Hallo ihr lieben!
Nach soo langer Zeit wollte ich nun endlich einmal die Geschichte meines lieben Freundes aktualisieren.
Die letzten Monate ist viel passiert, und auch, wenn sich mittlerweile vieles doch zum Guten gewendet hat (wobei wir leider immer noch keinen 100%ig sicheren Punkt unter die Story setzen dürfen, wie eine Ärztin es einmal so treffend formulierte), sind wir hier innerhalb der Familie und des Bekanntenkreises immer noch fassungslos, welche unglücklichen Umstände, aber auch Fahrlässigkeiten sich aneinander gereiht haben, wenn wir an das letzte Jahr zurück denken.
Der letzte Stand der Dinge war ja der, dass mein Freund im Juli aus der Kölner Klinik mit falsch-diagnostiziertem Hirn-Prolaps entlassen worden war. Daraufhin haben wir uns an eine weitere Klinik aus unserer Umgebung gewandt, von der uns bekannt war, dass sie sowohl über eine Abteilung für Neurochirurgie, als auch über eine plastische Chirurgie verfügen. Nach eingehender Untersuchung, nicht ganz ohne Fassungslosigkeit seitens der Ärzte über das bereits vorgefallene, wurde mein Freund nach langen Besprechungen der Chefärzte beider Abteilungen untereinander an die Uniklinik Frankfurt überwiesen. Eine liebe Chefärztin der Neurochirurgie kannte - welch ein Seegen - noch aus früheren Zeiten einen Kollegen, der dort zwar als Neurochirurg tätig war, jedoch auch den Facharzt für die plastische Chirurgie besitzt und sehr viel Erfahrung mit Hautdefekten am Kopf hat. Er vereint sozusagen beide Disziplinen in einer Person, DIE Lösung für unser Problem.
Es ging dann alles recht schnell, Anfang August wurde mein Freund operiert. Bei der OP wurde das Duraimplantat "geflickt", die PSI-Schädelplastik wieder eingebaut und der riesige Hautdefekt mithilfe einer großen Schwenklappenplastik von der Stirn ausgehend gedeckt (dort, wo der Lappen "weggeschoben" wurde, wurde Spalthaut hin transplantiert). Während der OP stellte sich heraus, dass das prolabierte Hirngewebe bereits nekrotisch war
War also plötzlich alles total logisch, die Beule war links, im rechten Gesichtsfeld "fehlte" meinem Freund ein Sektor. Den Ärzten aus Köln habe ich daraufhin erst noch einmal telefonisch den Marsch geblasen, ging nicht anders.. Nichtsdestotrotz waren wir SO happy, dass endlich wieder der Knochendeckel drin war, die Haut dicht vernäht worden war... Nach 5 Tagen stand auch fest, dass die Spalthaut im Stirnbereich angegangen war, hallelujah.
Eine Woche nach der Entlassung sollten wir zur Kontrolle kommen. Unter dem Verband hatte sich eine flüssigkeitsgefüllte Beule unter der Kopfhaut gebildet, welche punktiert wurde. Ich sah es schon in der Spritze....... Eine milchige Flüssigkeit, oh nein.. 4 Tage später der Höllenanruf aus der Klinik: Bitte sofort zur Aufnahme kommen, wir müssen Sie morgen operieren, das Implantat muss raus - Pseudomonas und Enterococcus Infektion. Meinem Freund ging es jedoch blendend, keine Kopf- oder sonstige Schmerzen, kein Krankheitsgefühl, die Beule hatte sich nach der Punktion auch nicht mehr neu gebildet. In der Klinik untersuchte der Doc dann meinen Freund, machte diverse Tests bzgl. Hirnhautentzündung, drückte an seinem Kopf herum. Er fand keinen Anhaltspunkt für eine Entzündung, zumindest keinen, für ein weiteres Fortschreiten der Entzündung. Und wir wollten um das Schädelimplantat kämpfen! Also ließ er sich darauf ein, es mit einer sofort beginnenden i.v.-Antibiose zu versuchen. Also wieder eine Woche stationär, um Tag und Nacht mit Reserveantibiotika vollgepumpt zu werden. Nach weiteren 3 Wochen (zwischenzeitig auf Tabletten umgestiegen) waren die Entzündungswerte wieder im Normbereich, juchuu!!
