Hallo Chiquita,
nein, mein Vater lebt nicht mehr, aber das war uns - wie vielen anderen Betroffenen auch sehr schnell klar: es war in der Nacht zu Ostersonntag 2003, als ich mitten in der Nacht einen Anruf meines Bruders bekam, der mir mitteilte, dass mein Vater im Krankenhaus sei. Verdacht auf Schlaganfall oder möglicherweise Hirntumor. Begonnen hat das alles damit, dass er am Nachmittag Schwierigkeiten beim Zeitunglesen bekommen hat: er konnte zwar Wörter und Buchstaben erkennen, aber der Sinn hat sich ihm nicht erschlossen. Ausserdem hatte er Sprachprobleme, hat Namen und Daten vertauscht, so sich z.B. nicht mehr an seinen Geburtstag erinnert. Dramatisch wurde das dann am Abend, als sich dieser Zustand immer weiter verschlechtert hat. Das Krankenhaus hier in Neustadt ist auf solche Diagnosen nicht eingerichtet, man hat die Bilder der CT dann nach Heidelberg weitergegeben, wo man auch die Diagnose "Hirntumor" gestellt hat. Tja, und noch nicht mal eine Woche später wurde er dann 7 Stunden lang von Prof. Dr. Unterberg und seinem Team operiert. Über die Art des Tumors hatte man bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Aussage getroffen, aber mein Bruder und ich hatten uns im Internet informiert und wir waren uns einig: Sollte es ein Glioblastom IV sein, so wußten wir, was uns bevorsteht - und genau darüber würden wir mit unseren Eltern nicht reden. Für sie sollte immer wichtig sein, noch Hoffnung zu haben. Wir hatten dann einen Tag nach der OP ein Gespräch mit einem der behandelnden Ärzte, das ich allerdings als sehr unbefriedigend empfand: Als Aussage war da zu hören "sie haben einen Hirntumor" (...was sonst
..) Kurz und gut, der Arzt liess sich alles aus der Nase ziehen (...was soll man medizinischen Laien denn schon erzählen....). Am Schluss wussten wir immerhin, dass es sich um ein Gliolastom IV mit Sitz im Sprachzentrum handelte..... Mein Vater selbst war nach dieser OP unglaublich fit, hatte keinerlei Beeinträchtigungen mehr und war fast wieder der Alte. Wir waren so unglaublich blauäugig, trotz unseres Hintergrundwissens. Danach folgten 6 Wochen Bestrahlung in Heidelberg und widerum 6 Wochen später eine Nachuntersuchung. Dort wurde meinem Vater dann eröffnet, dass auf der MRT nichts mehr zu sehen ist, der Tumor weg sei und man ihm alles Gute für sein restlichen Leben (....was für ein Sarkasmus) wünsche und doch in drei Monaten einfach mal zur Nachuntersuchung vorbeikommen solle. Für meine Eltern begann jetzt wieder ein neues Leben: sie schmiedeten Urlaubspläne, haben sehr viel zusammen unternommen, kurz und gut, sie genossen ihr Leben, soweit das möglich war. Dies nämlich, weil mein Vater sich umfassend im Internet informiert hatte und eigentlich genau wusste, was für einen üblen Gesellen er sich da eingefangen hatte - aber er wollte mit niemanden drüber reden, hat das einfach verdrängt. Aber vielleicht willl man das alles, wenn es einem wieder besser geht, auch einfach nicht wahrhaben. Mein Bruder und ich wir warteten aber jeden Tag darauf, dass die Krankheit wieder zuschlug. Und genau das war Ende November 2003 dann der Fall: die Sprachstörungen waren wieder da, auch die Ausfälle beim Lesen und Schreiben. Wir haben dann erneut einen Termin bei Prof. Unterberg in Heidelberg vereinbart, empfangen wurden wir dann aber lediglich von einem seiner Mitarbeiter, der sich als die rechte Hand seines Chefs ausgab (...ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, wie ich später recherchiert habe...). Der erklärte uns die Auswertung der CT-Aufnahmen, zeigte uns, dass an genau der gleichen Stelle ein Rezidiv ausgebildet hat und erklärte uns gleich (...entgegen anderen Aussagen seines Kollegen....), dass man dieses nicht mehr operieren könnte. Er schlug eine Therapie mit BCNU und pries dieses Medikament in höchsten Tönen. Der Herr Professor selbst war nicht mehr zu sprechen, ist ja auch einfach erklärt "er hat eine OP" und das, obwohl ein Termin vereinbart war.....Am nächsten Tag, ich sass hier an meinen Schreibtisch in Mannheim, bekam ich morgens um 11.00 Uhr einen Anruf dieses Arztes (...die Bestätigung, dass er auch tatsächlich diese Berufsbezeichnung tragen durfte, fehlt mir im übrigen bis heute....) Sehr verwundert darüber, wie er an meine Telefonnummer gekommen sei, erklärte er mir, er habe