Liebe Tinabella
Es geht um Eure gesamte Familie, in der jeder seinen Weg finden muss und ihn in dieser bereits langen Zeit so gut wie möglich geht, um mit dieser so falschen Situation klarzukommen.
Von außen gesehen ist jeder Weg verständlich. Die verschiedenen Wege sind individuell und jeder empfindet anders.
Für jeden von Euch ist es wichtig, den Weg zu finden, mit dem er Deinem Sohn und sich selbst gerecht werden kann.
Bei Deinem Sohn taucht sein fröhliches Wesen wieder auf, das Ihr ihm in seiner Kindheit gegeben habt. Die Ernsthaftigkeit des Erwachsenen verschwindet. Für ihn und für Euch ist es gut, dass es genau so (und nicht anders herum) ist.
Das empfindet auch sein Kind. Ich glaube, es fällt ihm ein wenig leichter, oft zu seinem Papa zu gehen, als wenn der Papa nur liegen und vielleicht sogar klagen würde.
Dein Mann, sein Vater, kann den Anblick nicht ertragen. Für ihn war sein Sohn sein Leben, in dem er sich weiterentwickelt sah. Er wollte ihm noch so viel geben, mit ihm gemeinsam Dinge erschaffen. Das, was mit ihm nicht mehr möglich ist, zerstört große langjährige Zukunftsträume. Das kann er nicht zulassen und deswegen stürzt er sich jetzt in einen (ihm später vielleicht mehr verständlichen) Aktionismus. Sobald er sich hinsetzen und die Hände in den Schoß legen würde, würde er daran zerbrechen. Und auch mit Dir und Deinen kummervollen Worten kann er nichts anfangen. Ich glaube, ihm ist das im tiefsten Inneren bewusst, aber es ist ihm nicht möglich, sich über diese - ich möchte sagen - "männlichen Ur-Instinkte" hinwegzusetzen, die jetzt über sein Leben in dieser verlorenen Lage bestimmen.
Du trauerst und weinst und das ist gut so für Dich. Es ist Dir nicht gegeben, jetzt zu bügeln, Blümchen zu pflanzen, Kuchen zu backen, Fenster zu putzen. Das ist alles falsch. Wie kann das Leben einfach so normal, normal?!?, weitergehen, wenn der Sohn im Sterben liegt. Alles ist jetzt falsch. Nichts, was Du anfängst, hat einen Sinn, wenn der Sohn nicht mehr der ist, der er war und der er werden sollte. Nicht einmal fröhliche Musik darf es sein, am besten gar keine. Ruhe, Stille, unter der Bettdecke weinen. Alles ist falsch, nichts hilft.
Du musst versuchen, aus dieser ausweglosen Situation herauszufinden. In Deiner Familie findest Du ein wenig Verstehen, aber das richtige Verständnis, das Du jetzt gerade brauchst, ist es nicht.
Hier im Forum kannst Du alles schreiben, das tut Dir gut und das ist für Dich der richtige Schritt, vielleicht wird ein Weg daraus.
Überlege, ob es außenstehende Personen gibt, denen Du alles, wirklich alles erzählen kannst, was Dich bewegt. Zuhören soll diese Person können. Das braucht Zeit und ist mit einem Mal nicht getan.
Vielleicht findest Du einen Psychologen, bei dem Du all Deinen Kummer abladen kannst. Das könnte Dir helfen, mit kleinen Schritten in ein Leben zurückzufinden.
Du kannst es Deinem Mann und der Frau Deines Sohnes sagen, vielleicht verstehen sie, dass Du das für Dich jetzt brauchst. Oder nicht.
Aber für Dich ist das Weinen dürfen und Reden können jetzt wichtig und richtig.
Du schreibst es selbst, wie sehr die Psyche bereits beginnt, Deinen Körper anzugreifen. Wer es nicht selbst so erlebt oder erlebt hat, kann das kaum nachvollziehen. Du weißt im Inneren, dass Du da raus musst.
Ein derzeit noch gar nicht reales Fernziel wäre eine psychosomatische Rehabilitation.
Das ist überhaupt noch nicht an der Tagesordnung, aber vielleicht eröffnet Dir das einen kleinen Lichtblick in der Ferne, ein Stückchen Optimismus,, um nicht zu tief im Kummer zu versinken.
Derzeit ist es Dein Sohn, dem Dein Herz gehört und immer gehören wird.
Bleib tapfer!
KaSy