränderung der Lebenssituation zurückgeführt. Aber eine OP am Gehirn ist diesbezüglich eine ganz andere Dimension, weil es eben das Gehirn ist. Zusätzlich kann hinzukommen, dass durch eine bestimmte Lage des Tumors im Bereich der Persönlichkeitsstruktur Wesensänderungen entstehen, die man selbst vielleicht nicht so sehr bemerkt, falls sie nicht extrem sind. Aber sie wirken auf einen Betroffenen im Unterbewusstsein, das sich irgendwann an die Oberfläche drängt und einen kräftig stoppen kann. Das muss nicht sein, aber auch diese Gefahr der psychischen Be- und Überlastung durch sich selbst ist vorhanden.
Dadurch, dass Du Dir sagst, "Mama ist Mama" und "Ich muss doch funktionieren" und "Ich habe echt Skrupel, nochmal nach einer Krankmeldung zu fragen", setzt Du Dich selbst psychisch zu sehr unter Druck.
Geh zu Deiner Hausärztin, die Dich kennen sollte oder Dich nun besser kennenlernen wird. Rede mit ihr und sie wird Dir problemlos eine weitere Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Sie weiß, dass Du keinen Schnupfen, sondern eine Hirntumor-OP hattest. Erzähle ihr, was Du noch nicht wieder kannst und lass Dich beraten, lass Dich mit der AU-Bescheinigung bremsen und Dir zur Ruhe verhelfen, psychisch und körperlich.
Deine Familie hat Dir am Anfang geholfen, sie werden es weiterhin tun, wenn Du ihnen deutlich machst, dass Du es eben jetzt noch nicht kannst. Deine Kinder schaffen das und sie werden daran wachsen. (Das sage ich aus der Erfahrung mit meinen Kindern, die - bis heute - mehrere Meningeom-OPs bei ihrer Mama miterleben mussten und sehr soziale und vernünftig handelnde Eltern geworden sind.) Schone Dich und nicht Deine Familie, gib ihnen Aufgaben im Haushalt, sie werden sie erfüllen. Genieße aber auch die Zeit mit ihnen. Eure Familie wird sich zu einem guten Miteinander entwickeln, was für die Zukunft der Kinder sehr wertvoll ist. Nach und nach wirst Du wieder etwas mehr mitmachen.
Vor allem aber höre auf Dich, höre auf all das, was Dir Dein Körper und Dein Gehirn sagt. Mach Pause, wenn Du müde wirst. Leg Dich hin, bevor Dich Kopfschmerzen dazu zwingen, das darf auch mehrmals am Tag sein. Mach noch keine Haushaltsarbeit, das machen die anderen oder es bleibt auch mal etwas liegen, was warten kann. Vertraue auf die Fähigkeiten Deiner Familienmitglieder. Beginne moderat mit Aktivitäten und höre auf, sobald Du merkst, dass es zuviel wird. Auf diesem langsamen Weg kommst Du besser voran.
Erst wenn Du wirklich zu Hause im Alltag, mit den Kindern, mit der Familie alles wieder ohne Mittagsschlaf wieder so gut bewältigst, dass Du Dich extrem langweilst, dann ist die Zeit gekommen, dass Du an Deine Arbeit denken solltest.
Ich nehme an, dass irgendwer aus Deiner Arbeit den Grund für Deine Krankschreibung kennt und das wird verstanden werden. Da kannst Du ganz sicher sein, dass Dich keiner als "Simulanten" bezeichnen wird, im Gegenteil.
Es muss bei Dir nicht 6 Monate dauern, aber sprich mit Deiner Hausärztin und dann auch mit Deinem Arbeitgeber über die Möglichkeit der schrittweisen Wiedereingliederung, die etwa so lange dauern sollte wie Deine Krankschreibung. Sie steht Dir zu. Du bist dabei weiter Krankgeschrieben, hast also die Möglichkeit, jederzeit wieder aufzuhören oder die zuvor festgelegten Arbeitsstunden pro Tag noch nicht zu steigern oder auch zu verringern.
Nimm Dir Zeit, gib Deinem Gehirn die Chance zu heilen, nimm durch weitere Krankschreibungen den psychischen Druck aus Dir heraus.
Ich wünsche Dir einen langsamen und erfolgreichen Heilungsprozess
Alles Gute
KaSy