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Das Glück der anderen

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Lucie:
Hallo evlat,

ich schreibe aus der umgekehrten Perspektive, will dir damit aber Mut machen. Also, ich bin selbst betroffen, weiß davon seit Juni diesen Jahres und wurde dann auch operiert und stecke mitten in der Chemo. Ich habe zwei Kids, 10 und 6 Jahre jung. Sie wissen, ihrem Alter entsprechend, Bescheid. Meist ist es so, dass wir normalen Alltag miteinander leben, was auch gut ist. Dann wieder gibt es Tage, an denen mein Großer alle paar Minuten ankommt "Mamali, ich habe dich sooooo lieb!". Köar, einerseits freut es mich, andererseits merke ich, wie sehr es ihn belastet. Für mich als diejenige, die sicher keine 100 wird, ist das schwierig mit anzusehen. Für mich wäre es einfacher, wenn alle ihr Leben genießen könnten.

Dass deine Mutter nun vielleicht keine Enkel mehr erleben kann, zählt in solch einer Situation nicht mehr. Da ist nur noch wichtig, wie das Verhältnis von euch ist. Ist alles gesagt, was gesagt werden mußte? Ist alles getan, was gemacht werden mußte? Mach dir das Leben nicht schwerer. Wir Betroffenen wollen meist gar nicht, dass ihr Angehörigen euch das Leben vermiest. Einfacher gesagt als getan, ich weiß. Aber vielleicht helfen dir diese Worte alles etwas gelassener zu sehen. Und du kannst deine Mutter ja auch weiterhin lieben.

Lass den Kopf nicht hängen.
LG
Lucie

evlat:
Hallo Lucie,

ich verstehe vollkommen, was Du meinst. Weil ich sowieso recht direkt bin, habe ich von Anfang an das Gespräch zu meiner Mutter gesucht. Mich für alles entschuldigt, was ich meiner Meinung nach falsch gemacht habe usw. Sie hat eh immer gewusst, wie sehr ich sie liebe. Durch große und kleine Geschenke wollt ich ihr immer zeigen, was sie mir bedeutet. Jetzt ist das größte Geschenk, das ich ihr machen kann, auf den Beinen zu bleiben und mein Leben so zu führen, wie sie es sich immer gewünscht hätte. Ich weiß nur nicht, woher die Kraft dafür kommen soll.

Drei Monate lang habe ich wie ein Roboter funktioniert, alles mit den Ärzten geregelt, ne Patientenverfügung aufsetzen lassen, mich schlau gemacht, ihr nen Platz in ner Studie besorgt und dabei nachts kaum geschlafen. Ganz nebenbei muss ich einem nicht anspruchslosen Beruf nachgehen. Gelegentlich kommen Gedanken, wie man denn das eigene Leben noch halbwegs lebenswert gestalten kann. Dann denkt man sich, wie egoistisch das denn ist. Mich reißt es hin und her. Was wird mit meiner Mutter, was mit meinem Bruder, was mit meinem Vater, was mit meinen Großeltern, was mit mir. Ich habe außer meinem Rest an Glauben kaum mehr etwas, an dem ich mich festhalten kann. Nicht mal weinen kann ich mehr.

Lucie:
Hallo evlat,

such dir bitte Unterstützung! Allein packst du es nicht. Ich schreibe dir jetzt mal einen Satz, von dem ich weiß, dass nicht jeder ihn versteht, dennoch hoffe ich, dass es richtig bei dir ankommt. Meine Einstellung ist "Eltern sind für Kinder da, nicht Kinder für Eltern". Was nicht heißen soll, dass man die Eltern auf sich allein gestellt lassen soll, aber für alles ist man als Kind nicht da.

Und jetzt noch etwas, ebenfalls wieder aus Sicht einer Betroffenen: Ich will keine Geschenke mehr seit ich krank bin, ich brauch nichts mehr. Meine Familie versteht es nicht, will alles so normal wie nur möglich. Niemand liebt mich mehr, wenn er mir etwas schenkt. Anders herum weiß ich auch so, wie sehr mich meine Kids lieben. Also mach dir das Leben nicht noch schwerer, weil du dir über soetwas Sorgen machst.

Geh arbeiten, mach deinen Job. Und in deiner Freizeit geh zu deiner Mutter, bemüh dich um Normalität. Wenn du deine Kräfte aufbrauchst, kann das nicht gut sein. Deine Tränen sind aufgebraucht? Das ist ein Zeichen, dass du unbedingt an dich denken mußt! Was gibt es Schönes in deinem Leben, wo du dir Kraft holen kannst? Vielleicht tut es dir ja auch einfach gut, hier zu schreiben, wo es Menschen gibt, die dich verstehen.