Leider blieben aber an der Wundnaht zwei dumme Stellen da, die einfach nicht zuheilen mochten. Bei uns zu Hause ging es zu wie in einem Krankenhaus, wir waren mindestens genauso gut ausgerüstet mit sterilem Verbandsmaterial, sterilen Handschuhen, Desinfektionsmitteln und -salben. Diese Löcher stellten ja leider wieder eine erneute mögliche Eintrittspforte für Keime dar. Im Oktober hatte dann die Beobachterei und die Hofferei auf ein selbstständiges Zuheilen der Löcher ein Ende, und mein Freund kam noch einmal in Frankfurt unter Messer. Wieder Schwenklappenplastik inkl. Spalthauttransplantation, um alles noch spannungsfreier zu vernähen. Das OP-Ergebnis war wieder einmal spitzenklasse aus medizinischer Sicht, die Kosmetik spielte schon lange keine Rolle mehr.. Doch ca. 10 Tage nach der Entlassung klaffte die Naht während des Fädenziehens (und die Fäden waren schon extra 3 Wochen drin gelassen worden..) wieder auf. Man konnte geraudeaus auf die Knochenplastik gucken. Also wieder OP, diesmal mussten wir allerdings 500km an die MHH nach Hannover fahren, da "unser" Doc seine Arbeitsstelle zum November gewechselt hatte. Es wurde wieder beratschlagt, was der Auslöser sein könnte dafür, dass die Haut einfach nicht miteinander verwachsen wollte, obwohl die Wundränder unmittelbar nach den OPs immer so perfekt aneinander lagen. Es wurde in Erwägung gezogen, dass vielleicht ein abgeflachteres Knochenimplantat, welches noch einmal Spannung aus der Haut nehmen würde, die Lösung sein könnte. Daraufhin wurde die Keramikplastik ausgebaut, und eine flache, weniger stark gewölbte Palacosplastik hineinmodelliert. OP-Ergebnis wieder absolut super, aber............ Richtig! 4 Wochen später wieder das gleiche Problem, klaffende Naht, wieder nach Hannover, wieder OP. Der Fremdkörper unter der durch die Bestrahlung geschädigten Kopfhaut schien einfach ganz simpel das Problem zu sein. Über diesem leblosen Stück schien einfach nichts mehr heilen zu wollen. Also führte schlussendlich kein Weg mehr an der Transplantation eines freien Lappens mehr vorbei. Meinem Freund wurde aus dem Rücken ein Muskel inkl. Blutgefäß heraus operiert, und auf den Kopf über die komplette Fläche der Palacosplastik (ca. Untertassen-groß) transplantiert und an eine Halsarterie angeschlossen. Dieses nackte "Steak", wie es mein Freund immer nennt, wurde dann mit der noch verbliebenen Kopfschwarte und stellenweise Spalthaut gedeckt. Es war eine sehr risikoreiche und knifflige OP... 9 Stunden OP-Zeit, danach eine ganze Nacht verlängerte Narkose auf der Intensivstation... Überall war mein Freund "zerschnitten", er hatte über 70 Klammern an Kopf, Hals und Rücken.. Dazu jede Menge Drainageschläuche, ZVK, Blasenkatheter,... das volle Programm eben. Nicht schön
Aber alles hat sich gelohnt, der Lappen ist nicht abgestorben (dieses Risiko war alles andere als zu missachten), die Spalthauttransplantate waren angegangen.. keine postoperativen Komplikationen... Zwar musste mein Freund seinen Geburtstag im Krankenhaus, 500km von Zuhause entfernt, verbringen, aber 3 Tage vor Weihnachten kam er nach Hause... Mitte Januar stand unser Kontrollbesuch in Hannover an, und ab da war es besiegelt: Alles ist verheilt! Nach einem 3/4 Jahr und 8 Operationen Kampf. Die Antibiotika sind nach 6 Monaten durchgehender Einnahme nun auch seit 14 Tagen abgesetzt, bisher bleibt alles "stabil", unentzündet, da oben im Kopf.
Seit heute ist mein Freund nun endlich in der schon laaange, lange bewilligten Reha (BDH-Klinik Vallendar). Wir hoffen, dass die Schwierigkeiten, die mein Freund aus dem unendlichen Krankheitskampf leider mitgenommen hat, dort noch etwas besser charakterisiert werden können und sich Möglichkeiten auftun, an ihnen zu arbeiten (Sehstörungen [Gesichtsfeldausfälle], Gleichgewichtsstörungen, Probleme mit der Feinmotorik, die gesamte körperliche Kondition, die Psyche..). Vieles ist nicht mehr wie es war. Und vieles davon wiederum wird auch nicht mehr so werden, wie es mal war. Ich sage mir immer, es war ein teurer Preis, den wir, am meisten er, dafür bezahlen mussten, dass er nicht gestorben ist... Aber er hat sich trotz allem doch SO gelohnt!
Wir hoffen, dass wir nun peu à peu wieder in ein halbwegs normales Leben zurück finden werden, dass sich berufliche Perspektiven, Alternativen, für meinen Freund auftun, dass sein Körper sich ganz langsam von den Strapazen erholen kann und wieder stärker wird. Der Resttumor ist bisher toi toi toi unverändert, das letzte MRT mit Kontrastmittel wurde im November gemacht. Nicht zuletzt hoffen wir natürlich auch, dass wir noch eine ganz ganz lange Zeit von Problemen in diese Richtung gehend verschont bleiben werden...
Ich würde mir so wünschen, dass dies der letzte solche Beitrag bleibt, den ich in diesen Strang schreiben muss...
Danke fürs Mitverfolgen!
Verena - endlich optimistisch.