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Autor Thema: Schmerztagebuchführung- Eine wichtige Hilfe die richtige Diagnose zu stellen.  (Gelesen 15607 mal)

fips2

  • Gast
Lieber Kopfschmerz, oder von irgendwelchen andern Schmerzen geplagter Leser.

Ich will hier auf die Führung eines Schmerztagebuches eingehen, um den Sinn und Zweck dieses sehr wichtigen Hilfsmittels zu erläutern.

Als erste Frage wird wohl kommen: Warum soll ich das machen und was soll es mir bringen?

Nun ja.
Wenn man sich vorstellt, dass es über 250 verschiedene Kopfschmerzarten gibt, kann man leicht erahnen, dass man da irgendwie eingrenzen muss, um eine gesicherte Diagnose zu stellen.
Deshalb bekommt man auch von JEDER seriösen und gewissenhaften Kopfschmerzambulanz, erst mal einen Fragebogen und ein Kopfschmerztagebuchvordruck zugesand, den man ausfüllen soll und mindestens 4 Wochen lang führen soll. Das hat also jetzt nichts mit vermeindlicher Terminhinauszögerung zu tun, sonden schon seinen Sinn.
 
Warum das?

1. Wer kann mit Sicherheit über Wochen sagen, wie viele Kopfschmerzattacken er hatte, wie lang sie gedauert haben und wann sie aufgetreten sind?
Lügt euch nicht in die eigene Tasche.  KEINER!!!!!

Es wurden dazu Studien von Schmerztherapeuten durchgeführt, die eindeutig Folgendes belegen.

Wenn man einen Patienten fragt, wie oft er Schmerzattacken in einen gewissen Zeitraum hatte und ob sich der Verlauf gebessert oder verschlechtert hat, antworten 100% der Patienten anders, als es im Tagebuch aufgezeichnet wurde. Nicht weil sie zu dumm wären dazu, oder lügen. Nein.
Ein ehrlich geführtes Tagebuch lügt nie. Aber ein Patient antwortet und schätzt nach seiner momentanen subjetiven Stimmungslage ein. Das ist meist falsch so und zu 100% erwiesen, dass die Patienten hier leider Einschätzungsfehler machen.
Durch diese Einschätzungsfehler kommt es natürlich zu Fehldiagnosen,welche eine schnelle, optimale Behandlung hinauszögern bzw. erschweren. Also die o.a. Zeit ist durchaus gut investiert. Bei Schmerzerkrankungen muss sich der Arzt ganz allein auf die Aussagen des Patienten stützen, zumal wenn keine physischen Gründe zu diagnostizieren sind.

2.Jede Kopfschmerzart unterscheidet, außert sich, unter Anderem ,in typischen Zeitmustern des Auftretens, in Anzahl, Tageszeitraum, Länge, Schmerzstärke, Schmerzgebiet am Kopf und vielen anderen Kriterien. Wichtig ist nun zumindest folgende Daten festzuhalten, damit der Arzt schon ein gewisses Muster herauslesen kann.

Man hat also schon mal, wenn man diese Sache im Voraus gemacht hat, den Vorteil, dass man viel früher einen Termin beim Facharzt bekommen kann, da diese Tagebuchführung schon gemacht ist.

3. Ein anderer, wichtiger Punkt ist festzuhalten, was man an Medikamenten täglich einnimmt. Auch für andere Erkrankungen die man hat. Man kann dann ganz genau nachvollziehen, welche Wirkung von Medikationsänderungen, welche Wirkung auf den Kopfschmerz bewirkt. Egal ob positiv oder negativ.
Es gibt ja durchaus auch Medikamente, welche Kopfschmerzen triggern(auslösen) können. Gerade das ist oftmals, wenn man bei mehreren Ärzten in Behandlung ist gefährlich, wenn der eine Arzt nicht weis was der Andre verordnet hat, oder sich an der Medikation des Kollegen nicht orientiert, bzw. die Wechselwirkungen und Anamnese nicht beachtet. Da bekommt man evtl. Medikamente gegen eine Erkrankung XYZ im Bauch oder Brust, die bei einer entsprechenden Kopfschmerzart diese zu 100% triggert.