Versuch bitte, dir einen entspannten Abend zu machen.
LG
Lucie

KaSy:
Hallo, evlat,
wieso willst Du weinen? Um Deine Mutter? Das will sie nicht!
Ich habe selbst auch drei bereits ziemlich erwachsene Kinder und der Mittlere hat mir immer die meisten Sorgen gemacht. Was haben wir uns gestritten! Aber böse sein konnte ich ihm nie. Ich hatte nur immer Angst, dass er fortlaufen könnte. Und ich habe immer gewollt, dass es meinen Kindern gut geht! Wenn es manchmal nicht so war, hat es mir sehr wehgetan. Und das kam zu meinen krankheitsbedingten Problemen noch hinzu. Erst recht, wenn sie sich meinetwegen Sorgen machen mussten und dadurch ihr Leben womöglich einschränkten.
Auch Deiner Mutter geht es so. Sie möchte, dass es euch beiden, ihren geliebten Söhnen, gut geht.

Ja, sie braucht euch jetzt! Aber als ihre Söhne, auf die sie stolz sein möchte. Die ihr Leben selbst gestalten, weil sie euch diesen Weg ins Leben gezeigt hat. Lass sie daran teilhaben. Lass das vordergründig sein in Deinen Gesprächen mit ihr und auch in Deinem Leben!

Denn momentan baust Du Berge um Dich auf, die Dein eigenes Leben einschränken. Dein Leben zu leben ist nicht egoistisch, es ist das, wofür Dich Deine Mutter geboren und großgezogen hat, wofür sie Dich früher so „fürchterliches“ Kind trotzdem geliebt hat.

Es ist ein mächtiger Zwiespalt, in dem Du da steckst und ich beneide Dich garantiert nicht darum. Mir ist es – so seltsam das zunächst klingt – lieber, selbst diese Krankheiten zu haben, als sie bei meinen Angehörigen erleben zu müssen. Weil es so schwer ist, damit als Mutter oder Tochter oder Sohn umgehen zu müssen.

Sollte es Dir weiterhin nur schwer gelingen, das alles zu bewältigen, sollte Dein Leben insgesamt darunter leiden, dann such Dir Hilfe. Frag die Ärzte, suche Beistand bei Gott. Und Du darfst auch Deine Mutter fragen! Sie war immer für eure Sorgen da, das möchte sie auch jetzt! Aber ich bin auch froh, dass Du hier Verständnis gefunden hast! Schreib Dir die Sorgen „von der Seele“, das hat mir selbst oft und immer wieder geholfen.  

KaSy

evlat:
Danke KaSy und Lucie,

das, was Ihr mir als Mütter schreibt, bedeutet mir extrem viel. Ich bin nur ein Sohn und kann nur schwer erahnen, was in einer Mutter vorgeht.

@Lucie

Ich hab vorher auch schon immer versucht meiner Mutter eine Freude zu bereiten. Sie redet heute noch davon, wie sie einmal im Keller stand und 'nen neuen Wäschetrockner mit 'ner roten Schleife daran gesehen hat. Mich hat es immer wahnsinnig glücklich gemacht, ihr ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Heute versuche ich immer Kraft auszustrahlen. Das gelingt mir wohl so gut, dass mein Vater meiner Mutter gegenüber geäußert hat: "Der ist stahlhart."

@KaSy

Ich finde Deinen Kommentar wirklich super. Wahrscheinlich denken alle Mütter, überall auf der Welt und zu jeder Zeit das Gleiche. Was mir Kraft gibt, sind die Opfer meiner Mutter. Alles was sie bis heute für uns getan hat und wie tapfer sie ihre Krankheit meistert. Wenn ich mein Spiegelbild betrachte denke ich mir, "wenn Du jetzt umkippst, dann war alles, was Mama getan hat umsonst." Alleine dafür bin ich es schuldig meinen Mann zu stehen. Meine Mutter will wirklich nicht, dass ich weine. Wenn sie mich alleine rumstehen sieht und ich einen Moment still bin, dann fragt sie gleich "Weinst Du?"


@ Alle Mütter

Wir verstehen Eure Liebe nicht. Wir können sie nicht mal ansatzweise erahnen. Selbst in den schwierigsten Situationen, denkt Ihr noch an uns und würdet Euch sofort opfern. Wir können nicht in Worte fassen, wie sehr wir an Euch hängen. Ihr seid die heiligsten Wesen, die über diesen Planten wandeln. Ihr seid unser Zugang zum Leben. Selbst als Endzwanziger komme ich mir noch vor wie ein kleines Kind, wenn meine Mutter mein Gesicht streichelt.

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