Ich vermute, die Debatte dreht sich um diesen Artikel im Ärzteblatt, auch wenn er bisher noch gar nicht "offiziell" auftauchte.Meine Meinung dazu: Wenn meine Frau und ich den Wunsch hätten, mehrere Kinder zu bekommen, dann könnten mich diese Untersuchungen nicht beirren. Wenn ein bestimmter Tumor z.B. eine Wahrscheinlichkeit von 5 : 100 000 hat, und dann die Wahrscheinlichkeit bei Mehrkinderfamilien aufs Doppelte steigen soll, liebe Güte, die Wahrscheinlichkeit überfahren zu werden oder als Kind in einen Bach zu fallen dürfte ähnlich groß sein. Und wenn jemand schon mehrere Kinder hat oder selbst aus einer Mehrkinderfamilie stammt, dann hilft untenstehende "Erkenntnis" auch nicht mehr weiter.aerzteblatt.de 12. Dezember 2006
http://www.aerzteblatt.de/v4/news/newsdruck.asp?id=26757Hirntumoren in kinderreichen Familien häufiger – Hinweis auf infektiöse GeneseHeidelberg - Die Zahl der Geschwister, vor allem der jüngeren, erhöht bei Kindern das Risiko an einem Hirntumor zu erkranken. Dies zeigt eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Neurology (2006; 67: 1979-1983). Sie dürfte die Suche nach möglichen infektiösen Ursachen dieser Tumore aufleben lassen.
Die Zahl der Kinder in einer Familie gilt bei Epidemiologen als indirekter Marker für Infektionen im Kindesalter, denn Kinder sind im allgemeinen ein wichtiger Vektor für Infektionen, nicht nur für Kinderkrankheiten und Grippeviren, sondern möglicherweise für alle bekannten und unbekannten Erreger. Zu den letzteren gehört das JC-Virus, benannt nach den Initialen des Patienten, bei dem es zum ersten Mal nachgewiesen wurde.
Das JC-Virus gehört zu den Polyomaviren und befällt unter anderem Hirnzellen. Etwa 80 Prozent aller Menschen haben Antikörper gegen das JC-Virus im Blut. Man nimmt an, dass die Infektion während der Kindheit erfolgt. Es ist aber keine Kinderkrankheit, da die Infizierten nie oder besser sehr selten erkranken. Dann kommt es zu einer schweren Hirnerkrankung, der progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML). Sie kann bei einer schweren Immunschwäche, etwa bei Aids oder nach der Therapie mit einem potenten Immunsuppressivum auftreten, oder nach der Behandlung mit Natalizumab, einem neuen Wirkstoff zur Behandlung der multiplen Sklerose.
Bei Kindern könnten JC-Viren auch karzinogen sein. Diese Vermutung gründete sich lange auf Tiermodelle, in denen JC-Viren Medulloblastome induzieren. Kürzlich konnten Forscher in einer viel beachteten Studie bei allen untersuchten Medulloblastomen Bestandteile des JC-Virus nachweisen. Sie hatten Proben von Kindern im Alter von 3 bis 18 Jahren untersucht (J Natl Cancer Inst 2002; 94: 267-73).
Dass das Virus beim Menschen krebserregend ist, ist aber damit längst nicht bewiesen. Eine Gruppe des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg näherte sich der Frage jetzt von einer anderen Seite. Andrea Altieri auf der Abteilung Molekulargenetische Epidemiologie unter Leitung von Kari Hemminki wollte wissen, ob Infektionen während der Kindheit das Risiko von Hirntumoren erhöhen. Dazu analysierte die Gruppe die Daten des Schwedischen Familienkrebsregisters, mit 13.613 Einträgen eines der größten Datenbanken dieser Art, die auch die histologische Diagnose speichert. Allerdings gibt es keine Daten zur Häufigkeit von Infektionen, die in der Kindheit häufig und im Allgemeinen schwer zu registrieren sind. Die Zahl der Geschwister gilt aber als indirekter Marker.
Tatsächlich kann die Forschergruppe zeigen, dass kindliche Hirntumoren in Familien mit vielen Kindern häufiger sind. Für Kinder mit vier oder mehr Geschwistern ermittelt sie eine Rate Ratio (RR) von 1,68 für das Hämangioblastom, von 2,01 für Neuroblastome und von 1,83 für Ependymome. Besonders deutlich war das Risiko für Kinder mit drei oder mehr jüngeren Geschwistern. Sie erkrankten vor dem 15. Lebensjahr häufiger an Astrozytomen (RR =1,34), Medulloblastomen (RR = 2,30), Ependymomen (RR = 2,61), Meningiomen (RR = 3,71) oder Neuroblastomen (RR = 2,13), jeweils mit einem signifikanten Trend.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein früher Infektionszeitpunkt der Auslöser für die Hirntumore sein könnte. Ein Beweis ist die Studie aber nicht. Bislang liegt die Ursache für Hirntumoren im Kindesalter, wie auch für die meisten anderen Krebserkrankungen im Dunkeln. Nur etwa 5 Prozent aller Krebserkrankungen im Kindesalter lassen sich nach Einschätzung von Experten auf Strahlung oder eine genetische Prädisposition zurückführen. © rme/aerzteblatt.de
Links zum Thema
Abstract der Studie
http://www.neurology.org/cgi/content/abstract/67/11/1979Abteilung Molekulargenetische Epidemiologie am DKFZ
https://genome.dkfz-heidelberg.de/de/molgen_epidemiology/index.htmlSchwedisches Krebsregister
http://www.sos.se/epc/english/cancereng.htmWikipedia zum JC-Virus
http://de.wikipedia.org/wiki/JC-VirusStudie im JNCI
http://jncicancerspectrum.oxfordjournals.org/cgi/reprint/jnci;94/4/267.pdfBeitrag im JNCI
http://jncicancerspectrum.oxfordjournals.org/cgi/reprint/jnci;94/4/240.pdf© Deutsches Ärzteblatt / Deutscher Ärzte-Verlag