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Das Glück der anderen

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Lucie:
Hallo Evlat,

den Worten von fips kann ich mich anschließen.

Ich habe selbst 2 Kids, die sind 7 und 11 Jahre alt, also noch weit von einer Partnerschaft entfernt. Dennoch habe auch ich den Wunsch, dass meine Kinder gut auf eigenen Beinen stehen können, dass sie in ihrer Partnerschaft glücklich werden, dass sie ihr Leben nicht nur leben sondern auch genießen, bevor ich denn gehen muß. Als Mutter macht es mich wahnsinnig, wenn ich sehe, wie sehr die beiden unter meiner Krankheit leiden, wie sehr es den Alltag besonders meines Großen beeinflußt. Wie sehr wünsche ich ihnen eine unbeschwerte Kindheit und tue dafür sehr viel, auch wenn es mir mal nicht besonders geht. Du solltest dir also nicht extra das Leben schwer machen, deine Mutter ist bestimmt echt zufrieden, wenn du glücklich bist. Und ganz ehrlich - in deinem Alter hast du das Recht, an eine Partnerschaft zu denken. Es ist toll, wie du dich für deine Mutter einbringst, das soll sicher auch so bleiben. Ich habe den Eindruck, dass ihr ein gutes Verhältnis zueinander habt. Respekt!  Dennoch denk mal über diesen Satz hier nach, den ich selbst mal irgendwann gehört habe.... "Eltern sind für Kinder da, nicht Kinder für Eltern." Soll heißen, dass du nicht dein Leben auf später verschieben solltest, sondern jetzt leben darfst. Also nimm das Telefon in die Hand, ruf die Dame deines Herzens an und denke auch an dich! Deine Mutter wird froh sein!

Ich wünsch dir einen schönen Abend.
LG
Lucie

KaSy:
Hallo, evlat,

als Mutti dreier erwachsener Kinder kann ich nur bestätigen, was fips2 Dir schrieb. Ich bin so froh, dass meine Jungs (28; 30) ihre festen Freundinnen haben und auch meine Tochter (26) in dieser Beziehung sehr offen ist. Auch sie mussten seit 15 Jahren meine langen Krankheitsphasen mitmachen und ich hatte dieselben Sorgen wie sie Lucie beschreibt. Aber sie haben damit zu leben gelernt. Und ich bin beruhigt, dass sie ihr Leben leben.
Ich bin sicher, Deine Mutti wird sich darüber freuen, wenn Du ihr erzählen kannst, dass Du jemanden kennengelernt hast. Sie würde Dich vermutlich mir ihr ins Kino scheuchen oder zum Tanzen oder einfach zum Spazierengehen, damit Du ihr dann mit glücklichen Augen von Deinem Leben erzählen kannst, dem Du eine Zukunft gibst. 

Es grüßt Dich
KaSy

evlat:
Hallo Leute,

Danke erst mal für Eure Antworten. Als meine Mama nach der OP noch fit war, hat sie auch deutlich ausgedrückt, dass sie leichter gehen könnte, wenn wir unter der Haube wären. Das Mädel habe ich im Zug kennengelernt, als ich ihr mit ihrem Koffer geholfen habe. Dann kam halt das eine zum anderen. Sie hat wirklich superverständnisvoll auf alles reagiert. Ich hab auch rel. schnell mit offenen Karten gespielt. Sie war eh der einzige Mensch, bei dem ich mich ausgeheult habe. Überhaupt hat sie nur versucht mir eine Stütze zu sein.

Allerdings habe ich gemerkt, dass ich es nicht genießen kann bei ihr zu sein. Es fiel mir schwer, mich auf sie einzustellen. So eine hätte ich mir sonst immer gewünscht und auf einmal ist es mir einfach egal. Es fiel einfach schwer meine Aufmerksamkeit auf meine Familie, meine Mama, meine Arbeit und dann auch noch auf sie aufzuteilen.

Es ist traurig.

KaSy:
Lieber evlat,

natürlich ist das eine große Aufgabe, in der Du gerade steckst. Da nimmt der Kummer viel Platz in Deinem Leben ein. Es wäre auch eigenartig, wenn Du in der Lage wärst, bei Deinem Mädchen auf einmal alle anderen Gefühle wegzustecken, um mit ihr nur noch zu genießen.

Aber wenn es die Richtige ist, dann kannst Du auch offen mit ihr darüber sprechen, warum Du in Deinem Kopf nicht völlig frei für sie bist. Sie wird es verstehen. Lasst es langsam angehen, macht Dinge gemeinsam, wo Du mir ihr gemeinsame Interessen, Gefühle entdecken kannst. Wenn unter diesen für Dich schwierigen Bedingungen eine Liebe entsteht und besteht, dann hast Du die Richtige gefunden.