Beispiel: Für Clusterkopfschmerzpatienten ist Nitro, das für Arterienerweitung bei Herzinfarkt und Angina pectoris eingesetzt wird, ABSOLUT TABU. Nitro ist ein 100%iger Trigger für Clusterattacken, die auch dann nicht mehr mit Notfall-Medikamenten abzubrechen sind. Ein Clusterpatient erlebt dann die "schönsten" Attacken, die ihn vor lauter "Freude" aus dem Fenster springen lassen könnten.
Das ist jetzt ohne Spaß gemeint.
4-5 Stunden, das Gefühl einen glühenden Nagel durchs Auge in den Kopf gerammt zu bekommen, hat nichts mehr mit Spaß zu tun. Und das nur, weil ein Arzt die Anamnese nicht hinreichend beachtet hat.
Noch ein Beispiel:
Ein herzkranker Patient nimmt Verapamil (ein Kaziumatangonist) ein. Nun hat er zusätzlich Darmprobleme mit Durchfall. Als schnelle Hilfe gibt ihm der Internist, Apotheker, ohne nachzufragen Loperamid (Ein Opioid das die Darmtätigkeit verlangsamt) oder Imodium akut, das auch Loperamid enthält.
Lopreramid kann normalerweise die Blut-Hirnschranke nicht überwinden, aber Verapamil macht in diesem Falle die Blut-Hirnschranke für Loperamid durchlässig.
Im harmlosesten Falle, hat der Patient Haluzinationen(nanu? Alles so schon bunt hier :-) ). Im schlimmsten Falle kommt es zu Atemlähmungen, die tödlich enden können.


Lange Rede, kurzer Sinn.
Es hat schon seinen Sinn so ein Tagebuch zu führen. Je früher und kosequenter, je besser.
IMMER ZUM ARZT, BESONDERS BEI ERSTBESUCHEN, MITNEHMEN UND VORLEGEN

Ja wie führ ich so ein Tagebuch?

Grundsätzlich.
Ganz egal wie, nur führen soll man es.

Als Erstes beschreibt man ein mal möglichst genau wie sich die Kopfschmerzen äußern.
Wie sie Auftreten, welche Vorzeichen sich andeuten, wo sie beginnen(im Nacken, an der Stirn), wo sie sich konzentrieren, ob halbseitig oder der ganze Kopf betroffen ist. Dann auch noch festhalten, ob das Gesicht sich rötet, ob man Fieber bekommt, ob man ruhig oder unruhig ist. Schlichtweg alles aufschreiben auch wenn es noch so unwichtig erscheint.

Wie es jeder macht, und wie er am besten damit zurechtkommt ist egal, die Hauptsache übersichtlich. Also nicht jeden Tag einen Roman schreiben.
Das liest kein Arzt, weil ihm einfach die Zeit dazu fehlt.
Sinnvoll hat sich für die Aufzeichnungen ein Din A-5 Tagebuchkalender mit 24Std-Einteilung pro Tag erwiesen. Diese Tagebücher bekommt man im Schreibwarenhandel für um die 2-4 Euro , sogar in Kunstleder.

Was halte ich am sinnvollsten fest?

Grundsätzlich alle Medikamente die ich regelmäßig Einnehme.
Das reicht meist einmal pro Monat und immer bei Änderungen.

Taglich festhalten, bei jeder Attacke
1.Beginn der Kopfschmerzen Uhrzeit
2. Dauer der Kopfschmerzen
3. Stärke der Kopfschmerzen auf einer Skala von 0-10. wobwei 0= kein Schmerz, bis 10= stärkster für den Patienten vorstellbarer Schmerz-kurz vor Ohnmacht.
4. Evtl eingenommenes Medikament.

Das kann dann so aussehen:
17:30 Uhr, 2Std,  St.8,  2Tabl ASS 500.

Evtl bei Besonderheiten kann man auch mal nen Notiz machen wie:
MRT Dr. Haumichblau Berlin---Ergebnis negativ.

