Ich bin seit Monaten stummer Gast in diesem Forum. Ich habe viele Schicksale mit großer Anteilnahme verfolgt, oft habe ich hier Rat gefunden. Danke.
Deshalb möchte ich heute meine Geschichte erzählen.
Sie beginnt Ende 2004. Meine bisdahin immer gesunde Mama merkt, dass es ihr nicht so gut geht. Bluthochdruck, fehlende Kraft. Zuerst wurde das ‚Burn-out-Syndrom; festgestellt, denn trotz ihrer über 60J. war sie noch immer voll am Arbeiten ( über 12Std.Tag).Als neurologische Ausfallerscheinungen hinzukamen, kam sie ins Krankenhaus und nach dem MRT schätzen die Ärzte: Glioblastom Grad IV.
Zuerst nur ein Wort. In den nächsten Monaten lernten wir es jedoch fürchten.
Auf Mamas Wunsch hin, wurde sie bereits am nächsten Tag operiert. Sie erholte sich gut und konnte bereits nach 9 Tagen entlassen werden! An dieser Stelle ein großer Dank an einen tollen Neurochirurg, der nicht nur sein Handwerk versteht sondern uns in dieser schlimmen Stunde vorallem als Mensch begegnet ist. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man sich ja nie mit dem Thema Hirntumor auseinander gesetzt. Danke, für die gute fachliche Aufklärung und dies mit menschlicher Nähe!
Nach dem Krankenhaus folgte die übliche Behandlung mit Bestrahlung und Temodal. Die Chemo hat sie immer gut vertragen. Die Bestrahlung haben sie nach einigen Anwendungen schon geschwächt, aber auch davon erholte sie sich körperlich gut.
Doch zu keinem Zeitpunkt konnte Mama ihre Krankheit akzeptieren. Über ihren Krebs wollte sie nicht sprechen. Sie wusste immer das sie die schwerste Form erwischt hatte. Sie kannte aber nicht die Prognose der Krankenhausärzte:"Ein paar Wochen, vielleicht ein paar Monate noch. Der Tumor war sehr groß.". Ihr ganzes Denken beschränkte sich auf ihr eingeschränktes Sichtfeld, das Einzige was durch die OP eingeschränkt wurde.Sie konnte lesen, nur alles halt nur noch mit Mühen.
Oft haben wir versucht ihre Augen für das Wesentliche zu öffnen: DU lebst! DU bist bei uns! Du bist kein Pflegefall! Genieße deine Zeit!.Doch weder wir noch eine speziell auf krebserkrankte spezialisierte Psychologin noch ihre Heilpraktikerin kamen an sie ran. Leider. Und doch auf der anderen Seite so verständlich: Ihr ganzes bisheriges Leben wurde ihr genommen.
Ich kenne die hier oft beschrieben Angst vor dem nächsten MRT. In 08/05 wurde ein kleines Rezidiv festgestellt. Trotz der schlimmen Prognose war es ein Schock. Das Rezidiv war zu klein für eine OP. Die Bestrahlungen waren schon seit Monaten abgeschlossen und Temodal nahm sie im üblichen Zyklus. Wir haben zu diesem Zeitpunkt mit der Hyperthermie angefangen. Leider werden die Kosten von den ges. Krankenkassen nicht getragen. Aber sie hat keine Nebenwirkungen und Mama hat sie gut vertragen. Was hatten wir zu verlieren?!
Wie gesagt, körperlich ging es ihr gut. Wir haben somit versucht sie mit Ausflügen und Urlauben (Holland, Norderney) abzulenken.
Noch in 02/06 ging es Mama gut. So bin ich mit meinen Eltern nach Mallorca –Mamas Lieblingsinsel- geflogen.
Mama bekam schlimme Rückenschmerzen und bei einem MRT Ende 03/2006 wurde festgestellt, dass sie gebrochene Wirbel hatte. Es folgten 2 Ops. Anfang 04/06 wurde Mama wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Doch die Schmerzen blieben. Deshalb wurde Mama wieder in ein Krankenhaus eingewiesen, um die Schmerzmittel richtig einzustellen. So dachten wir... Mama ging es täglich schlechter und nach ein paar Tagen sagten uns die Ärzte, dass der Tumor wieder wachsen würde. Aufgrund der Rückenschmerzen konnte kein neues MRT gemacht werden. Doch Mamas Zustand wurde immer schlechter. Sie konnte kaum noch sprechen und laufen. Aber sie wollte nach Hause!! Nach den 2 Wochen ging es ihr plötzlich wieder besser! Wir haben sie nach Hause geholt! Wir hatten Angst davor, doch sie hat es sich so sehr gewünscht. Ca. 2 Wochen dauerte ihr ‚guter’ Zustand an, dann wurde es wieder rapide schlechter.
