HirnTumor-Forum

Autor Thema: Charakteränderung b. m. Freund n. Tumor-OP? Vorstellung Whitedove (Angeh)  (Gelesen 30571 mal)

Offline whitedove

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Hallo in die Runde,

ich bin etwas ratlos und hoffe, dass vielleicht jemand helfen kann oder ähnliches erlebt hat:

Mein Freund hat gerade eine Tumor-OP hinter sich (gutartiger Tumor, konnte komplett entfernt werden). Die OP ist jetzt etwas über 3 Wochen her. Seit 10 Tagen ist er zu Hause, die Reha folgt noch. Der Tumor saß nah am Sprachzentrum, wodurch noch leichte Sprachprobleme vorliegen.

Seit ein paar Tagen habe ich das Gefühl, dass er sich mir gegenüber verändert. Er zieht sich sehr zurück (wohingegen er ansonsten viel mit Freunden und Familie unternimmt) und schnauzt oder schreit mich oft an, wenn ich ihn nicht sofort verstehe oder etwas nachfrage. Das war auch schon im Krankenhaus der Fall. Wenn es kleinere "Probleme" oder "Diskussionen" gibt (Beispiel: Was essen wir heute Abend? Also nur als Beispiel, damit Ihr seht, wie geringt das "Problem" ist) werde ich teilweise sogar aus seiner Wohnung geworfen. Anderen gegenüber ist er nicht so. Allgemein wirkt er sehr egoistisch, wohingegen er früher sehr fürsorglich war.

Ich war jeden Tag bei ihm im Krankenhaus, hab die OP über dort gesessen und ausgeharrt und bin immer da und nehme Rücksicht, so gut es mir gelingt. Natürlich bin ich nicht perfekt. Aber es macht mich so traurig, dass er gerade mich so behandelt und ich frage mich, ob es dafür eine Erklärung geben kann, die mit der OP zusammenhängt?

Habt Ihr dazu irgendwelche Ideen oder ggf. eigene Erfahrungen?

Vielen lieben Dank im Voraus!

whitedove


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« Letzte Änderung: 05. April 2015, 21:20:11 von fips2 »

fips2

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Hallo Whitedove.
Willkommen im Forum.

Die Probleme die du schilderst sind garnicht so selten und auch nachvollziehbar.
Versuche dich in deinen Freund hineinzuversetzen.

Für ihn ist das so, als wenn er alles ganz unmissverständlich zu dir spricht. Aber in Wirklichkeit kommt für den Gegenüber nur unlogisches Gerede raus.
Er gibt dir, für sich, ganz klare Aussagen, die aber in Wirklichkeit ein Vertauschen von Begriffen beinhaltet.
Da kommt zum Beispiel: "Koch mal Putzlappen heut Mittag weil ich darauf Lust habe"
Hääää?
Er hat dir ganz klar gesagt dass er Cordon-bleu wollte, ----denkt er zumindest.
Hier braucht man Fingerspitzengefühl den Sinn daraus zu lesen, oder wie man vorsichtig nachfragt.
Z.B. Frage: Willst du die Putzlappen mit Kartoffeln oder mit Kroketten?
Meist fängt er dann an darüber nachzudenken warum du ihm diese Frage stellst, weil oft ist es so, dass die Wortfindungsstörungen beim Zuhören komischerweise nicht vorhanden sind.

Hier muss man zusammenarbeiten wie man diese Missverständnisse wieder gerade rückt. Das ist für beide Seiten schwer, aber nicht unüberwindbar. Der Patient muss sein
Sprachsystem wieder neu ordnen wie ein Kleinkind und das dauert eine gewisse Zeit. Geht natürlich schnelle beim Erwachsenen, da die Begriffe da sind aber die Synapsen müssen neu programmiert werden. Der Betroffene ist der festen Überzeugung sich klar ausgedrückt zu haben.
Beweisen oder richtigstellen ist für beide Seiten sehr schwer und gerade für den Betroffenen deprimerend. Ich kenn das aus eigener Erfahrung  als Schlaganfallpatient und von meiner Frau her als Tumorpatientin. In ein paar Tagen, teilweise mit Tränen, war das nicht gelöst. Aber heute lachen wir darüber.

