Hallo liebe Forumsmitglieder!
Seit nun schon einiger Zeit stöbere ich als Gast auf dieser Plattform herum, bin als stille Mitleserin schon oft dankbar über interessante Informationen gewesen und habe Kraft und Mut geschöpft aus den vielen Krankengeschichten, die von euch hier niedergeschrieben sind.
Nun habe ich mich heute registriert und möchte über "unseren" Krankheitsverlauf berichten. Vielleicht hilft dieser Beitrag ja anderen Lesern in irgendeiner Art und Weise, so wie viele Zeilen hier es mir getan haben. Vielleicht ist es auch für mich selbst gut, einmal alles zusammen zu tragen und es "mir von der Seele zu schreiben". Vielleicht hat ja auch der ein oder andere von euch ein paar aufmunternde Worte übrig
Der Patient bin nicht ich, sondern mein Freund. Wir sind beide 24 Jahre alt. Ende 2008 wurde bei ihm die Diagnose Hirntumor gestellt. Nach einer OP im Frühjahr 2009, die sozusagen einer Biopsie gleich zu stellen war, lautete der Befund aus der Histologie atypisches Meningeom, WHO II. Zu diesem Zeitpunkt war der Tumor ca. Babyfaust groß. Dennoch wurde er zunächst entlassen, sollte aber nach 3 Monaten bei den Radiologen zur Kontrolle vorstellig werden. Aus den Bildern des MRT, das im Juli gemacht wurde, ging keine Volumenzunahme des Tumors hervor. Also wurde eine weitere Kontrolle ein viertel Jahr später vereinbart. Zu diesem geplanten Termin kam es dann jedoch nicht. Ende September musste mein Freund seine 14-tägige Arbeitsschicht abbrechen wegen starker Kopfschmerzen und neurologischer Ausfallerscheinungen (schwarze Punkte vor den Augen). Nach einem MRT 2 Wochen später bei den Neurochirurgen war nun klar, dass der Zeitpunkt der OP gekommen war, der Tumor hatte sein Volumen fast verdoppelt auf Apfelsinengröße. Zwei weitere Wochen wurde im Krankenhaus überlegt und geplant, Anfang November ging es dann los:
Der eigentlichen Operation, also der Entfernung des Tumors, ging eine Embolisation voraus, da der Tumor sehr sehr stark durchblutet war. Der Eingriff dauerte ca. 7 Stunden und war erfolgreich! Die Herzchirurgen waren zufrieden mit dem Ergebnis! Die nächsten Stunden bis zur "Haupt-OP", die für den übernächsten Tag geplant war, litt mein Freund an wahnsinnigen Schmerzen - dem Tumor waren die Pipelines abgestellt worden und er rebellierte was das Zeug hielt. Diese Stunden verbrachte er fast komplett im totalen Schmerz-Schmerzmittel-Delirium. Dann war der Tag der OP da, die für ca. 8 Stunden angesetzt worden war. Tatsächlich dauerte sie dann 13 Stunden... Es ergab sich leider die Komplikation, dass ein kleiner Teil des Tumors inoperabel war, da er um/in einen großen Venensinus gewachsen war. Dieser Zipfel musste also verbleiben wo er war, denn eine Verletzung dieses Blutgefäßes hätte des Exitus für meinen Freund bedeutet. Zudem hatte der Tumor auch schon ganze Arbeit am Schädel geleistet: Das auf-/abgesägte Stücke konnte nicht wieder eingesetzt werden, es wurde eine Plastik aus einem aushärtenden Stoff modelliert. Die Hirnhaut wurde mit Pferdeperikard "geflickt".
Schon am Nachmittag dieser OP - mein Freund lag noch unter den Messern der plastischen Chirurgen - wurden seine Eltern und ich von den Neurochirurgen über die weitere Vorgehensweise aufgeklärt: Radiotherapie, Risiken, Komplikationen usw. Dieser Abend, an dem wir halbstündlich mit der Intensivstation telefonierten und auf ein Eintreffen aus dem OP und ein "Alles ist bis zum Schluss gut verlaufen" von irgendeinem Arzt warteten, war schrecklich. Irgendwann mitten in der Nacht sagte dann endlich der meinen Freund versorgende Anästhesist "Nun ist er hier verkabelt, er ist noch intubiert, aber sein Zustand ist stabil. Ob alles gut gegangen ist, können wir Ihnen sagen, wenn er wach ist und denken und hören und reden und sehen (...) kann." - natürlich wurden wir, genau wie jeder Patient, der einer Hirn-OP unterzogen wird, über mögliche Risiken wie neurologische Ausfallerscheinungen, die ggfs. auch irreversibel sein können, vor der OP aufgeklärt. Aber wer mag schon von dem Schlimmsten ausgehen... Jedenfalls trat das ein, wovor mein Freund die schlimmste Angst gehabt hatte: Er wachte am nächsten Morgen aus der Narkose auf und war blind. Der Tumor saß am Hinterkopf, im Bereich des visuellen Cortex, hatte insbesondere dort Druck ausgeübt, an dieser Stelle hatten die Neurochirurgen "geschnibbelt" - und jetzt war es passiert, er sah nichts mehr. Alle Untersuchungen deuteten auf eine Rindenblindheit hin. Die Ärzte machten uns Hoffnung, dass das Sehen wieder kommen könne, aber niemand konnte etwas garantieren. An diesem Tag sind wir alle psychisch endgültig eingebrochen... Und dann passierte das kleine Wunder, zwei Tage später erkannte er das Pflegepersonal im Zimmer als Schatten!! Sein Zustand besserte sich von da an von Tag zu Tag, nach ca. einer Woche sah er wieder fast uneingeschränkt - hallelujah!