Ich habe hier oft Berichte über die letzten Tage und Wochen gelesen. Vieles läuft gleich ab... Zum Schluss konnte Mama nicht mehr sprechen, war bettlägerig und konnte noch nicht einmal mehr schlucken. Aber sie war zu Hause! Ich bin überzeugt, dass sie oft noch mitbekommen hat was um sie herum passiert. In diesen Tagen hab ich oft an ihrem Bett gesessen und ihr viele Geschichten erzählt: was wir zusammen erlebt haben, was ich denke, fühle, was sie mir einfach bedeutet. Doch man ist so hilflos. Einen geliebten Menschen so leiden sehen zu müssen! Man kann nur hoffen, dass die verabreichten Schmerzmittel auch wirklich helfen. Das Kind möchte die Mama nicht gehen lassen, aber das war kein Leben mehr.
Anfang Juni 2006 durfte meine Mama in den Armen meiner Schwester für immer einschlafen.
Wir haben uns Zeit genommen um uns von ihr zu verabschieden. Zuerst waren mein Vater und wir drei ‚Kinder’ bei ihr. Sie sah so friedlich aus. Der Tod war eine Erlösung. Ich habe immer gedacht, dass ich nicht mit einer Leiche umgehen könnte. Aber das nicht einfach eine Leiche. Es war MEINE Mama, die friedlich eingeschlafen war. Die Qualen der letzten Wochen aus ihrem Gesicht waren verschwunden. Wir haben geweint, über sie geredet. Nach ca. 2 Stunden kamen Mamas Schwestern mit ihren Männern hinzu. Mama hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihren 4 Schwestern. Am Nachmittag kamen auch Papas 4 Geschwister mit Anhang. So war das Schlafzimmer meiner Eltern richtig voll. Vorher hätte ich nicht gedacht, dass ich das in einer solchen Situation gut finden würde. Aber es war ein sehr persönlicher, sehr würdiger Abschied. Zum Schluss kam noch der Vikar und hat mit uns allen zusammen gebetet. Meine Familie ist religiös und meiner Mama wäre es wichtig gewesen. Erst ca. 7 Std. nach ihrem Tod haben wir sie vom Bestattungsunternehmen abholen lassen. Es schrecklicher Augenblick.
Ich musste bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen mir nah stehenden Menschen beerdigen. Da unsere Familie wiegesagt groß ist und Mama aufgrund ihres Berufes bekannt war, waren bei der Beerdigung ca. 300 Menschen. Der Augenblick als der Sarg herunter gelassen wurde, war schrecklich. Doch auch in diesem Moment war es schön nicht allein zu sein.
Dies ist nun gut 3 Monate her. Der Alltag hat einen wieder. Doch meine Mama wird immer meine Mama bleiben. Es vergeht kein Tag an dem ich nicht an sie denke bzw. mit ihr ‚spreche’.
Mamas Krankheit hat mir gezeigt wie schnell sich alles ändern kann. Ohne Vorwarnung.
Wichtig sind die Menschen. In der letzten Zeit wurde in diesem Forum oft über Ärzte gesprochen. Den Neurochirurg hab ich schon lobend erwähnt. Einen großen Dank geht an den Hausarzt meiner Eltern, denn ohne seine Hilfe hätte Mama nicht zu Hause sterben können. Er kam täglich 2x vorbei und das auch am Wochenende und er hatte KEINEN Dienst!
Unbezahlbar ist in solchen Situationen der familiäre Zusammenhalt. Meine Eltern waren fast 40 Jahre verheiratet. Auch für meinen Vater war es nicht einfach seine bisdahin so starke Frau auf einmal so zu erleben. Aber er hat z.B. jede Nacht bei ihr im Krankenhaus geschlafen. Zum Schluss hat er nachts selbst ihre Atemaussetzer mitgezählt. Wir Kinder waren täglich bei ihr und haben jede freie Minute bei unserer Mutter verbracht, obwohl wir selbst alle schon verheiratet sind und unsere eigenen Familien und Berufe haben. Ein Akt am Rande der eigenen Grenzen. Doch gerade die letzten Wochen hätten wir nicht ohne unsere Tanten und Onkels geschafft. Blut ist doch dicker als Wasser. Eine von Mamas Schwestern ist Ordensschwester. Sie wurde in dieser Zeit für uns alle ein ganz wichtiger Bezugspunkt. Einfach: DANKE EUCH ALLEN!
Carpe diem!!!!