Am Einfachsten, aber auch am gleichzeitig Schwierigsten, ist es diese Wortverwechslungen mit Humor zu umschiffen. Bitte keine Vorwürfe machen und Diskussionen aufkommen lassen. Das bringt nix. Eher schaukelt sich die Sache noch mehr hoch.
Schlag einfach das vor was du dir zusammenreimst was er meint.
Um Beim Beispiel oben zu bleiben:
"OK. Heut abend gibts Schnitzel mit Pommes"

Dann wird er entsprechend antworten. von dir kann noch kommen: "Putzlappen sind aus." ;D

Wichtig ist, dass man gerade bei solchen Sachen sich vertraut, die Gründe der Missverständnisse kennt und daran arbeitet Abhilfe zu schaffen.
Manche schreiben es richtig auf, obwohl sie es falsch ausprechen. Das ist aber schon ein Ansatzpunkt.

Meine Frau und ich haben uns, Andren gegenüber ergänzt. Wenn ich offensichtliche Wortverwechselung hatte, hat sie das richtig gestellt und umgekehrt. Der Dritte konnte ja den Kauderwelsch nicht so nachvollziehen wie direkte Bezugspersonen. Ihr seid diejenigen, welche in der ersten Reihe stehen und am ehesten Verständnis aufbringen. Das braucht der Betroffene.
Wichtig ist, sich klar zu machen, dass es eine VORÜBERGEHENDE Nebenwirkung der Erkrankung und OP ist und man deswegen noch lange nicht, wies unser Neurologe  sagt. "Ballaballa ist".
Die Wörterbücher sind halt aus dem Bücher-Regal im Kopf gefallen und müssen wieder neu sortiert werden. Es ist auch keine Schande das Andren gegenüber zu sagen dass man vorübergehende Wortfindungsstörungen hat durch die OP. Mir passiert oft, dass ich im Satz anhalte weil mir ein Begriff zum Verecken nicht einfällt. Er liegt mir wörtlich auf der Zunge aber kommt nicht raus. Das sind auch die Situationen wo man sich über sich selbst ärgert und den Frust evtl an andern auslässt.
 Da gibt es auch ganz eigene Wortkreationen die nur die Eltern(Angehörige) verstehen. Anekdote von unseren Kids. Bei unserm Jüngsten kam das Wort "Umbele" auf. Tagelang haben wir gerätselt und gerübelt was er meint, bis wir auf den Sinn kamen. Luftballone meinte er. War ja klar.  Das erste mal als es ausprach war auf einem Jahrmarkt. Aha-----

Nicht einfach aber lösbar. Lernt und akzeptiert, dass man aus der Lage nur zusammen das Beste  macht. Hier  soll auch beiden Seiten mal erlaubt sein Unmut, möglichst ohne Vorwürfe, kund zu tun, aber auch zusammen zu weinen wenns mal nicht klappt, oder besser noch zu lachen über die unfreiwilligen Stilblüten. Vermeiden bei Stilblüten vorm Betroffenen zu lachen. Das kann schnell beim Patienten falsch ankommen und er fühlt sich ausgelacht. Ist ne Gratwanderung, aber man wächst hinein.

Ihr schafft das------mit einer Aussprache in der ihr euch gewisse Regeln auferlegt wie ihr bei Missverständnissen miteinander umgeht.

