Bildgeführte HirnchirurgieIntegration von MRT-, fMRT- und PET-Daten in der Neuronavigation
(Quelle:
Uni Ulm)
Als erster interdisziplinärer Arbeitsgruppe weltweit ist es den Abteilungen Neurochirurgie (Prof. Dr. Hans-Peter Richter), Röntgendiagnostik (Prof. Dr. Hans-Jürgen Brambs) und Nuklearmedizin (Prof. Dr. Sven Norbert Reske) der Universität Ulm gelungen, moderne Verfahren der Bildgebung für die Mikroskop-basierte navigierte Hirnchirurgie kombinatorisch zu nutzen. Die Methodik verbindet Standard-Kernspintomographie (MRT), funktionelle Kernspintomographie (fMRT) und Positronenemissionstomographie (PET). An den vom Zentrum für angewandte klinische Forschung (ZAKF) der Universität Ulm geförderten Arbeiten (Projekttitel: »Integration multimodaler Datensätze aus funktioneller Kernspintomographie, Positronenemissionstomographie und Magnetenzephalographie in die kraniale Neuronavigation«) beteiligen sich neben Neurochirurgen, Diagnostischen Radiologen und Nuklearmedizinern neuerdings auch Psychiater (Abteilung Psychiatrie III, Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer). Die von Prof. Richter geleitete Abteilung Neurochirurgie begann mit der navigativen Chirurgie 1995 und hat seitdem mehr als 400 Patienten nach diesem Verfahren operiert.
Hirntumoren unterscheiden sich in ihrem Aussehen selbst unter dem Operationsmikroskop häufig nicht von normalem Hirngewebe. Das ist dann besonders problematisch, wenn ein solcher Tumor eloquente Hirnregionen tangiert, also in der Nähe von Sprach- oder Bewegungszentrum liegt. Die Kernspintomographie (MRT) ist heute die Methode der Wahl zum Nachweis eines Hirntumors. Allerdings gibt sie nicht immer dessen reales Ausmaß wieder. Das Sprachzentrum aber läßt sich unter der Operation am narkotisierten Patienten klinisch nicht prüfen. Infolgedessen verbindet sich mit der Notwendigkeit möglichst radikaler Entfernung des Tumors die Gefahr, daß gegebenenfalls wichtige neurologische Funktionen geschädigt werden.
TumorabgrenzungDie MRT zeigt nicht, wo Sprache, Bewegung oder z.B. das Kurzzeitgedächtnis lokalisiert sind. Jedoch gelingt dies der sogenannten funktionellen Kernspintomographie (fMRT), die die Aktivitätssteigerung von Nervenzellen anhand ihres erhöhten Sauerstoffangebots mißt und abbildet. Im aktivierten Areal ist die Konzentration von Hämoglobin-gebundenem Sauerstoff höher als im nichtaktivierten Areal. Diese Differenz wird gemessen . Das Sauerstoffangebot steigt im Sprachzentrum an, wenn Sprachaufgaben gegeben und mehrfach wiederholt werden. Es steigt im Bewegungszentrum der Großhirnrinde an, wenn der Proband Bewegungen ausführt. Für solche Untersuchungen sind standardisierte Testverfahren entwickelt worden. Nach Fusion der Datensätze von MRT und fMRT weiß man, wo diese Funktionen in bezug auf den Tumor liegen, ob sie durch ihn verlagert sind und wohin, und ob sich beispielsweise sprachrelevante Regionen innerhalb des Tumors selbst befinden, was einer Operation entgegenstände. Da sich aber nicht ausschließen läßt, daß der im MRT sichtbare Tumor nicht mit dem eigentlichen Tumor kongruent ist, bedarf es einer weiteren diagnostischen Maßnahme zur präzisen Ortung: die zuverlässige Abgrenzung gegenüber Umgebungsreaktionen wird von einer Methode gewährleistet , welche die Stoffwechselaktivität des Tumors abbildet - von der Positronenemissionstomographie (PET) mit radioaktiv markiertem C11-Methionin.
