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Aus dem TIEF kommen

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Labosta:
Liebe KaSy,

Du schreibst mir soooo aus der Seele, genauso geht es mir auch. Und in meinem Umfeld versteht mich keiner.  Ja, wofür jeden Tag neu anfangen  - das frage ich mich auch ständig >:( 

Bluebird:
Hallo KaSy und alle, die hier lesen,

ja, das Leben ist ungerecht. Da lese ich Iwanas Blog "ich laufe um mein Leben", da habe ich die Worte meiner wegen Krebs sterbenden Angehörigen im Ohr "ich will nicht sterben" und dann gibt es einen jungen Mann mit Traumberuf Pilot, der offensichtlich sein Leben satt hatte und direkt 149 andere Leute, meist junge mit aussichtsreicher Zukunft, mit in den Tod reißt.
Das macht mich wütend.
Niemand hat uns versprochen, dass wir bis zum 100. Lebensjahr auf Rosen gebettet sein werden.
Ich kenne - so lange ich denken kann - Schmerzen wegen der komplexen Wirbelsäulenerkrankung und der Gehbehinderung. Die allein hätten eigentlich schon gereicht, mir das Leben zu versauen. Dennoch habe ich an wechselnden Arbeitsplätzen nahezu 30 Jahre gearbeitet, bin gependelt, war oft viele Stunden unterwegs. Ich habe meist stressige Arbeitsplätze gehabt, wollte wegen der Behinderung keine Sonderbehandlung oder Rücksicht.  Meine Freizeit habe ich auch noch mit Freunden gestaltet. Und dann kamen noch ein Meningeom,eine fortschreitende Augenerkrankung, eine Herzerkrankung und eine Darmerkrankung hinzu.
Aber es macht mich froh, dass ich trotzdem noch mein Mitleid verteilen kann, wenn mir ein Bekannter mit leidendem Gesichtsausdruck von seiner seit 14 Tagen andauernden Triefnase erzählt, weil ich dann nämlich merke, wie stark ich doch eigentlich bin. Und da gibt es doch bei jedem von uns Menschen, die ihr Leben mit uns teilen möchten statt an unserem Grab zu weinen. Ich sage mir, ich bin stark genug, trotz aller Einschränkungen, das Leben zu leben und zu lieben, zwar wesentlich gemächlicher als in jungen Jahren, aber ich schaffe es irgendwie.
Und ich hoffe, noch lange zu leben...denn trotz meines Glaubens gibt es Zweifel, ist mir der Gedanke, dass ein ewiges Nichts nicht besser sein kann, näher als die Vorstellung von einem lachenden Stern auf dem wir uns wiederfinden werden.

Das ist meine ganz persönliche Meinung, die niemand verstehen oder teilen muss.

Gruß
Bluebird

TinaF:
Liebe KaSy,


--- Zitat ---Warum, wofür jeden Tag neu anfangen?
--- Ende Zitat ---


Ich glaube, dass dir diese Frage niemand beantworten kann, weder jemand aus dem Forum - egal wie gut er dich zu kennen glaubt - noch jemand aus deinem realen Leben. Viele würden dir so gerne die "richtige" Antwort geben (ich auch), aber die Antwort muss aus deinem Inneren, aus dir selbst kommen.

Wir könnten dir jetzt alle schreiben, warum, wofür wir jeden Tag neu anfangen, aber würdest du davon profitieren? Ich würde es dir wünschen, aber ich kann es mir nicht so recht vorstellen. Wenn überhaupt gibt es nur ein Thema, das vielleicht eine Chance hat: Deine Kinder! Ich habe es oft im Forum und im echten Leben miterlebt, dass erwachsene Kinder so sehr gelitten haben, wenn ein Elternteil schwer erkrankt und dann gestorben ist. Für diese Kinder, die längst erwachsen waren, teilweise selbst schon Kinder hatten, brach eine Welt zusammen. Du hast drei Kinder und drei Enkelkinder, sechs gute Gründe jeden Tag neu anzufangen! So sehe ich es jedenfalls. Du auch?

LG TinaF

Bluebird:
Hallo KaSy,

ich möchte noch etwas schreiben, was speziell an Dich gerichtet ist.
Ich bin ebenso ratlos, wie soll jemand hier eine Antwort für Dich finden, wenn es Ärzte, Psychologen, ja sogar Deine Familie nicht schaffen, Dir einen Grund zur Lebensfreude zu geben?
Ich könnte Dir aufgrund von dem, was ich von Dir gelesen habe, sehr wohl sagen, wo Dein Sinn des Lebens liegt und was Dir Freude geben könnte, aber das alles ist es offenbar für Dich nicht. Für mich sehr schwer nachvollziehbar.

Auch wenn ich keine Psychologin bin, Du wirkst auf mich suizidgefährdet, das spreche ich offen aus.
Die Zeiträume zwischen Deinen Phasen, wo Du alles und Dich als sinnlos empfindest, werden wieder kürzer trotz des Klinikaufenthaltes und jeglicher Zuwendung.

Anders gefragt: Was wäre für Dich ein sinnvolles Leben, in dem Du Perspektiven sehen könntest?
Könnte Dir ein Haustier, für das Du Verantwortung übernehmen müsstest, neuen Lebensinhalt geben?
Ein Hund würde sein Recht fordern, Du müsstest Dich kümmern, regelmäßig raus mit ihm, würdest neue Leute, Hundebesitzer, kennenlernen. Vielleicht möchtest Du Dich nicht mehr allein fühlen und ein Partner an Deiner Seite täte Dir gut? Aber auch die Antworten hierauf kennst nur Du. Und dann stelle ich mir manchmal die Frage: muss eigentlich alles, was wir sind und tun einen tieferen Sinn haben? Kann man nicht einfach leben, einfach sein ohne dass es einen tieferen Grund dafür gibt?