Gruß Fips2

« Letzte Änderung: 06. April 2015, 13:24:32 von fips2 »

Offline Bluebird

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Hallo whitedove,

diese Missverständnisse kenne ich zu gut aus der Zeit nach der OP meiner Schwester.
Wir saßen am Bett und sie versuchte, uns was mitzuteilen, wir verstanden nur Bahnhof und sie verzweifelte fast.
Sie konnte aber aufschreiben, was sie meinte, in dem Fall war es "Hole Helfer" (Krankenpfleger)
Von diesen Einschränkungen ist nichts übrig geblieben, manchmal geht's schnell, manchmal braucht es halt Geduld. Manche Wortkreationen, die fips2 von seinen Kindern erzählen kann, hatte meine Nichte auch drauf. "Wimpelturmel" z. B. Sie meinte die Fahne auf der Burg, die sie beim mittelalterlichen Fest entdeckt hatte.
Versucht die Schwierigkeiten möglichst locker anzugehen und auch gemeinsam zu lachen. Es wird schon wieder. Besucht er eine Sprachtherapeutin?

LG
Bluebird
The best time to plant a tree was 20 years ago.
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(Chinesisches Sprichwort)

Offline Pem34

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Hallo Whitedrove,

es tut mir sehr leid, was ihr da gerade durchleben müsst.

Die charakterliche Veränderung deines Freundes kann sowohl durch die OP (Hirn = zentrales Nervensystem = Schaltzentrale), den Tumor selbst oder eben auch der Unzufriedenheit durch die momentanen Einschränkungen kommen, herrühren. Aber eben auch in Richtung Depression kann man denken, wenn man mit so einer schrecklichen Diagnose konfrontiert wird. Da kann schon mal das Leben aus den Fugen geraten und die Angehörigen bekommen es ab. Bei denen muss man sich nicht zusammenreißen... , wogegen das Umfeld (Freundeskreis etc.) eine Art Normalität vorgespielt bekommen.

Mein Mann hatte auch solche Phasen der Veränderung in seinem Krankheitsverlauf und wir als Angehörige haben da ziemlich hilflos daneben gestanden und auch selbst die Welt nicht mehr verstanden.

Bei uns sind auch allerhand "Familienvokabeln" durch die Krankheit hinzugekommen. ;D Wir haben immer versucht, uns unseren Humor zu bewahren. Das ist eigentlich das, was uns aufrecht erhalten hat. Natürlich sind wir auch so manches Mal an unsere Grenzen gestoßen. Sogar ich selbst hatte schon mit Wortfindungsstörungen zu tun, im Rahmen einer andauernden Erschöpfung. Und ich muss schon sagen, dass es merkwürdig ist, wenn man selbst meint das richtige gesagt zu haben, es aber beim Gegenüber ganz anders ankommt.

Ich denke, dass es wichtig ist, ohne Vorwürfe miteinander zu reden. Einen Weg auszutüfteln, mit dem beide klarkommen. Du kannst deinem Mann ja sagen, welche merkwürdigen Aussagen oder Sätze bei dir schon angekommen sind (das Putzlappenbeispiel ist super Fips!) und ihn fragen, wie du es ihm in einer solchen Situation eben sagen sollst, ohne dass er böse wird.

LG
Pem

Offline Bea

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Hallo Whitedove,

lange habe ich überlegt und schreibe mal als Betroffene. Also als die, die damals so richtig gezickt hat.

Mit Abstand betrachtet glaube ich fast, ich habe das nur mit den Menschen gemacht, denen ich mir sicher war.
Und es stimmt; im Freundeskreis wollte ich doch als "die alte Bea" dastehen.

Sicher ist jeder anders. Ich bin vom Typ her relativ stark bzw. gefestigt. Wenn man bei mir keine klaren Worte spricht, dann lege ich es aus, wie es gerade in meine Stimmungsschwankung passt.
Ein "warum kann ich Dir nichts recht machen" half damals ebenso wie "warum gehst Du so mit mir um?"

Ja, wir Betroffenen haben Rücksicht verdient. Wir haben eine schlimme Situation zu bewältigen und es geht uns oft nicht gut. Aber wir haben keinen Freibrief. Jeder Mensch um uns herum, egal ob gesund oder krank, ist ebenso zu behandeln, wie wir es für uns offensichtlich auch in Anspruch nehmen.