Was soll das mit der Aufzeichnung und Dauer der Schmerzattacken?


Nu ja. Damit wird Schmerz "messbar"
Wenn man die Dauer des Schmerzes mit der Schmerzstärke multipliziert bekomt man einen Indexwert für dieses Schmerzerlebnis.
Damit lassen sich Schmerzerlebnisse miteinander vergleichen und Verläufe darstellen.

Beispiel:
Man hat einen Schmerzattacke von 100 Minuten und der Starke 5. Also 100 X 5 =Index 500
Dann noch Eine von 50 Minuten mit Stärke 5                                   Also   50  X 5 =Index 250
Ergo die ertste Attacke hat genau die hälfte der schmerzbelastug für den Patienten.
Nun kann man alle Indexe des Tages addieren und bekommt dann einen Schmerz-Tagesindex
Wenn man nun Medikamente bekommt und dann, wie beschrieben, die Tagesindexe innerhalb von beliebigenZeiträumen vergleicht, kann man ganz genau den Verlauf der Therapie wie an einer Fieberkurve verfolgen.
Ein unschätzbarer Vorteil und Hilfe für den Arzt.
Ich führe schon jahrelang ein Schmerztagebuch in dieser Form und diese Methode wurde auch von Prof. Kaube, der leitende Arzt des interdisziplinären Schmerzzentrums der Uni Freiburg, für alle Patienten so übernommen und eingeführt.

Es kann auch noch sinnvoll sein, diese Aufzeichnungen in digitalen Tabellen, oder irgend einer digitalen Form ebenfalls festzuhalten.
Ich mach das z.B. für meine Frau regelmäßig.
Sie trägts in ihr Tagebuchkalender ein und ich übertrage vom Tagebuch in die Excel-Tabellen.
Das hat einen entscheidenden Vorteil. Man kann diese Daten schnell und unkompliziert einem Arzt per Mail zukommen lassen.  Gerade wenn der Spezialist einige hundert Kiometer weg seine Praxis hat.
Dann kann man auch noch, wenn es nötig sein sollte, für Versorgungsämter Rentenversicherer usw. die Daten ausdrucken und zu Anträgen beifügen um die Beeinträchtigungen glaubhaft darzulegen.
Auch kann man die Arztbesuche, die man übers Jahr hat, hier wunderbar festhalten, belegen und planen.


Wo bekomm ich so was her?



Es gibt hier eine Homepage eines Freundes von mir, bei dem man sehr gute Schmerztagebücher downloaden kann.
http://clusterhomepage.de/download.htm

Es ist für jeden Geschmack was dabei. Die beiden letzten Downloads in Excel stammen von mir selbst.
Sehr umfangreich mit Fieberkurven und Grafiken. Für User die mit Excel ein bisschen umgehen können aber kein Problem.
Die Letzte davon beruht auf den Vorgaben des interdisziplinäern Schmerzzentrums der Uni-Klinik  Freiburg.

Hier noch einen Seite mit Downloads von Schmerztagebüchern:
http://www.ig-kopfschmerz.ch/forum2/index.php?page=Thread&threadID=116

Bitte nicht daran stören, dass es sich bei den Vorgaben um Clusterkopfschmerz Tagebücher handelt. Man kann da ja selbst Spalten weglassen, hinzufügen oder umbenennen, wie man es für sich selbst am sinnvollsten hält. Man hat zumindest mal eine Grundlage auf der man aufbauen kann.
Wichtig ist nur, dass Arzt und Patient wissen wie die Aufzeichnungen zu lesen sind.
Wer will, oder Fragen hat, dazu, kann sich gern mit mir per PN in Verbindung sezten. Mit Angabe der E-Mailadresse kann ich die Schmerztagebücher auch per Mail zusenden.


Immer gute Befunde und schmerzfreie Zeit.
Gruß Fips2

Beitrag wird bei Bedarf erweitert
« Letzte Änderung: 29. März 2010, 12:25:08 von fips2 »

 



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