Bei meinem Vati (53 Jahre) wurde am 05.07.2006 ein Glioblastom multiforme (rechts/seitlich) diagnostiziert.
Es begann ca. Mitte Juni. Mein Vati hatte plötzlich keine Kraft mehr. Er aß kaum noch etwas und lag nach der Arbeit erschöpft auf dem Sofa. Wir machten uns große Sorgen, da er eigentlich immer vor Kraft überschäumte. Er ging zum Arzt und wurde krankgeschrieben, da man eine Magenschleimhautentzündung bei ihm entdeckt hatte. Also blieb er eine Woche daheim. Doch erholte er sich in diesem Zeitraum nicht. Er bekam wahnsinnige Kopfschmerzen hinzu. Nach der Woche ging er auch wieder zur Arbeit (Garten-Landschaftsbau), doch das Wetter (30°C im Schatten) schien die Kopfschmerzen noch zu verschlimmern. Meine Mutter, meine Schwester und ich baten ihn, noch einmal zum Arzt zu gehen, da er kaum wieder zu erkennen war. Wir dachten die Kopfschmerzen seien Nebenwirkungen von den Magentabletten und er setzte sie ab. Doch die Schmerzen wurden nicht weniger.
Nach 3 Wochen hielt es Vati nicht mehr aus und ging zum Arzt. Er unterrichtete den Arzt auch von sonderbaren Symptomen (metallischer Geschmack, metallischer Geruch, Gesichtsfeld-Ausfälle). Unser Hausarzt schickte ihn daraufhin in das Krankenhaus. Dort sollte ein CT angefertigt werden. Bevor er in das Krankenhaus ging, rief er meine Mutter an und beklagte sich lauthals, dass er nun in das Krankenhaus müsste und nicht zur Arbeit kann. Als mich Mutti davon unterrichtete war ich froh darüber, denn der Zustand war nicht normal. Ich sagte zu ihr, dass wir dann nun endlich wüssten, warum er solche Schmerzen hat und äußerte mein Bedenken hinsichtlich eines Hirntumors. Doch schoben wir den Gedanken in weite Ferne, denn das betrifft ja immer nur Andere. Am Abend rief ich Mutti an. Sie weinte und sagte das Wort, was ich nicht hören wollte. Eine Welt bricht zusammen! Ich fuhr noch an dem Abend zu ihr, denn sie war allein. Vati wurde zur Beobachtung im Krankenhaus gelassen. Später erzählte er, dass der Arzt ihn gefragt hatte:“ Können sie die Wahrheit ertragen?“ Die Krankenschwester fing an zu weinen und mein Vater, tapfer wie er immer ist, sagte „ja“. Ich weiß nicht, was mein Vati die Nacht durchgemacht hat… es ist ein unvorstellbarer Wahnsinn. Gleich am nächsten Morgen fuhren wir ins Krankenhaus. Mutti hatte so Angst, da er nach der Diagnose am Vortag völlig zusammengebrochen war. Er musste versprechen, keinen „Blödsinn“ zu machen. Doch Vati strahlte uns an, als wir das Zimmer betraten. Seine Zimmernachbarn hatten ihn Mut zugesprochen und ihn etwas aufgebaut. Einige Tage blieb er noch im Krankenhaus und bekam Tabletten, damit das Ödem eingetrocknet wurde. Diese Ausdehnung verursachte die Kopfschmerzen und schon 1 Stunde nachdem er die erste Tablette eingenommen hatte, waren die Schmerzen endlich weg.