bei meinen Eltern angerufen und unter Vortäuschung einer falschen Tatsache meine Telefonnummer erfragt. Er kam auch recht schnell zum Grund seines Anrufes: "er hätte erst vermutet, dass ich vielleicht eine Kollegin sei, aber die Tatsache, dass ich in der Redaktion eines Fernsehsenders arbeite, erkläre ja auch vieles. Er würde gerne offen mit mir über meinen Vater und den Krankheitsverlauf reden", und bevor ich noch Einwände erheben konnte, erklärte er mir dann im leichten Plauderton, "dass mein Vater wohl noch eine maximale Lebenserwartung von 3 - 5 Monaten hätte, dass das Ende wohl ziemlich bitter werden würde und man halt einfach gar nichts mehr machen könne. Wir sollten uns auch keine Hoffnung in Bezug auf die Chemotherapie machen, das würde lediglich die Lebenszeit verlängern, wobei man von Lebensqualität dann ja nicht mehr reden könne. Fazit: wir sollten uns schon mal Gedanken über einen Pflegedienst und ein Hospiz machen, damit wir dann am Ende nicht überfordert wären. Er jedenfalls würde uns jederzeit immer zur Verfügung stehen, ich könnte mich Tag und Nacht an ihn wenden".... (...hallo, in welche Richtung geht das denn gerade ?!?!....) Ich habe das Gespräch dann auch recht schnell unterbunden, da es für mich weder der geeignet Ort noch der geeignet Zeitpunkt war, um derart sensible Themen zu besprechen. Man stellt sich sowas mal vor: solche Informationen an direkte Angehörige per Telefonat zu übermitteln, mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass ich mich am Arbeitsplatz befand und das wohl überhaupt nicht der richtige Rahmen für ein solches Gespräch ist. Ich habe mich dann auch schriftlich an Herrn Prof. Dr. Unterberg gewandt und um Stellungnahme gebeten, aber die Resonanz war gleich Null. Interessant nur, dass aus dem damaligen Ärztestab (..ausser dem Professor (!!) natürlich) mittlerweile niemand mehr an der Klinik ist.....
Egal, wir haben dann die BCNU-Therapie begonnen, die sich am Anfang auch recht erfolgversprechend angelassen hat, aber Anfang Mai 2004 wurde der Zustand meines Vaters dann deutlich schlechter. In einem Gespräch mit Prof. Dr. Unterberg äußerte sich dieser dann ziemlich herablassend darüber, dass man in HD nicht mehr anbieten könne, als den BCNU-Zyklus fortzusetzen. Schade, von einer solchen "Koryphäe" hätte ich mir wirklich mehr erwartet....
Wir sind dann im Juli 2004 bei Prof. Weber in Saarbrücken gelandet. Und da muss ich sagen, dort haben wir uns trotz aller Dramatik immer sehr gut aufgehoben gefühlt. Dr. Weber hat auch von Anfang an nichts beschönigt und uns immer absolut korrekt informiert, auch wenn´s manchmal schon sehr bitter war. Es war die Art und Weise, die auch für meinen Vater als Patienten sehr offen und würdig war. Für den Glia-Site-Eingriff war es schon zu spät, er hat immerhin das Rezidiv operiert und meinem Vater dann auch eine Reha-Maßnahme in Bad Bergzabern empfohlen. Da hatten wir ja immer noch Hoffnung, aber die Situation hat schnell gezeigt, dass Reha-Maßnahmen nicht mehr angezeigt waren. Mitte September kam mein Vater dann wieder nach Hause, sass im Rollstuhl, hat von Tag zu Tag weniger geredet, auch weniger wahrgenommen, ganz einfach, weil es einfach nicht mehr ging und war dann am Schluss ein kompletter Pflegefall. Als er am 4. Oktober 2004 für immer die Augen geschlossen hat, war dieser Horror zu Ende - für ihn und für uns. Was mich während dieses Krankheitsverlaufs aber immer sehr erschüttert hat: wie sehr dieser Tumor das Wesen meines Vaters - nicht nur in physischer, sondern auch in psychsischer Hinsicht, verändert hat: er hat aus einem gutaussehenden, intelligenten, sehr sportlichen und selbstbewußten Menschen ein hilfloses, stammelndes Wrack gemacht, das am Ende seines Lebens auf die notwendigsten Funktionen reduziert war. Das tut mir heute noch in der Seele weh.
Ganz tragisch nur, dass meine Mutter diese 18 Monate Leidenszeit offenbar viel schlechter verkraftet hat als wir Kinder: Sie ist Ende des letzten Jahres an einem Pankreaskarzinom erkrankt und vor 4 Wochen verstorben ist. Das Leben ist manchmal so gemein...
Dennoch, uns das an alle, die das hier lesen: macht Euch immer bewußt, dass das Leben weitergeht und so blöde dieser Spruch auch ist: Zeit heilt Wunden. (...und die nächste Katastrophe kommt bestimmt...)
Kopf hoch, Sabine