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Psychisches Tief nach Meningeom-OP--- Vorstellung Lilly (Angehörige)
Lilly29:
Hallo!
Bin neu hier und suche jemanden, der mich versteht.
Anfang des Jahres wurde bei meinem Freund (33) nach zwei cerebralen Krampfanfällen ein Meningeom festgestellt, das kurz darauf operativ entfernt wurde. Die Diagnose: Meningeom WHO II. Die OP hat er relativ gut überstanden, eine Woche später kam es jedoch zu einem erneuten Krampfanfall zu Hause, der rechtsseitige Lähmungserscheinungen nach sich zog. Es folgten 4 Wochen Reha, die Lähmungserscheinungen waren Gott sei Dank nur vorübergehend.
Zum Zeitpunkt des ersten Anfalles war unser jüngstes Kind gerade mal 2 Wochen alt. Für unsere Tochter (7) waren die Anfälle besonders schlimm, da sie zwei davon miterlebt und bei einem sogar eine Zeit lang alleine mit ihm war. Obwohl ich versucht habe, viel mit ihr darüber zu reden, habe ich das Gefühl, dass sie das ganze noch nicht verarbeiten konnte.
Meinem Lebensgefährten geht es seit der Reha psychisch sehr schlecht. Er zieht sich von mir zurück, möchte lieber alleine sein, möchte aber mit mir auf keinen Fall über seine Probleme reden. Ob es zwischen uns noch eine Beziehung gibt, kann er mir nicht sagen. Ich habe stark darunter zu leiden, da ich seit der Erkrankung gemerkt habe, wie sehr ich ihn noch liebe und nun so zurückgewiesen zu werden, verletzt mich umso mehr. Weiters habe ich auch selbst damit zu kämpfen, die Anfälle und die Diagnose (warum konnte es kein Men. WHO I sein??) erst zu verarbeiten. Ich könnte tagsüber nur heulen, was ihn wiederum nur noch mehr runterzieht.
Es tut mir weh, ihn so leiden zu sehen und ich kann ihm nicht helfen. Eigentlich müsste ich ihm Kraft geben, ihm beistehen und ihn vor allem aufmuntern - es hätte ja noch VIEL schlimmer kommen können!!
Diese Woche hat er einen Termin bei einem Psychotherapeuten und bei einem Neurologen. Ich hoffe, dass ihm zumindest einer der beiden helfen kann. Ich glaube es wäre sehr wichtig, unsere Beziehung wieder ins Gleichgewicht zu bringen, damit wir Kraft haben für die nächsten Jahre.
:'(
KaSy:
Liebe Lilly29,
ich bin selbst seit 1995 Meningeom-Patientin, wurde dreimal operiert, zwei der Meningeome waren WHO III und ich gehe nach wie vor arbeiten, obwohl auch ich seit der letzten OP (Dezember 2007) mit psychischen Problemen sehr zu kämpfen habe. (Siehe auch mein Thread "Aus dem Tief kommen").
Bereits diese kurze Darstellung könnte Dir ein wenig Optimismus bringen.
Bei Euch beiden ist es eigentlich eine sehr kurze Zeit, die Ihr mit dieser schrecklichen Krankheit konfrontiert seid. Und jeder von Euch steckt anders darin.
Du willst ihm helfen, willst ihn für Deine Kinder und für Dich als Mann und Papa haben und so behalten dürfen, wie Du ihn bisher kanntest. Du siehst, wie er leidet und bist hilflos. Du willst Deine Kinder vor diesen Anblicken schützen und es gelingt Dir nicht so, wie Du es möchtest. Und Du bist plötzlich allein für die Kinder und für Deinen Mann verantwortlich.
Dein Freund war und ist einer tödlichen Krankheit ausgesetzt. Er hat von heute auf gleich enorm viele Erlebnisse im Zusammenhang mit den Anfällen und der Operation samt allem, was damit zusammenhängt, durchmachen müssen. Was soll er Dir sagen und erzählen, wenn er noch kaum ausreichend die Zeit hatte, das alles zu verarbeiten. Für ihn ist auch eine Welt zusammengebrochen. Er ist vom leistungsfähigen und glücklichen Mann und Vater zu einer hilfsbedürftigen Person geworden und ich glaube, dass das für einen Mann noch schwerer zu ertragen ist. Auch die 4 Wochen Reha haben ihn viel zu verarbeiten gegeben, aber sicher auch viel geholfen.
Lass ihm Zeit!