LG
Bluebird

KaSy:
Ich bin wieder da und danke Euch für Eure Worte, die ich heute erst gesammelt gelesen habe.

Vielleicht ist es gut, sich einfach mal eine Auszeit auch vom Forum zu gönnen.

Ich habe mir auch eine Auszeit vom Sport genommen, nehmen müssen wegen einer etwas länger dauernden Erkältung.
Heute war ich wieder dort und es war gut.

Auch mit dem Vorlesen im Seniorenheim habe ich pausiert, am Freitag wird es auch hier so etwas wie einen Neuanfang geben.

Ja, natürlich vergleichen wir unser Leben immer mit dem Gelebten, womit auch sonst. Auch mein Psychotherapeut sagte mir, dass ich nicht mit meinem Beruf innerlich abschließen könnte, das gehört zu mir, zu meinem Leben.

Und natürlich sind die Kinder und Enkel so sehr wichtig - alle neun (die Partner gehören auch dazu).

Was mich umgeworfen hat, war eine sehr schwere Erkrankung meines Vaters, die er nach Wochen zum Glück sehr gut überstanden hat. Aber währenddessen - als Mensch, der sich so viel mit Krankheiten befassen musste, versteh ich viel zu viel davon und sehe zu viel und habe dadurch viel mehr Sorgen und Angst und innere Zweifel. Jeder Besuch bei meinem Vater, die Arztgespräche, der schriftliche Befund haben mich für Stunden/Tage so sehr nieder gedrückt und das hat sich gesammelt ...

Ein zweites Problem scheint zu sein, dass ich vor solchen Feiertagen wie Ostern, Weihnachten, Geburtstagen Befürchtungen habe, dass ich den Anforderungen nicht gerecht werden kann, die ich an mich selber stelle. Das ist eigentlich völlig unbegründet. Ich vereinfache die Vorbereitungen und erlebe die Feiern als sehr schön. Weil es auf das Zusammensein und nicht auf die perfekte Vorbereitung ankommt. Und dennoch ist da so eine Unsicherheit in mir. Jetzt steht die Hochzeit meines Sohnes an und in die Freude mischen sich unterbewusst Ängste, die garantiert unnötig sind.

Eine dritte Sache war, dass ich die Selbsthilfegruppe aufgeben musste. Ich hatte vor anderthalb Jahren mit sehr viel Einsatz damit begonnen, viel Kraft und Überzeugung hineingesteckt. Das ist nun weggebrochen. 

Das, was Bluebird erwähnte, der lange Aufenthalt in der Psychatrie, war für mich gerade nicht hilfreich. Suizid-Gedanken hatte ich zuvor keine, geriet aber dort dreimal sehr ernsthaft in derartige Extremsituationen. Ich hatte in der gesamten Zeit dort Hoffnung auf Hilfe, die mir letzten Endes nicht gewährt wurde. Es wurden dort Probleme halbwegs bearbeitet, die dort entstanden waren, nicht die eigentlichen Probleme. (Das bestätigte mir mein Psychotherapeut, der dort früher tätig gewesen war und deswegen die Klinik verlassen hatte.) Ich habe noch monatelang, bis zum Jahresende mit Ängsten an diese Zeit zurück gedacht. Mittlerweile ist es etwas besser. Allerdings war mein Vater in der gleichen Klinik, in der dortigen Neurologie. Das hat mir zusätzlich Probleme bereitet.

Das mit einem Hund ist eine interessante Idee, widerspricht aber meiner Tierliebe. Ich kann kein Tier in eine menschliche Umgebung zwingen. Ich genieße jedes Tier, das sich freiwillig und frei in meinem Garten oder sonstwo aufhält und beobachte es regelrecht gierig. (Damit will ich niemandem zu nahe treten, der Haustiere betreut! Es ist eine gute Sache für den, der es will und kann.)

Es stimmt wohl, dass nicht jeder Tag des Lebens einen Sinn haben muss, auch nicht einer pro Woche vielleicht. Aber nach einem Leben "mit täglichem Sinn für andere" ist es schwer, dieses jetzige Leben als richtig zu empfinden.

Und ja, es gibt auch bei mir die Zeiten, wo ich mir sage, dass ich die Krankheit und deren Folgen und dazu noch das Nichtverstandenwerden als etwas empfinde, worauf ich auch stolz sein kann, dass ich das alles geschafft habe und noch schaffe.

Womöglich ist das auch deswegen anders schwer, weil ich gerade nicht sagen kann, ich habe Schmerzen hier oder da oder manchmal oder öfter, sondern weil es "einfach nur" die Belastungsgrenzen und das Ausbremsen durch die Psyche bzw. das Unkontrollierbare dadurch sind, die mich an so vielem hindern. Oder an einigem. Es wird immer wieder so schmerzhaft bewusst - dieser Widerspruch zwischen den Träumen und dem, was ich tatsächlich realisiere. Ja, ich jammere hier. Und noch gräßlicher - es gibt Menschen, die an so schlimmen Krankheiten wie Krebs recht schnell sterben müssen, das ist so schlimm. Aber manchmal denke ich, ist es nicht auch schlimm, mit diesen Folgen so lange leben zu "müssen". Nein, diese Gedanken verbiete ich mir, aber manchmal tauchen sie auf.

Bin ich zu offen? Darf ich es sein? Ich hoffe, hier geht es.

Jedenfalls DANKE an Euch!
Eure KaSy

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