Zwei Tage bevor die Fäden gezogen werden und er entlassen werden sollte, trat dann aber die nächste Komplikation auf: Zwischen der Kopfhaut und dem Schädelimplantat, im Bereich des kreisrunden OP-Feldes (mit einem Durchmesser von ca. 15cm, die Haut wurde um ca. 300° aufgeschnitten), hatte sich ein Serom gebildet. Von da an wurden jeden Tag ca. 100ml Wundflüssigkeit abpunktiert. Die Prozedur ging über ungefähr 10 Tage. Dann wurde er entlassen und weiter ambulant behandelt. Nach einer weiteren Woche, ohne dass sich eine Besserung einstellte, stand fest, dass das Implantat zeitnah gewechselt werden würde. OP Nr. 3! Es sollte aus einem anderen Material bestehen und Löcher besitzen, durch welche hindurch die Kopfhaut an die Platte fest genäht werden sollte. Erneute Reaktion auf das neue Implantat: so gut wie unmöglich! Also fand Mitte Dezember die Auswechsel-OP statt. An Heiligabend wurde mein Freund entlassen. Es war genau an Neujahr, als sich wieder diese hässliche Beule unter der Haut bildete - Diagnose: Serom! Ambulant folgten also wieder ca. 2 Wochen Behandlung mit taglichem Abpunktieren und Druckverbandswechsel. ...Und die Zeit saß uns im Nacken, denn für Ende Januar war der Beginn der Radiotherapie geplant - bis dahin musste das Serom aber abgeheilt sein, denn sonst würde die angefertigte Maske nicht richtig passen... Gott sei dank ging diese Rechnung dann auf! Das Serom war verschwunden, und die Therapie konnte begonnen werden.
Zu diesem Zeitpunkt war die Kopfhaut bereits ziemlich "fertig". Insgesamt 3 Mal war aufgeschnitten und zugenäht worden. Zudem hatte wohl auch die Haut durch die Embolisation Einbußen in der Blutversorgung gehabt. Dann die etlichen Nadeleinstiche während der Behandlung des Seroms... Und nun sollten zu guter Letzt auch noch 30 Fraktionen Röntgenstrahlen zwischen 1 und 2 Gy drauf gedonnert werden... Aber es half ja nichts
Die Bestrahlungstherapie steckte mein Freund super gut weg! Keine der aufgezählten Nebenwirkungen trat ein, dafür ein paar vorher nicht erwähnte: Unter anderem war mein Freund von unglaublichen Fressattacken durch die Cortisoneinnahme geplagt (Dexamethason). Ansonsten verstrichen die ersten zwei Wochen wie im Flug, und der Besuch im radiologischen Institut wurde täglich abgehandelt wie das morgendliche Zähneputzen. Dann fielen ihm, im gesamten Hinterkopfbereich, bis seitlich fast zu den Ohren und vorne bis fast zur Stirn, die Haare aus. Seine geliebten Haare, die seit der OP im inneren Bereich der Naht sowieso nur spärlich nachkamen und gehegt und gepflegt wurden... Dieser Kelch ging also wie erwartet nicht an uns vorbei. Desweiteren blieb eine kleine Stelle, an dem einen Ende der Naht im unteren Bereich des Hinterkopfes, "unschön". Eine kleine, aber dennoch tief gehende Wunde blieb verschorft und wollte und wollte nicht weiter heilen. Aber naja, während der Bestrahlungstherapie sprangen schließlich über 6 Wochen jeden Tag Ärzte um ihn herum die dies sahen und für nicht Besorgnis-errgend zu empfinden schienen, und die Neurochirurgen hatten zu diesem Zeitpunkt erst einmal "fertig" mit meinem Freund - für sie gab es ja vorerst keine "Arbeit" an ihm... Die Therapie endete nach 6 Wochen, meinem Freund ging es prima, und einen Tag nach der letzten Bestrahlung trat er nach 6 Monaten wieder seine erste Schicht an und ging 14 Tage arbeiten. Nach 10 Tagen musste er diese abbrechen, da er plötzlich extreme neurologische Probleme bekam - Sehstörungen bis wieder fast hin zur Blindheit und arge motorische Probleme. In der Notfallaufnahme blieben jedoch alle Untersuchungen ohne Befund und die Symptome wurden als "Nachwirkungen" von der Bestrahlungstherapie eingestuft und u.a. auf eine Überbelastung zurück geführt. Nach 2 Tagen ging es meinem Freund wieder super, nach gut weiteren 2 Wochen Erholung zu Hause fühlte er sich wieder so fit, um die nächste 14-tägige Schicht anzutreten. (An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass jeder Arzt damals nur den Kopf schüttelte - eigentlich hatte mein Freund noch in Rehabilitation gesollt, wollte das aber nicht, und hatte sich in den Kopf gesetzt, sein Leben so fortzusetzen wie bisher.)