Rede ihm zu, sowohl den Neurologen als auch den Psychotherapeuten intensiv zu nutzen. Begleite ihn, wenn es Dir möglich ist. Sollte er unzufrieden mit einem der Ärzte sein, kann man auch wechseln. Macht die Termine dringend. Er wird vermutlich Medikamente erhalten, sollte aber unbedingt begleitend eine Psychotherapie machen!
Zeig ihm Deine Liebe!
Erinnere Dich an das, was ihm zuvor gefiel und mache ihm damit kleine Freuden. Mach ihn auf die Entwicklung Eurer Kinder aufmerksam, aber auch auf das Erwachen der Natur. Lenk ihn von seiner Krankheit ab. Versuche nicht, in ihn zu dringen, das ist für ihn einfach verdammt schwer, in dieser Situation so offen zu Dir zu sein, wie Ihr das bisher gewohnt wart. Er braucht Zeit und mit der Zeit und ärztlicher Hilfe wird er sich wieder Dir nähern, sich für Dich und die Kinder mehr interessieren können. Ihr seid jetzt in dieser Phase, wo es bei einer Hochzeit heißt: "... in guten wie in schlechten Zeiten ..." Glaub fest daran, dass die guten oder zumindest bessere Zeiten wiederkommen werden!
Du musst jetzt viel Kraft für Ihn, Deine Kinder und Dich haben - so wie er momentan viel Kraft ersteinmal für sich benötigt.
Ich wünsche Dir, dass Ihr mit dieser Situation nach und nach besser klarkommt!
Und schreib weiter, wie es Euch ergeht!
KaSy
Lilly29:
Liebe KaSy!
Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort!
Du hast mir ein Stück weit die Augen geöffnet, mir geholfen, die Situation wieder aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Mittlerweile bin ich einfach überfordert, auch mit den Kindern. Und es stimmt, ich möchte ihn als Mann und Papa so wie er war behalten dürfen – er war der geborene Familienmensch, immer für uns da, ich war so gut wie nie alleine, die ganzen 10 Jahre lang. Das ist nun anders, womit ich zu kämpfen habe. Ich möchte ihn nicht verlieren!
Leider habe ich dadurch anscheinend komplett aus den Augen verloren, wie es ihm mit der Diagnose gehen muss (und auch mit den Nebenwirkungen des Antiepileptikums)! Hab mir große Sorgen gemacht, wollte ihn nicht alleine lassen, hab eigentlich richtig geklammert. Nach der OP ging es ihm überraschenderweise richtig gut (bis zum 3. Anfall), er war richtig gut drauf, sodass man das Gefühl hatte, er kommt mit der Diagnose gut zurecht. Dass diese „Euphorie“ aber von der hohen Cortisongabe gegen die Hirnschwellung kommt, weiß man als Laie nicht! Und als ich merkte, dass er sich von mir zurückzieht, fing ich unbemerkt an, Liebesbeweise von ihm einzufordern und hab aber nicht gemerkt, wie sehr ich ihn eigentlich damit unter Druck setze! Das alles ist mir erst jetzt klar geworden!
Ich bin froh, dass er nun entschieden hat, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dagegen hat er sich anfangs strikt gewehrt.
Das Schlimme ist, dass man bei so einer Diagnosestellung absolut KEINE Ahnung davon hat, was einen erwartet. Man hört das Wort „gutartig“ und ist erleichtert. Dass die Zeit trotzdem eine irrsinnig schwere Zeit wird, kann man in keinster Weise erahnen!! Freunde und oft auch Familie glauben, mit der OP sei alles geschafft. Über die Zeit danach machen sich nur wenige Gedanken und sind ganz erstaunt, wenn sie hören, dass es uns NOCH IMMER nicht so gut geht…
:-\
Lilly
KaSy:
Liebe Lilly,
es ist gut, dass Du Deine Sicht ändern konntest, weil das Euch beiden und Eurer Familie gut tut. Es ist hart, Du bist überfordert, er auch und auch Deine Kinder. Es ist für Euch ein ungewollte Bewährungsprobe, die Euch das "Schicksal" auferlegt hat - aber Ihr werdet das meistern!
Die Euphorie, die Du bei Deinem Freund bemerkt hast, hatte ich auch nach jeder OP. Sie hängt auch direkt davon ab, dass der Betroffene vor der OP eine unheimlich große Angst entwickelt. Nicht vor der OP an sich, die bemerkt man ja eigentlich nicht. Aber vor dem Danach. Werde ich wieder aufwachen? Werde ich so sein wie vorher? Werde ich alles bewegen können? Werde ich sprechen, hören, sehen können? Werde ich meine liebe Frau wiedererkennen? Wie wird sie mich sehen, den jetzt schwachen Mann. Werde ich mein neugeborenes Töchterchen noch genauso lieben können und werde ich die Kinder in ihr Leben begleiten können?
