Liebes Dorf-Ei,
ich wurde 1995, 1999 und 2007 an Meningeomen operiert und seit der Bestrahlung im Jan/Feb. 2000 wachsen auf der vorderen Kopfhälfte keine Haare mehr. Nun bin ich aber Lehrerin und wollte es natürlich auch bleiben. Ich war damals erst 42 Jahre alt. Der Strahlentherapeut sagte mir, dass ich eine Echthaarperücke anfertigen lassen sollte, denn den Kunsthaarperücken würde man ansehen, dass es Perücken seien. Ich hatte zufällig auch einen Hautarzttermin in dieser Zeit und die Hautärztin war der Meinung, dass es durchaus sehr gute Kunsthaarperücken gäbe, denen man es nicht ansieht und sie seien auch wesentlich pflegeleichter. Meine Hausärztin gab mir dann eine Adresse, bei der eine andere ihrer Patientinnen sich gut beraten fühlt.
Das ist eine Maskenbildnerin, die für Filmstudios gearbeitet und dadurch enorme Erfahrungen hat. Wichtig ist, dass die Stelle, die Ihr Euch auswählt, über eine große Vielzahl von Perücken verfügt, die man auch probieren kann. Ich habe damals meinen Vater und meinen Sohn mitgenommen, die viel mehr Geduld als ich hatten und erst als mein Vater sagte: "Das ist meine Tochter." und mein 19-jähriger Sohn es bestätigte, entschied ich mich für diese Perücke.
Es ist eine Kunsthaarperücke, der man es nicht ansieht. Man wäscht sie mit einem Spezialmittel alle Woche oder alle zwei Wochen, je nachdem, wie oft man sie trägt. Es ist sogar weniger schlimm, wenn sie mal vom Regen oder Schnee nass wird, die Frisur ist nicht gleich hinüber wie es bei normalen Haaren oder einer Echthaarperücke der Fall sein kann. Ich passe auf, dass die Haare nicht zu gut gestylt sind, damit es nicht künstlich - wie nach dem Friseurbesuch - aussieht. Es war für mich sehr wichtig und äußerst beruhigend zu hören, dass nicht nur in der Schule niemand es bemerkte, sondern sogar die Hautärztin und auch der Strahlentherapeut und der Neurochirurg, die es ja wussten, mich ehrlich fragten, ob das meine eigenen Haare seien.
Allerdings hält eine Kunsthaaarperücke weder Fön noch die Backofenhitze gut aus, aber das lässt sich vermeiden. Der zweite Nachteil ist, dass sie nur ein oder ein halbes Jahr getragen werden kann. Meine "Perückenfrau" sagte mir, man würde ja einen Pullover auch nicht ein Jahr lang täglich tragen.
Damit der Perückenwechsel gerade in der Schule nicht auffällt, habe ich in den ersten Jahren immer in den Sommerferien eine neue besorgt (immer die gleiche, erst im Jahr 2008 traute ich mir eine mit Strähnchen zu) , und sie bis zum Schuljahresbeginn wenigstens einmal gewaschen.
Die jeweils alte nutze ich zum Schwimmen und zum Sport, wechsle in der Umkleidekabine und gehe mit trockenem und rasch gekämmtem Kopf nach Hause. Bei Klassenfahrten, wo ich mitunter ein Zimmer mit einer Begleitperson teilen muss, lasse ich sie auch nachts auf.
Ich habe damals sehr lange gebraucht, um mich mit der Perücke sicher zu fühlen. Ich wollte nicht, dass mich alle Leute komisch angucken, denn ohne würde ich mich niemandem zutrauen wollen. Ich laufe zwar zu Hause mitunter ohne, meist aber mit Basecap, Kopftuch oder Kapuze rum, auch im Garten. Aber der Blick in den Spiegel morgens und abends erinnert mich immer wieder an diese Krankheiten.
Für Euch käme zu dem wahrscheinlich irgendwann auftauchenden psychischen Problem, blöde und vor allem mitleidig angeguckt und für nicht ganz richtig im Kopf gehalten zu werden, was man mit größerem Abstand von den vielen OP und einem Sich-immer-besser-fühlen nicht mehr möchte, das Finanzielle dazu. Die Krankenkassen bezahlen nur für Frauen teilweise die Kosten für eine Perücke. Meine kostet mehr als 300 Euro, es gibt deutlich höhere Preise. Die Barmer übernimmt zur Zeit fast alles. Allerdings spart man sich natürlich die vorher notwendigen Friseurkosten, die sich auch bei einem Mann auf deutlich mehr als 100 Euro im Jahr summieren.
Ich habe wegen meiner Tätigkeit in der Öffentlichkeit auf Antrag einen höheren Anteil von der Krankenkasse erhalten, bevor er jetzt angehoben wurde. Ihr müsstet Euren (Haus-)Arzt überzeugen, ein Rezept (Hilfsmittelverordnung) zu schreiben, wo auf Grund der kosmetischen Problematik eine Perücke verordnet wird. Der Perückenmacher begründet das für die Kasse sicher auch. Ihr könnt es auch selber vorformulieren. Meine Perückenfrau macht auch die Abrechnung direkt mit der Krankenkasse. Und wenn das mit der Finanzierung nicht klappt, dann könnt Ihr Euch immer noch entscheiden, ob Ihr die Kosten auf Euch nehmen könnt.
Natürlich kann Dein Mann auf Dauer auch ohne künstliche Haare herumlaufen. Bei uns im Ort gibt es einen Mann, der es tut. Ich kenne ihn und seinen immer schon nicht gerade guten Charakter bereits länger und da paart sich in meinen Augen sein unangenehmes Auftreten mit dem unverschuldeten Aussehen.
Auf Deine Anfangsfrage "Hilft eine Perücke?" kann ich mit meiner heutigen Erfahrung für mich sagen: Die Perücke half mir, dass mir andere die Krankheit nicht ansahen und ich es dadurch leichter hatte, die Krankheit ungesehen mit mir herumzutragen und im Alltag und im Beruf normal auftreten und arbeiten zu können. Die Krankheitsfolgen psychischer Art trage ich seit wenigen Jahren in wachsendem Ausmaß mit mir herum, wenn man mir das äußerlich auch noch ansehen würde, würde ich mich in den häufiger auftretenden traurigen Momenten, wo einen das Selbstwertgefühl zu verlassen droht, gar nicht mehr aus dem Haus trauen. Insofern kann eine Perücke einen hohen psychologischen Wert für das relative und ständige Wohlbefinden haben.
Kratzen tut sie übrigens bei mir nicht, man schwitzt auch nicht darunter, da sie wesentlich dünner ist als die Karnevalsperücken. Und vom Kopfe fliegt sie auch nicht - obwohl ich da auch heute noch meine Bedenken habe und bei starkem Wind irgendwie sichernd reagiere.
Ich entschuldige mich bei allen Lesern, dass der Text so lang geworden ist, ich wollte mit meinen Erfahrungen gern helfen.
Liebe Grüße
KaSy