Bei der Operation eines Patienten mit im Kernspintomogramm (MRT) diagnostiziertem Hirntumor in oder nahe einer eloquenten Region geht der Chirurg nun folgendermaßen vor: Auf die Kopfhaut werden mehrere Marker aufgeklebt, die sowohl im funktionellen Kernspintomogramm als auch im PET erkannt werden und bis zur Operation aufgeklebt bleiben. Die fMRT- und PET-Bilder werden aufeinander abgestimmt (Matching) und direkt in das Navigationssystem integriert (ein Marker-freier und damit noch genauerer Matching-Algorithmus befindet sich zur Zeit in Erprobung). Zu Beginn der Operation wird der Kopf des Patienten in ein Fixationssystem eingespannt. Dann können die Hautmarker mit dem OP-Mikroskop angefahren und die Schnittbilder (fMRT und PET) mit dem Operationsfeld abgeglichen werden. Während des Eingriffs hat der Operateur die Möglichkeit, die Bilder jederzeit in sein Mikroskop-Gesichtsfeld einzublenden. Auch die Resektionsgrenzen, die bereits vor der Operation festgelegt werden, lassen sich in jeder Ebene des Mikroskop-Fokus sichtbar machen. Ungenauigkeiten, verursacht durch den sogenannten Brain-Shift, das sind Volumenverlagerungen nach chirurgischen Manipulationen (Verkleinerung des Tumors mit daraus resultierendem Nachrücken des umgebenden Gewebes) sind weniger ausgeprägt als anfangs vermutet. Durch Lagerung des Operationsfeldes am höchsten Punkt wird der Liquorabfluß aus dem Kopf minimiert und damit der Brain-Shift reduziert.
Eloquente RegionIn einem Vorversuch (1997-1999) wurden bei 23 Patienten die fMRT-Informationen über Lage und Ausdehnung von Motorcortex und Sprachzentrum indirekt in das Navigationssystem eingespielt. Zur Sicherstellung, daß dabei keine Fehler unterlaufen, war es damals noch erforderlich, den Motorcortex mit Hilfe des sogenannten elektrophysiologischen Monitorings zu orten. Dabei identifiziert man die Furche (Sulcus centralis) zwischen der vorderen und hinteren Zentralwindung des Stirnlappens (Gyrus prae# und postcentralis) mittels der sogenannten Phasenumkehr somatosensibel evozierter Hirnpotentiale. Das Brocasche Sprachzentrum mußte während der Operation am wachen Patienten identifiziert werden. Diese Form des Sprachmonitorings setzt allerdings voraus, daß der Patient, der hierbei unter einer erheblichen emotionalen Belastung steht, nicht nur kooperationsbereit, sondern auch kooperationsfähig ist. Im Juni 1999 gelang erstmalig die direkte Integration der Bilddaten. Seitdem wurden 20 Patienten unter direkter funktioneller bzw. multimodaler Navigation operiert. Seit Anfang 2000 ist es möglich, auch die PET-Daten in der Neuronavigation direkt zu verarbeiten.
Die mit dieser aufwendigen Technik behandelten Patienten hatten sämtlich Tumoren in der Nähe eloquenter Hirnregionen. In diesen Fällen bestand bislang Anlaß zu der dringenden Befürchtung, daß durch die Operation Lähmungen, Sprachstörungen oder beides bewirkt werden könnten. Dank der Kenntnis der genauen Lagebeziehung zwischen Tumor und funktionell wichtigen Zentren ist der Operateur jetzt wesentlich sicherer. Vordem mußte er sich allein auf den Gewebeeindruck unter der Operation verlassen. Die nach der neuen Methodik operierten Patienten, die vor dem Eingriff keine neurologischen Defizite aufwiesen, hatten auch danach keine. In der Hälfte der Fälle, wo präoperative neurologische Störungen vorlagen, trat Besserung ein; die andere Hälfte blieb unverändert. Verschlechterungen wurden nicht beobachtet. Derzeit wird bei Patienten mit Hirntumoren untersucht, ob das Gewebe Tumorzellen enthält, das im normalen Kernspintomogramm tumorverdächtig ist, im PET aber tumorfrei zu sein scheint.