Diese zwei Wochen waren dann ein ziemlicher Kampf für ihn - aber er packte sie und kam ziemlich stolz und glücklich wieder nach Hause. Am zweiten Abend, mitten in der Nacht, war plötzlich das Bettlaken flüssigkeitsdurchtränkt - Schock! - der Schorf auf dem hässlichen kleinen Loch am Ende der Naht hatte sich abgelöst und es waren Mengen von Hirnwasser herausgelaufen! Im Krankenhaus stellten die Neurochirurgen eine Fistel ins Gehirn hinein fest, verursacht durch einen Fadenrest, der beim Ziehen vergessen worden war. Es ist immer nicht schön, wenn man selbst bemerkt, wie die sonst so souveränen Ärzte plötzlich so ernst und sorgenerfüllt sind und eine Art "Panik" an sich haben, ohne dabei hektisch und unruhig zu werden.. Das hier war so ein Moment. Sie sagten uns schon zu dem Zeitpunkt, dass eine Hirnhaut- oder Hirnentzündung in seinem Zustand, nach dem Prozedere das dem ganzen voraus gegangen war, wirklich gar nicht nett wäre. Therapieplan: Wechsel des Steril-Verbands alle 2 Tage + Antibiose (über 5 Tage, Amoxicillin). Das ganze funktionierte über knapp 14 Tage ziemlich gut, auch wenn mein Freund in der Zeit der Antibiotikaeinnahme über schlimme Kopfschmerzen klagte und auch ziemlich neben sich stand. Dann kam jedoch der Zeitpunkt des Antretens der nächsten Schicht.. Die Ärzte warnten ihn davor, arbeiten zu gehen, der Ausgang der Fistel müsse weiterhin steril bleiben und der Heilungsprozess müsse kontrolliert werden... Aber mein Freund setzte seinen Dickschädel durch, fuhr zur Arbeit und ließ sich von einem Kollegen mit vorher eingekauftem Verbandszeug, Desinfektionsmittel und Salben verarzten. Nach einer Woche musste er die Schicht abbrechen, ohne dass es einen wirklich konkreten Anlass gab. Er war in ein ziemlich großes psychisches Loch gefallen, weil er bemerkte, dass sein Körper einfach nicht mehr so konnte, wie er es wollte. Das Sehen ist seine Achillesferse - er hat doch Einbußen davon getragen. Das räumliche Sehen ist phasenweise eingeschränkt und er hat öfter Lichtblitze oder ein Druckempfinden vor den Augen - laut den Ärzten alles Symptome, die sich mit der Zeit geben können und die von den Verletzungen des gesunden Sehhirnrinde-Gewebes durch die Bestrahlung resultieren. Die körperliche Koordination, das Gleichgewicht und die Feinmotorik sind nicht mehr (oder noch nicht wieder?) die alten. Und so wird er halt immer mal wieder an seine Krankheit erinnert. Ganz abgesehen davon hatte das erste Kontroll-MRT 6 Wochen nach Ende der Bestrahlung einen immer noch unveränderten Resttumor gezeigt. Natürlich besser als einen, der gewachsen war, aber wir hatten die Hoffnung auf eine Schrumpfung...
