Liebe Maria,
oder newlady - aber dieser Name hat bei mir einen eher positiven Klang gegenüber Deiner Selbstdarstellung 6 Jahre nach Deiner OP.
Ich muss erst mal fragen:
- Wurdest Du ein- oder mehrmals operiert?
- Gab es weitere Therapien (Bestrahlung / Chemotherapie)?
- Du hattest doch regelmäßige MRT-Kontrollen und Gespräche darüber mit dem Neurochirurgen?
- Bist Du wegen Deiner OP-Folgen bei einem Facharzt (Neurologe, Psychotherapeut) in Behandlung?
Du hast geschrieben, dass Du zu den vielen gehörst, die solche Folgen aufweisen. Und das stimmt wohl auch, dass es viele gibt. Dabei musst Du aber beachten, dass Du ohne die OP jetzt womöglich bereits nicht mehr leben würdest, weil das Kavernom weiter ungehindert gewachsen und sich in Dein Hirn hinein gedrängelt hätte. Du hättest sonst was für Ausfälle haben können, bevor Du langsam aus dem Leben geschieden wärst.
Deine Frage, ob diese Folgen normal sind, kann ich nur so beantworten dass es nach einer OP am/im Kopf immer verschiedenste Möglichkeiten gibt, welche Folgen auftreten oder auch nicht. Das hängt von der Größe des operierten Tumors ab und vor allem von seiner Lage in welcher Hirnregion. Für einen gesunden Menschen ist Dein - ich nenne ihn mal - Gemütszustand nicht normal, kann aber vorkommen. Für einen HT-Operierten ist es eine mögliche Situation, die aber für die Ärzte nicht völlig vorhersehbar ist.
Denn außer den genannten organischen Ursachen gibt es noch psychische Auslöser, die in jeder Persönlichkeit anders sein können.
- Wie viel Lebenswillen hat die Person?
- Wie labil war sie von vornherein?
- Wie viel Aufwand betrieb/betreibt sie, um körperlich (!) und geistig nach und nach wieder fit zu werden?
- Erkennt sie ihre neuen Grenzen und wie geht sie damit um? Respektiert sie sie? Fordert sie von sich immer wieder zu viel über die Grenzen hinaus? Oder nimmt sie den Mittelweg, immer mal wieder die Grenzen ein wenig zu überschreiten, um sie einerseits zu bemerken und andererseits immer ein wenig weiter weg zu schieben. Und das körperlich und geistig/psychisch, denn beides bedingt einander.
Eine Psychotherapie könnte Dir beim Klarkommen mit Deiner vor 6 Jahren plötzlich und nun immer noch begrenzten Persönlichkeitsstruktur helfen. Auch mit Deiner Angst, die aus Deiner Frage spricht, welche Spätfolgen noch zu erwarten seien.
Wenn alle MRT seit der OP in Ordnung waren und Du aus der Nachsorge durch die Neurochirurgen entlassen werden konntest, dann sind keine weiteren Spätfolgen zu erwarten.
Du hast Dich bereits auf den Weg begeben, allein mit Deiner Persönlichkeit und einem anspruchsvollen Studium klarzukommen. Wie hast Du Dich nach der OP auf diesen Schritt vorbereitet?
- Hast Du in den 6 Jahren Hirnleistungstraining - in welcher Art auch immer - gemacht?
- Hast Du Dein Gedächtnis trainiert - mit Merkzetteln, Einkaufszetteln, Zeitungsartikelchen, später längeren Texten bis hin zu wissenschaftlichen Artikeln und Büchern, aber auch Vorträgen, ... ?
- Hast Du Dich auf das Leben in einer Großstadt vorbereitet, indem Du immer öfter in Menschenmengen gegangen bist, in Konzerte oder Vorträge (wo Du nicht einfach weg konntest), in volle Züge, auf Weihnachtsmärkte, ... ?
Ich finde es sehr gut, dass Du Dich auf den Weg gemacht hast, das Studium fortzusetzen, auch wenn Du noch viel vergisst. Du schreibst es mit - und schon hast Du eine zusätzliche Merk- und Lernhilfe, allein durch das aktive Aufschreiben. Das Vorlesungskonzept erhältst Du doch sicher auch? Ansonsten bitte die Professoren /Dozenten unter Angabe Deiner speziellen Gründe darum.
Zieh die Sache durch, so lange sie Dich nicht quält. Kein Mensch fordert von Dir ein schnelles Durchstudieren. Nimm Dir also auch Zeit für ein wenig Studentenleben. Einfach mal etwas ganz anderes tun - und bald werden wieder Kräfte frei für das weitere Lernen. Suche Dir Partner zu Lernen. Das, was Du als Frage in Worte fasst, muss durch Deinen Kopf noch einmal hindurch. Und wer Dir dabei hilft, lernt auch besser, indem er Dir mit seinen Worten das Thema anders erklärt.
Das einzige, was ich nicht verstehe und nicht gut finde, ist die Großstadt.