Nach 3-4 Tagen wurde er entlassen und wie konnten ihn mit nach Hause nehmen. Er wurde nach Halle/Saale ins Krankenhaus überwiesen, doch momentan war kein Bett frei, so dass wir nochmals 4 Tage warten mussten. Die Tage versuchten wir so unbeschwert wie möglich zu genießen. Doch gut gelang es uns nicht. Immer wieder kamen wir wieder auf das „Ding“ zu sprechen. In Gedanken war es doch ganz einfach…Operation…das Ding raus und Alles wird wieder gut. Doch was wenn die OP nicht optimal verläuft? Vati arbeitete die Tage wie wahnsinnig. Zum einen, war dies eine gute Ablenkung, zum anderen, wollte er uns noch alles am Haus erklären. Oft hatten wir darüber gesprochen, dass wir über alle Dinge, die das Grundstück betrafen, bescheid wissen mussten. Der Gedanke dahinter war, dass wenn Mutti oder Vati etwas passieren würde, man nicht hilflos dasteht. Welch banale Gedanken…Funktion der Ölheizung, Wasserversorgung u.s.w.
Wir brachten Vati ins Krankenhaus nach Halle, in welchem er am 14.07.06 operiert wurde. Der Abschied am 13.07.06 fiel uns so schwer…Vati stand am Treppengeländer und winkte uns, bis wir außer Sichtweite waren. Er stand noch lange da. Man kann sich nicht vorstellen, was für einen inneren Kampf ein Mensch in so einem Moment durchstehen muss. Wir fuhren nach Hause. Am nächsten Morgen ca. 7:00 Uhr rief Vati vor der OP noch mal an. Wir beteten 8 Stunden lang. Wir fuhren noch am selben Tag ins Krankenhaus und durften auf die ITS zu Vati. Er war wach und sah super aus mit seinem „weißem Mützchen“. Die Schwester berichtete, dass sie ihn schon schnatternd aus dem Aufwachraum geholt hatte. Sie wusste nun über Vatis Hibiskuszucht genau bescheid Vati erzählte uns ein wenig, bis er so erschöpft war, dass er wieder einschlief. Noch auf der ITS sprachen wir mit dem Operateur. Er bekräftigte unseren Eindruck, dass die OP absolut optimal verlaufen war. Vati konnte die Arme und die Beine bewegen. Aber er bestätigte auch auf unser drängendes Fragen hin, unsere schlimmste Vermutung. Glioblastom IV. „Es sieht aus, als wäre es ein Glioblastom.“ Wir quetschten ihn über alles aus. Danach waren wir fix und fertig, doch wir mussten wissen, mit was wir es zu tun hatten. „Kenne deinen Feind!“
Es stimmt, was behauptet wird, Ärzte sagen einem nur das, wonach man fragt. Meine Schwester und ich hatten vor der OP alles Mögliche recherchiert. Somit waren wir uns über allem im klaren, doch auf so etwas kann man sich nicht wirklich vorbereiten. Wir fanden im I-net Artikel über Lebenserwartungen…Statistiken…unser Arzt ließ sich zu keiner Aussage hinreißen. Er meinte, es sei bei jedem anders. Persönlich muss ich sagen, ich sch**** auf diese Statistiken!!! Nach der OP verlief Alles super. Am nächsten Morgen kamen wir in sein Zimmer und er saß auf seinem Bett und schmiere sich schon selbst seine Honig-Brötchen. Jedoch unterrichteten wir das Personal, dass Vati nichts gesagt werden sollte, was ihm den Mut nehmen könnte. Ich denke, es war gut so, denn so konnten wir es erstmal verarbeiten. Nach etwa einer Woche kam der Tag, auf den meine Mutti, meine Schwester und ich uns so vorbereitet hatten. Wir baten die Ärzte darum, uns vorher bescheid zu geben, wenn die endgültigen Befunde vorliegen und das Gespräch mit Vati nur in unserem Beisein zu führen. Der Arzt kam ins Vatis Zimmer und erklärte uns, dass der Tumor bösartig war und dass er wieder wachsen kann. Vati brach vollkommen zusammen. In diesen Moment wusste ich, dass es gut war, vorher bescheid zu wissen. Nun konnten wir Vati auffangen und für ihn da sein.
Am nächsten Tag wurde ihm gesagt, dass er nach Hause darf. Ich denke, die Ärzte wollten sehen, wie mit der Diagnose umgeht und da er sich über Nacht dazu entschieden hatte, zu kämpfen, sahen die Ärzte keinen Grund ihn länger auf Station zu behalten. Die Klammern wurden zur Hälfte entfernt und ein paar Tage später fuhren wir noch mal nach Halle, um die Restlichen entfernen zu lassen.
