Die Welt, 10. April 2002 Berlin - Von Oliver Löfken
Neuer Ansatz zur Krebstherapie. Gebündelte Ultraschallwellen arbeiten auf einen Millimeter genau
Boston - Gebündelte Ultraschallwellen zerschmettern bereits sehr effektiv Nieren- und Gallensteine. Nun verfeinerten amerikanische Forscher diese Technik so gut, dass sie hoffen, damit schon bald gefährliche Tumoren im menschlichen Hirn ohne jeden chirurgischen Eingriff zerstören zu können. Durch eine exakte Dosierung der Schallwellen soll dabei eine zellschädigende Aufheizung des gesunden Gewebes verhindert werden, berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Physics in Medicine and Biology".
"Wir glauben, dass unsere Fokussier-Methode die ersten klinischen Ansätze für eine nicht-invasive Schädeloperation liefert", sagt Greg Clement von der Harvard Medical School in Boston. In Experimenten füllten sie zehn menschliche Schädelmodelle mit Wasser, um die fehlende Hirnmasse zu simulieren. Sie setzten insgesamt 320 kleine Ultraschallsender von außen an den Kopf.
Kombiniert mit hochauflösenden Computertomographie-Aufnahmen konnten die Forscher schließlich die Schallwellen auf einen Zielbereich von nur einem Millimeter Größe fokussieren. Durch die regelmäßige Verteilung und geringen Intensitäten der einzelnen Schallsender konnten sie eine schädliche Aufheizung der Umgebung um die Zielregion verhindern.
Mit Mikrofonen innerhalb des Schädels kontrollierten die Wissenschaftler die Verteilung der Schallwellen. Damit sich die Energie der Schallwellen nur im gewünschten Zielbereich auswirkt, berücksichtigen sie die Phasen der sich ausbreitenden Schallwellen. Über Interferenzen heben sich die Wellen im gesunden Gewebe auf und sollen sich am Tumor so sehr verstärken, dass dieser zerstört werden kann.
Vor einer klinischen Anwendung an Tumorpatienten stehen zwar noch viele weitere Untersuchungen. Doch das Team um Clement zeigt sich zufrieden mit den ersten Ergebnissen. In weiteren Versuchen soll nun das Reflexionsverhalten der Schallwellen im Hirn und an dem Schädelknochen besser berücksichtigt werden.
Hirntumoren gehören zu den seltenen Krebserkrankungen. In den westlichen Industrienationen erkrankt etwa einer von 10 000 Einwohnern. Bislang wurden keine Risikofaktoren festgestellt, die die Erkrankung begünstigen. Weder Rauchen oder übermäßiger Alkoholkonsum, noch Umwelteinflüsse, Stress oder erbliche Veranlagung konnten mit der Entstehung eines Hirntumors in Verbindung gebracht werden. Die Erkrankung bleibt den Betroffenen meist lange Zeit verborgen, da der Tumor zunächst keine Beschwerden verursacht.
Insgesamt sind rund 100 verschiedene Arten von Hirntumoren bekannt. Besonders aggressiv ist das Glioblastom. Unbehandelt führt dieser Hirntumor innerhalb von drei bis sechs Monaten zum Tod. Mit Therapie überleben rund 20 Prozent der Patienten 18 Monate. Die Operation ist die wichtigste Behandlungsform bei Tumoren im Gehirn. Doch gerade in Hirnregionen, in denen wichtige Funktionen auf sehr engem Raum konzentriert sind, ist es oft schwierig, das bösartige Gewebe vollständig zu entfernen. Auch der Einsatz einer Strahlentherapie muss räumlich eng begrenzt sein, um gesundes Gewebe nicht zu schädigen.