Du scheinst aus einem kleineren Ort zu kommen, ansonsten würdest Du das Wort Großstadt nicht so betonen. Es ist bereits für normal gesunde junge Menschen aus Dörfern oder kleineren Orten nicht einfach, mit dem Leben in einer Großstadt klarzukommen. Zu viel stürzt auf einen ein, die vielen Menschen, die komplizierten Verkehrsbedingungen, die so vielfältigen Möglichkeiten der Versorgung mit Lebensmitteln, die Kneipen-Restaurants-... ... , die unüberschaubaren Freizeitmöglichkeiten ... , das meist unerreichbare Zuhause mit der Familie und den Freunden, die das Heimat-, Sicherheits- und Ruhegefühl geben würden. Anrufe, SMS, usw. gleichen das nur wenig aus.
Ich will Dir nichts ausreden. Aber wenn Du irgendwann verzweifeln solltest, was sich vielleicht jetzt mit Deinem Beitrag hier bereits andeutet, dann würde ich an Deiner Stelle als erstes die Großstadt verlassen. Es muss keine Großstadt und keine große Universität sein, um Medizin zu studieren. Zum Beispiel gibt es in der relativ kleinen überschaubaren Stadt Greifswald eine der ältesten Unis Deutschlands mit einer hervorragenden Medizinischen Fakultät, wohin Du wechseln könntest. Es gibt sicher auch in anderen kleineren Städten solche Möglichkeiten, die Dich vom Großstadtleben entlasten und Dich im weniger großen Umfeld leichter Kontakte knüpfen lassen, zu Studenten, aber auch zu den Vorlesenden.
Wenn ich das richtig verstanden habe, arbeitest Du seit 2 Jahren und gleichzeitig (?) studierst Du seit September 2013 wieder? Ist das nicht etwas zu viel, bei dem, was Du an Schwierigkeiten aufzählst?
Ich hab Dich jetzt auch mit ziemlich viel "zugeschüttet" - wenn Du das überschaust, bist Du ziemlich gut.
Ich selbst bin übrigens, wie der Mann von gaby56, an einem Meningeom WHO I im Jahr 1995 operiert worden, dem vier weitere WHO III-Meningeome mit 4 OP und 2 Bestrahlungsserien folgten, letzte "Aktion" vor gut zwei Jahren. Seitdem darf ich nicht mehr arbeiten, habe aber auch bereits 31 Jahre Schüler unterrichtet. So wie Du habe ich Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, den Rechenfertigkeiten, Wortfindungsstörungen, bin nicht stressresistent (werde rasch unruhig, was sich auf den ganzen Körper auswirkt und gerate dann bei der kleinsten Unregelmäßigkeit ins Heulen), kann Menschenmengen (bereits ab 2-3 Personen) nicht lange ertragen, fahre deshalb lieber Auto und vermeide Züge. Orientierungsschwierigkeiten habe ich in fremden Gegenden lange, da helfen auch kaum Merkstationen, weil ich die sofort vergesse oder woandershin erinnere. Gleichgewichtsprobleme nerven mich auch.
Aber - ich habe bereits in den vielen Jahren, als ich gearbeitet habe, gelernt, damit zu leben. Und jetzt weiter. Ich gehe dreimal pro Woche zum Sport - für die körperliche Fitness und den Gleichgewichtssinn, aber auch die körperliche Koordination, die gleichzeitig auf die geistigen Gehirnfähigkeiten wirkt. Ich löse Kreuzworträtsel, viel mehr aber Sudokus, wo ich mich bemerkbar und bemerkenswert steigern konnte. Ich brauche sehr sehr lange für die normalen Dinge. Ich versuche, Ruhepausen einzulegen, was leider dazu führt, dass ich angefangene länger dauernde Arbeiten nicht fertigstelle, also liegenlasse und damit die Unordnung steigere bzw. immer wieder eine neue Unordnung erzeuge. Das gefällt mir nicht, aber ich habe das nicht im Griff. Es ist nur in der Wohnung so, außen ist alles schick, was es nicht besser macht. Wegen meiner immer wieder neu anderen Labilität "belästige" ich den Psychotherapeuten. Gegen die Antriebslosigkeit und das Heulen habe ich mich schweren Herzens auf Antidepressiva eingelassen, die ich seit 2008 nehme und die nicht immer akzeptabel wirken. Ich habe mir - wie Du - etwas Anspornendes und Bestätigendes gesucht und lese seit 1 Jahr (gut 1 Jahr nach der letzten OP+Bestrahlung) im Seniorenheim einmal wöchentlich vor etwa 7-15 Frauen vor, was ihnen und mir viel Freude bereitet und meine Belastbarkeit nach und nach etwas steigert. 2014 soll noch etwas dazukommen, eine Selbsthilfegruppe und wenig Nachhilfetätigkeit.
Es ist einfach gut, wenn man aus dem, was einem der Hirntumor und die Therapien gelassen haben, viel macht. Und Du musst Dich nicht an den Spitzenstudenten messen und ich mich nicht an meinem erfolgreichen und geliebten Lehrerleben.
Die Kopf-OP hat einen geänderten und deswegen nicht weniger wertvollen Menschen aus uns gemacht!
Ich habe mit komplizierten Kindern besser umgehen können und auch Du wirst etwas finden, was Du wegen dieser (bekloppten!) Erfahrung anders kannst als Deine Kommilitonen, z.B. einen sehr einfühlsamen Umgang mit Patienten vielleicht?
Ich wünsche Dir ein gutes weiteres Fortkommen in all Deinen Zielen, aber ohne Überlastung und mit der nötigen Geduld.
Möge es ein gutes Jahr 2014 für Dich, für uns alle werden!
Liebe Grüße
KaSy