Ihr macht Euch Sorgen. Ihr wollt, dass es uns gut geht und Ihr habt ein Recht, dass wir Euch teil haben lassen. Aber bitte in einem annehmbaren Rahmen. Das darf uns gerne mal gesagt werden!

Überlege Dir was Du kannst und sage es ganz klar. Sage aber auch das, was für Dich nicht geht, weil es Dir weh tut.

Hoffentlich habe ich mich nicht zu verwirrend ausgedrückt.

Von Herzen alles Liebe und ganz viel Kraft,
Bea

Offline KaSy

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Liebe Whitedove,
ja, ich kann das leider leider sehr nachvollziehen und es tut mir wirklich sehr Leid, was Dir gerade so ungerechterweise geschieht.

Ich habe nicht nur direkt in den Wochen nach den Hirntumor-OP sondern viel zu lange und mitunter auch jetzt noch derart ungerecht gerade den mir Liebsten gegenüber reagiert. Und es tat mit im Nachhinein fürchterlich Leid und ich habe mich geschämt und habe versucht, mich zu entschuldigen. Zum Glück habe ich auch für dieses schreckliche Verhalten Verständnis erhalten.
Allerdings habe ich es bemerkt.

Also, eigentlich weiß ich natürlich nicht, ob ich es immer bemerkt habe und wie oft es mir so gegangen ist wie Deinem Freund.
 
Bemerkt habe ich auch, dass ich mich bei normalen beruflichen Auseinandersetzungen mit Menschen, die nicht zu meinen engsten Freunden gehören, völlig sachlich und kontrolliert verhalten konnte.

Die Erkenntnis dieses Unterschiedes war für mich besonders schlimm. Wieso gehe ich anständig mit den Menschen um, die mir weniger nahe sind und lasse mich gerade bei denen gehen, die ich so sehr brauche? Ich fand mich so schrecklich!

Aus dieser Erkenntnis heraus habe ich einerseits psychotherapeutische Hilfe gesucht und andererseits vermeide ich Kontakte zu den Verwandten und engen Freunden, wenn ich spüre, dass ich ihnen eventuell wehtun könnte. Solche Zeiten gibt es bei mir leider immer wieder und ich fühle mich dann schrecklich.

Aber ich kann dann unter normale Leute gehen (einkaufen, in Veranstaltungen, auf Osterfeste ...) und diese Kontakte zeigen mir dann wieder, dass ich normal mit anderen reden kann und auch humorvoll reagieren kann.


Ich bitte Dich sehr, halte weiter zu Deinem Freund. Natürlich hat ihn eine solche OP ein wenig verändert, aber nicht völlig! Er reagiert anders, merkt es vielleicht nicht oder kann es sich nicht eingestehen und Dir schon gar nicht, jetzt noch nicht.
Lass Dir nicht zuviel gefallen. Aber dass er gerade Dir gegenüber so reagiert, ist ein Zeichen dafür, dass er Dir grenzenlos vertraut.
Aber es sollte in einer Partnerschaft auch Grenzen geben. Diese solltest Du ihm behutsam und klar sagen - und bei ihm bleiben.

Ja, diese Krankheit ist schwer - für beide, für Betroffene und Angehörige.

KaSy
Wenn man schon im Müllkasten landet, sollte man schauen, ob er bunt angemalt ist.

Der Hirntumor hat einen geänderten und deswegen nicht weniger wertvollen Menschen aus uns gemacht!

Offline whitedove

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Hallo Ihr Lieben!

Vielen Dank für Eure Antworten. Es tut gut, dass man nicht alleine da steht und es anderen auch so geht. Es ist schwierig momentan, aber ich überbrücke jetzt erstmal bis zur Reha. Alles Schritt für Schritt. In psychologischer Behandlung war er auch schon vor der OP und wird das nach der Reha fortsetzen. Bis dahin versuche ich weiter Geduld zu haben und mir trotzdem immer mal Momente für mich zu nehmen.

Euch allen wie gesagt nochmal lieben Dank und alles Gute!

whitedove


 



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