In Halle sollte aber die Behandlung weitergehen. Wir bekamen einen Termin in der Strahlenklinik und in der Onkologie zum Vorgespräch. Meine Schwester und ich hatten wieder alle möglichen Therapien in Erfahrung gebracht und besprachen das weitere Vorgehen. Vati bekam 33 Bestrahlungen (60 Gray) in Kombination mit Temodal. Diesen Teil der Behandlung hat mein Vati recht gut überstanden. Er hat durch die Strahlenbehandlung etwas Haarausfall an der zu bestrahlenden Stelle, aber das ist ja das Wenigste. Des Weiteren setzen wir langsam das Cortison ab. Ihm ist immer etwas neblig durch das Cortison und er ist froh nun endlich diese Tabletten absetzen zu können. Nun steht eine 4-wöchige Pause an. Diese Zeit nutzen meine Eltern für eine Kur. Mein Vati möchte nicht alleine fahren, lieber bleibt er zu Hause. Deswegen hat Mutti ebenfalls eine Kur beantragt. Unser Hausarzt hat uns geraten, psychosomatische Störung aufgrund der Erkrankung meines Vatis, anzugeben. Das hat auch alles geklappt. Nach dieser Kur bekommt mein Vati die Temodal-Erhaltungstherapie. Die Ärztin sprach von 8-9 Monaten. Sie macht uns wirklich Mut und hat uns von anderen Patienten erzählt die sie behandelt. Zum Beispiel eine Lehrerin, welche schon 4 Jahre lebt und auch wieder, zwar verkürzt, arbeitet. Mein Vater ist das sehr wichtig, da er momentan perspektivenlos ist. Schließlich wird er nie wieder seinen Beruf ausführen können und kommt sich deswegen überflüssig vor, was natürlich völliger Unsinn ist. Aber man kann sich eben nicht 100prozentig in ihn hineinfühlen. Wir sind einfach nur froh, dass er bei uns ist. Unsere behandelnde Ärztin erklärte und ebenfalls warum die Erhaltungstherapie so lange dauert. Sie sagte, sie hat die Erfahrungen gemacht, dass wenn man Temodal zu früh absetzt und der Tumor sich erneut bildet, das Mittel beim zweiten Mal nicht mehr anschlägt. Es ist als würde das Ding lernen. Wir haben in unserer Ärztin nicht nur eine Ärztin gefunden, sondern auch einen Menschen. Wir haben Therapien, Studien (zB: Enzastaurin) und andere Möglichkeiten durchgesprochen. Wir konnten sie alles fragen und haben immer eine zufrieden stellende Antwort bekommen bezüglich verschiedener Methoden und Medikamente. Sie betonte auch, dass sie eine Zusammenarbeit wünscht, denn nur so können alle Beteiligten das Gefühl und den Eindruck haben, nichts unversucht zu lassen.
Fakt ist, dass wir als Familie zusammen kämpfen wollen. Wir haben die Hoffnung, dass die Medizin einen großen Fortschritt machen wird. Und diese Hoffnung ist ja nicht unbegründet, liest man die vielen Artikel zur Forschung. Wir werden nicht aufgeben! Wir wissen, dass diese Krankheit die Hölle ist, aber wer aufgibt, hat schon verloren. Es mag banal klingen, aber viele Menschen verlieren ihre Liebsten durch einen Autounfall oder ähnliches. Wir haben eine zweite Chance bekommen. Sicher mit Einschränkungen, aber unsere Familie ist durch diesen Schlag noch enger zusammengewachsen. Wer weiß, wie lange das Leben jedes Einzelnen ist…es kann schon morgen vorbei sein. Wir aber haben die Chance bewusst zu leben, jeden Tag zu genießen. Und jeder Tag, jeder Monat…ja jedes Jahr ist ein Sieg im Kampf gegen dies Krankheit. Und wir wollen und werden Sieger sein!