Irgendwie haben wir alle zusammen innerhalb von ein paar Tagen dann ganz neu geplant: bevorstehender Umzug, eventuelle Veränderungen im Job, Beantragung einer Reha... Irgendwie alles so voller Tatendrang... Vor 4 Tagen hatte der letzte Arzt, der behandelnde Neurochirurg, die Fistelwunde am Kopf gesehen und den Heilungsprozess für gut befunden. Vorgestern jedoch klagte mein Freund über Schmerzen in der Kopfhaut, und mir erschien die Wunde beim sterilen Pflasterwechsel zu Hause als unschön und entzündet. Nach einer schlaflosen Nacht wegen extremer Schmerzen sind wir dann gestern in der Notfallaufnahme gewesen. Dort herrschten das totale Chaos und unmögliche Zustände. Ich durfte bei der Behandlung nicht dabei sein, und zwischen Tür und Angel wurden meinem Freund ca. 2 Minuten Zeit gewidmet. Mit Novalgintropfen und der Aussage, dass solch ein Wundschmerz während des Heilungsprozesses völlig normal seien, wurden wir nach Hause geschickt. Dabei subbte das Pflaster doch schon nur so vor Eiter - hätte ich doch darauf gehört, was meine Logik und vor allem mein Bauchgefühl mir gesagt haben und auf einer gründlicheren Untersuchung, vor allem durch die Neurochirurgen und nicht durch irgendeinen Notarzt, bestanden!
Aber nach dem zweiten Arzt, der innerhalb von 4 Tagen den Zustand der Wunde als normal befand, habe ich versucht, es auch zu glauben...
Heute Mittag beim Pflasterwechsel lief dann ein guter Esslöffel Eiter aus der Wunde. Das Loch war auch wieder bis zum Schädelimplantat hin offen, ich hab mich gleich ans Telefon gehängt und mit der Neurochirurgiestation gesprochen. Natürlich wurden wir gleich dorthin zitiert, die Formalitäten, dass eigentlich keine prästationäre Behandlung mehr zulässig war, waren Wurst. Die Assistenzärztin rief dann den Chefarzt aus seinem Wochenende zur Begutachtung dazu, und dann stand es fest: Er wurde wieder stationär aufgenommen. Morgen findet die nun 4. OP statt - dabei soll geguckt werden, wie groß die Eiterhöhle zwischen Kopfhaut und Schädelplasik ist. Und noch wichtiger, ob auch unter der Schädelplastik bereits Eiter sitzt. Sollte das der Fall sein - die Chancen stehen ungefähr 50:50 - reißen sie ihm das Implantat wieder komplett raus
Die Entzündung ist dann anders nicht in den Griff zu kriegen und das Risiko zu hoch, dass sie auf das Gehirn übergreift - das darf nicht passieren, denn dann würde mein Freund nach Aussagen des Arztes wirklich so langsam an Petus' Tür klopfen
Darüber würde dann nur die Haut zugenäht. Die nächsten Tage würde er hochdosiert Antibiotika bekommen, insgesamt 3 Monate würde der Schädel an dieser Stelle "offen" bleiben müssen, bis alles wieder vollständig verheilt ist. In dieser Zeit dürfte er nicht auf dem Hinterkopf liegen, müsste bei jedem Schritt den er tut einen Schutzhelm tragen... Dann würde eine 5. OP folgen, in der sie ihm die Plastik wieder einbauen würden. Komplikationen wären schon so gut wie sicher: Die Haut ist am Ende, sie würden zum dritten Mal und nach 6 Wochen Bestrahlung die gesamte Narbe wieder aufschneiden, heilen tut da so langsam nichts mehr. An ein weiteres Serom mag ich gar nicht denken..
Bis morgen Mittag darf ich das alles im Konjunktiv schreiben - es wird sich erst während der OP entscheiden, was gemacht werden muss. Wir haben noch ein bisschen Hoffnung, dass sich der Eiterherd nur auf die Höhle unter der Kopfhaut beschränkt.
Es ist so unfair! Diagnose Hirntumor... Alle Ängste und Sorgen, die man auch beim Leben mit einem gutartigen Tumor ausstehen muss, die fiesen Symptome, die das Biest und die Behandlungen mit sich bringen... Und dann muss es auch noch eine Komplikation nach der anderen geben! Jedes Mal, wenn man die eine Sache verdaut und etwas ad acta gelegt hat, sich wieder zusammen rauft und motiviert der kommenden Zeit entgegen zu blicken versucht, gibt es wieder einen Schlag vors Gesicht, wieder eine Bremse, wieder ein Gewicht mehr das sich ans Herz dran hängt.. Warum nur?? Ich bin verzweifelt. Und ich habe eine Wut in mir...
Wir haben nun ein Uhr mitten in der Nacht und ich steh völlig neben mir. Wieder ein Tag voller Angst und Sorge, Warterei und Bangerei, heulen und viel zu viel rauchen. Entschuldigt bitte alle Textfehler, meine Finger bewegen sich auf der Tastatur fast ohne dass ich ihnen das Kommando gebe...
Und wenn ihr einen Daumen frei habt, vielleicht mögt ihr ihn ja morgen Mittag für uns drücken, wenn mein Freund auf dem OP-Tisch liegen wird und die Ärzte gucken werden was in seinem Kopf los ist...
Vielen Dank allen, die bis hier hin durchgehalten haben.