Diese vielen Befürchtungen lösen sich nach der OP recht rasch fast oder ganz vollständig auf und machen Platz für eine riesige Erleichterung.
Aber so wie die Bekannten glauben, dass mit der OP alles überstanden sei, ist es tatsächlich nicht. Die schlimme Diagnose ist nach wie vor da und nimmt sich ihren Platz und verdrängt die anfängliche Freude. Der Heilungsprozess dauert lange, viele Monate bis evtl. Jahre, (wenn alles gut geht), bis das Gehirn diesen schockierenden Eingriff so überstanden hat, das man selbst wieder mit sich ganz oder wenigstens weitestgehend zufrieden ist.
Diese Euphorie tritt womöglich nicht bei jedem auf, aber mir hat es nach der dritten HT-OP eine sehr frühe Entlassung bereits nach drei Tagen und ohne AHB (Anschlussheilbehandlung = Reha spätestens 2 Wochen nach Krankenhausentlassung) eingebracht - statt dessen durch einen zu frühen Arbeitsbeginn psychische Belastungsprobleme, die bereits mehr als drei Jahre anhalten und wo zur Zeit kein Ende einer ständig notwendigen Therapie abzusehen ist.
Nach den ersten beiden OP war ich zur AHB und wenigstens ein halbes Jahr krank geschrieben, ein weiteres halbes Jahr in der schrittweisen Wiedereingliederung in den Beruf und das war nicht zu wenig!
Nach meinem Eintrag heute war mir noch eingefallen, dass es mir auch so ging und mitunter auch immer noch so geht, dass ich meinen Angehörigen so wenig Sorgen wie möglich machen möchte. Ich dachte stets, dass es für die anderen viel schlimmer ist, dass sie sich so große Sorgen um mich machen müssen und ich wollte nie erleben, mir um meine Kinder so große Sorgen machen zu müssen. Ich selbst muss durch diese Krankheit durch, aber die anderen wollte ich so weit wie möglich verschonen. Das ist eigentlich "bekloppt", aber ich denke, dass Dein Freund auch sieht, wie viel Du ohnehin mit den Kindern jetzt allein leisten musst und nun hast Du ihn nicht mehr nur nicht als Hilfe, sondern er "fällt Dir auch noch zur Last". Das ist für ihn sicher sehr schwer.
Ich wünsche Euch alles Gute in Bezug auf den Krankheits- / Heilungsverlauf und auf Euer gemeinsames Partner- und Familienleben!
KaSy
Iwana:
Hallo Lilly
Auch du als Angehörige hättest das Recht Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, um das ganze mit einer "neutralen Fachperson" zu besprechen und für dich herauszufinden was dein Teil ist den du verändern kannst, was sein Teil ist den er angehen muss. Ich war damals froh dass mein Mann und ich getrennt in Therapie gingen und wir danach das was wir wollten austauschen konnten. So wie ich erlebt habe stellt ein Hirntumor das Leben auf den Kopf und alles wird anders und es braucht viel Zeit um sich an das anders zu gewöhnen. Mein Mann war immer sehr besorgt und hat mich dauernd gefragt ob ich Symptome hätte, dies hat mich zwischendurch genervt, ich hatte dauernd irgendwelche Symptome wusste aber damals noch nicht was das bedeutet, musste meine Krankheit zuerst kennen lernen und lernen welche Symptome "Normal" sind und welche jetzt erwähnenswert und neu. Ist ein schwieriger Weg der jedoch zu meistern ist. Bei uns gab es auch Phasen von extremer Annäherung und dann aber auch Phasen von viel Distanz.
Mit der Zeit haben wir dann auch gemeinsam Gespräche gemacht bei der Psychologin meines Mannes, und schlussendlich nahmen wir sogar unseren damals zweijährigen Sohn mit zu einem Gespräch. Es ist einfach wichtig, dass alle erfahren dass man darüber reden kann und dass nicht jeder die Erkrankung gleich verarbeitet, den gleichen Weg wählt. Das sieht man hier auch im Forum, zum Teil melden sich Angehörige und Betroffene nicht oder umgekehrt. Und ich denke es gibt so viele Wege die man gehen kann, denke ihr werdet mit der Zeit auch einen finden der für euch stimmt.
Und wenn ihr Hilfe dazu braucht, habt ihr die Möglichkeit von Einzeltherapie (je ein Therapeut der nicht der gleiche sein sollte) oder auch Paartherapie (beide gehen gemeinsam zu demselben Therapeuten).
Gruss Iwana
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