Gib nicht auf! Das Glück hat Dir DEIN Mädchen gerade in dieser Situation geschickt. Du hast die Chance angenommen, weil Du gerade jetzt und auch für später genau dieses Mädchen brauchst.

Ich wünsche Euch alles Glück und Deiner Mama gute Tage und einen Sohn, dem dieses Glück ein wenig aus den Augen schaut, wenn er bei ihr ist.

KaSy

evlat:
Hallo Leute,

ich hab schon länger nicht mehr geschrieben. Meiner Mama geht es graduell immer schlechter. Gott sei Dank ist sie noch ansprechbar und auch bei Bewusstsein. Das Gehen macht mittlerweile immer mehr Schwierigkeiten. Durch das Kortison degeneriert die Muskulatur weiterhin. Wir versuchen wieder die derzeit 16 mg/d auszuschleichen. Beim ersten mal hatte sie schwere Kopfschmerzen und wir fuhren mit der Kortisongabe fort. Aktuell wird die Low-Dose-Therapie mit Themodal fortgeführt. Das Rezidiv des Glioblastoms wächst zum Glück nur sehr langsam. Zwei Jahre und einen Monat ist es nun her, dass sie am morgen unvermittelt umgefallen ist. Seitdem ist die Welt nicht mehr das, was sie einmal war. Ich habe mir vorgestern mit meiner Freundin zum ersten mal Fotos aus meiner Jugend angeschaut. Meine Mutter auf den Fotos zu sehen hat mich fertig gemacht. Sie war schlank und jung. Auf den Fotos lächelt ist. Steht da. Aufrecht. Heute kann sie kaum mehr die 50 m auf die andere Straßenseite laufen, wenn wir sie in unsere Wohnung bringen. Gepflegt wird sie derzeit bei meiner Oma.

Mein Bruder wurde vor anderthalb Jahren mit seinem Studium fertig. Seitdem pflegt er aufopferungsvoll meine Mutter. Ich sitze hier 250 km entfernt und arbeite. Jedes Wochenende fahr ich zu ihr und versuche meinem Bruder etwas beizustehen, für ihn und meine Mutter da zu sein. Der arme Junge ist nun langsam am Ende seiner Kraft. Er hockt jeden Tag mit meinen manchmal sehr schwierigen Großeltern auf einem Haufen und kümmert sich auf herzzerreißend liebevolle Art um unsere Mama. Dies werde ich nie zurückzahlen können. Er hat sich die ganze Zeit nie beklagt. Nur langsam geht auch ihm die Puste aus. Natürlich geht es auch mir nicht gut. Aber im Vergleich zu ihm habe ich ja zumindest noch die Arbeit als Ausgleich und kann unter der Woche tun, was ich will.

Wir dachten alle, dass die Prognosewerte für die ihr verbleibende Zeit stimmen. Zum Glück geht es ihr noch recht gut und sie ist bei uns. Allerdings müssen wir unseren Alltag organisieren, damit auch mein Bruder und ich unser Leben fortführen können. Es klingt vielleicht komisch, aber die Krankheit meiner Mutter habe ich bereits verarbeitet. Ich habe sie akzeptiert und mache mir keine Illusionen. Aber dass das Leben meines 25 Jahre alten Bruders dadurch auf so negative Art und Weise durcheinandergeworfen wird, macht mir noch größere Sorgen.

Mein Vater ist 55 und noch weit von der Rente entfernt. Was mir und meinem Bruder sauer aufstößt, ist, dass er eigentlich mehr bei ihr sein sollte. Er wird auch nicht fertig damit. Letzte Woche hatte ich ein Gespräch mit ihm. Er sagt, wenn es nicht mehr anders geht wird er kündigen und sich Vollzeit um sie kümmern. Die Machtlosigkeit und Hilflosigkeit ist so schlimm. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Am liebsten würde ich selbst kündigen und mich um sie kümmern. Ich kann es aber nicht. Ich habe vor so vielem Angst. Was sollen wir tun, wenn sie in die präfinale Phase kommt? Wird sie leiden? Wird sie Schmerzen haben? Muss ich als Sohn nicht ständig bei mir sein? Bin ich nicht egoistisch, wenn ich es meinem Bruder zumute, dass er sie pflegt. Ich wache mit einem schlechten Gewissen auf und gehe mit einem schlechten Gewissen ins Bett.

Ich habe diese Thema mit dem Titel " Das Glück der anderen" gestartet. Als ich auf die Fotos gesehen habe, wurde mir klar, dass ich selber glücklich war. Allerdings war ich mir dieses Glückes erst bewusst, als die Krankheit meiner Mama in unserem Leben einschlug.


Euch allen meine besten Wünsche und Gebete


evlat

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