Lieber Probastel,
ich spüre nun wirklich, dass hier Menschen sind, die einen verstehen. Außenstehende wissen nicht, was Patienten und deren Angehörige die ganze Zeit erleben und mitmachen. Nachdem ich mich Anfang Januar habe krankschreiben lassen, um bei meinem Mann zu sein, hatten Kollegen Mitleid. Verständnis wäre angebrachter gewesen. Ich bereue diesen Schritt nicht, denn er hat mir ermöglicht in jeder Situation bei meinem geliebten Thomas und meinen Kindern zu sein. Die Zeit war schwer und mein Mann hat sich nicht nur körperlich sondern auch von seinem Wesen her sehr verändert. Die Situation war nicht leicht. Deshalb war es für mich auch sehr wichtig bei ihm zu sein. Natürlich kann ich auch verstehen, dass es für manch andere Ehepartner in dieser Situation unerträglich ist und sie nicht damit klarkommen. Ich habe mir in dieser Situation immer vorgestellt, wie glücklich ich wäre, wenn ich einen zuverlässigen Partner an meiner Seite hätte, der mir Unterstützung und uneingeschränkte Liebe schenkt. Wäre ich erkrankt, hätte ich auch auf seine Hilfe zählen können. Thomas wußte, dass ich mich immer um alles gekümmert habe und er keine Angst haben muss. Selbst beim MRT saß ich mit Ohrstöpseln und Kopfhöhrern bei ihm, um ihm die Angst zu nehmen. Wenn es Probleme gab habe ich recherchiert und mit Ärzten gesprochen. Bei allen 7 OP's habe ich vor der Türe gesessen, meinen Talismann erdrückt und gewartet, dass alles gut verläuft und ich zu ihm auf die Intensivstation konnte. Egal ob es 2 Uhr am frühen morgen war oder nachmittags. Bis einen Tag vor seinem Tod habe ich ihn alleine gepflegt, aber dann gemerkt, dass ich es kräftemäßig nicht mehr geschafft habe. Einen Palliativarzt haben wir auch gefunden, der zwei Tage vor seinem Tod in unserem Haus war. Er wollte mir auch gut zureden, Thomas ins Hospitz zu geben, damit ich auch etwas zur Ruhe kommen könnte. Das kam für mich nicht in Frage, weil ich schon so weit mit ihm gegangen war, dass ich ihn auf seinem letzten Weg nicht alleine lassen wollte. Ruhe hätte ich keine gehabt, wenn ich ihn nicht in meiner Nähe gehabt hätte. Er wollte kämpfen und ich habe ihm versprochen ihn dabei zu unterstützen. Das war sehr wichtig. Nachdem Thomas verstorben war, kam der Palliativarzt ins Haus. Er begrüßte mich mit den Worten :"Heute ist ein schöner Tag!" Ich stutze einen Augenblick, aber er sagte mir dann, dass wir ja schließlich Thomas Leiden nicht verlängern wollten, sonder ihn davon erlösen wollten. Dies wäre ja nun auch so eingetroffen. Er hatte absolut recht. Der Verstand war da, aber das Herz schmerzte fürchterlich. Als ich Herrn Prof. Sabel darüber unterrichtet habe, dass Thomas verstorben ist, habe ich ihn darum gebeten alles zu geben und weiter diese schreckliche Krankheit zu erforschen, damit dieses Leid ein Ende findet. Leider ist man noch am Anfang, aber ich hoffe so sehr, dass es irgendwann eine Behandlung gibt, die zum Erfolg führt.
Nicht nur Weihnachten macht uns besonders traurig. Einen Menschen, den man liebt, vermisst man in jeder Situation, in jedem Augenblick. Es ist erst ein halbes Jahr vergangen und trotzdem greift man oft zum Hörer und möchte ihn anrufen, oder eine Mail schreiben. Manchmal glaubt man sogar er kommt jeden Augenblick zurück. Es braucht alles seine Zeit. Die Trauer und die Verarbeitung, sowie ein Neuanfang in anderer Form als gewünscht.
Ich wünsche allen Patienten und Angehörigen sehr viel Kraft und Mut. Eine Bitte, verliert die Hoffnung nicht, denn bekanntlich stirbt sie zuletzt.
Liebe Grüße
Mary