Ein Auszug
Kim
Ein Stockwerk über meiner Station standen vier Computer, damit man jederzeit Zugang zum Internet hatte. Also fuhr ich auch einmal mit dem Rollator nach oben und versuchte mich am Tippen. Es funktionierte sogar, sehr langsam. Ich sah nicht so gut und brauchte immer ein paar Minuten, bis ich alles angesehen hatte und es überforderte mich, wenn ich mehrere Sachen gleichzeitig machen musste. Mir wurde schlecht.
Dabei war ich zuvor total multitasking gewesen. Ich konnte mehreren Leuten zuhören und mich mit jemand unterhalten und dabei noch schreiben und zum Beispiel an die Tafel gucken. Mädchenschule eben. Jetzt saß ich am PC und brauchte meine gesamte Konzentration, total anstrengend
Auf einmal fuhr ein Kerl mit seinem Rollstuhl neben mich. Er war sehr klein, hatte eine Brille und einen Vollbart, also echt nicht mein Fall und fragte: ,,Brauchst du noch lang?” ,,Ich bin gerade erst dran.” Dann ging er nicht weg, sondern guckte mir seelenruhig über die Schulter. Dabei machte ich mich groß und drehte den Bildschirm ein wenig, damit er nichts sah. Aber er ging nicht. ,,Wie heißt’n du? Und wie alt bist du?” Ich gab brav Antworten und war total genervt. Alles was ich wollte war endlich am PC wieder etwas hinzubekommen! Ich konnte jetzt keinen anderen Menschen gebrauchen! ,,Willst du mich mal besuchen?” Äh was? ,,Aber ich hab einen Hund. Magst du Hunde?” ,,Ja, geht.” ,,Kannst du überhaupt Treppen laufen? Wenn nicht muss dir jemand hochhelfen mit dem Rollator.” Hallo? Er hatte doch auch einen Rollstuhl, was sollte das jetzt? ,,Hast du ‘nen Freund?” Ging ihn das was an? Das war jetzt echt ein bisschen dreist. ,,Nein.” Ob er eine Freundin hatte interessierte mich null. ,,Also wenn du dann zu Besuch kommst… also, ich könnte schon dein Freund sein. Kannst du mit dem Rollator rausgehen? Ich bin nämlich gerne draußen.” Ich wollte doch gar nicht! Das Gespräch ging eindeutig in die falsche Richtung. ,,Also überleg es dir mal. Willst du?” ,,Also ich brauch’ da ein bisschen Zeit, ich sag’ dir Bescheid.” Mimimi.
Aber ich konnte ihm ja unmöglich sagen, dass er mich in Ruhe lassen sollte! Das wäre auch gemein gewesen, wo er doch anscheinend kein Glück mit Frauen hatte. Zum Glück war ein Computer frei und er fuhr weg. Das alles war mir viel zu aufdringlich, weshalb ich einfach mitten im Satz offline ging und schnell auf meine Station flüchtete.
Meine beste Freundin schrieb mir noch eine Sms, wo ich denn jetzt hin sei - aber ich konnte nicht da bleiben! Nur weil ich ein Mädchen bin und ihm antwortete hieß das doch nicht, dass ich da jetzt Interesse hatte. Ahh. So Leute taten mir Leid und ich wusste ja auch nicht, ob mich jemals wieder einer attraktiv finden würde - aber deshalb nahm ich doch nicht anspruchslos jeden, der nicht bei drei auf den Bäumen war. Hilfe.
Ich floh in Zukunft so gut es ging vor ihm, also ich sah ihn eh nicht so oft, lag ich doch ständig im Bett und übergab mich. Es reichte mir, dass ich so krank war, ich hätte es nicht ertragen mit jemand zusammen zu sein, der genauso beeinträchtigt war. Und das ist nicht gemein gemeint, sondern einfach nur ehrlich. Ich kannte mittlerweile genug Rollstuhlfahrer, die auch meine Freunde waren. Claus zum Beispiel saß auch im Rollstuhl und war echt ein hübscher Kerl. Also das Vorurteil, dass man sich deswegen schlecht fühlt, ist quatsch. Es ist einfach ein sehr schwieriges Thema, wenn man nicht völlig gesund ist, fühlt man sich sofort hässlich und unattraktiv auch wenn es nicht unbedingt so ist.
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