Liebe linnea10,
es tut mir sehr Leid für Dich, dass Dich diese OP gerade im Referendariat erwischt hat. Aus eigerener Erfahrung weiß ich, wie sehr man sich nach einem langen Studium danach sehnt, endlich mit den Kindern arbeiten zu dürfen.
Und dann das.
Mir hat man auch immer wieder gesagt, ich soll doch geduldig sein.
Geduldig? Man glaubt doch immer, die Zeit läuft einem davon, man wird alles vom Studium vergessen und man hat sich doch so viel vorgenommen, so viele Ideen, mit denen man gerade den Kindern, die es so besonders nötig haben, richtig gut helfen will. Und reden die von Geduld. Na gut, dann eben Geduld. Drei Wochen? Drei Monate? Jetzt war ich aber lange genug geduldig! Ich muss es jetzt schaffen, klar, wird schon gehen. Und ran an die Kiddis mit voller Kraft. Endlich! Endlich wieder leben und für die Kinder leben. Alles, was ich versäumt habe, jetzt geht es los! ... Und dann geht es doch nicht. Bin ich ein Versager? Bloß weil ich diese OP hatte. So lange kann das doch nicht dauern! Wer soll denn das kapieren?! Ich jedenfalls nicht.
Und ... dann ... muss ... man ... lernen... , ... gaaaaanz ... laaaangsaaaam ... neu ... zu ... beginnen.
Ein Referendariat ist heutzutage ein gewaltiger Hammer, Belastung, wie man sie im Lehrerdasein nie wieder haben wird. Alles konzentriert sich in Dir darauf, JEDE Stunde überperfekt vorzubereiten und durchzuführen und auch noch darauf, Dich selbst kritisch zu hinterfragen. Gestandene Lehrer schauen sich gern solche Stunden an und übernehmen gern Klassen, in denen Referendare tätig sind oder waren, denn einen solchen Unterricht KANN KEIN Lehrer leisten, der das volle Programm zu absolvieren hat und, so gaaanz nebenbei, auch noch eine Familie, Kinder und Freizeit haben und genießen möchte.
Du kannst jetzt nicht mehr und ich verstehe das.
- Entweder versuchst Du, eine Auszeit genehmigt zu bekommen, in der Du aber wirklich nichts tust, nicht an die Schule und an die Dir so wichtigen Kinder denkst und schon gar nicht an die wirklich unheimlich stressbeladene Prüfung. (Ich halte das für unmöglich oder bestenfalls für eine relativ kurze Zeit von ein oder zwei Wochen.)
- Oder Du sagst Dir, es geht vielen so wie mir, es ist die Überlastung während des Referendariats, gerade vor der Abschlussprüfung. Vier Wochen Stress - es scheint unmöglich zu sein, aber das ist bei den anderen auch so. Aber danach, wenn ich es geschafft habe, wenn ich es endlich geschafft habe, trotz dieser bekloppten Krankheit, DANN HABE ICH ES HINTER MIR! Und vor mir liegt die Schule, die Kinder, zu Weihnachten Ferien, in denen ich endlich auch frei habe, dann die Winterferienwoche, die ich mit sehr gutem Gewissen genießen darf, weil ich einige Wochen mit den Kindern gearbeitet habe und zwar allein, ohne dass jemand ständig auf meine Finger schaut, auf mein Tafelbild, ob ich jedes Kind auch wirklich richtig behandele, so wie die Chefin vom Studienseminar es sich vorstellt. Endlich kann ich mich verwirklichen. Meine Vorbereitungen ohne Klassensituation, einzelne Schülerbesonderheiten, Erwartungshaltungen und vorweggenommenen Ergebnissen aufschreiben. Ich muss mich nicht mehr andauernd rechtfertigen, weil die Schüler mal schneller waren, als ich dachte oder es einfach noch nicht schnallten, so dass ich eben noch länger beim Thema verbleibe.
Vier Wochen. Das ist überschaubar. Noch vor Weihnachten kannst Du durch sein.
Und sollte es nicht gelingen - Du hast noch eine Chance. Du kannst noch ein halbes Jahr dranhängen, eventuell mit einer Pause für Dich. Du würdest in Deinem Interesse an eine andere Schule und in ein anderes Studienseminar versetzt werden. Das kannst Du annehmen, musst Du aber nicht. Du kannst Dir auch wünschen, in Deiner Schule zu bleiben, wenn Du Dich dort mit den Kindern und den Kollegen wohl gefühlt hast. Dann musst Du nicht ganz neu anfangen.
Was wäre die Alternative? Diese Frage schwingt ein wenig in Deinem Bericht mit.
Kein Lehrer werden?
Aber was sonst?
Alles noch einmal ganz neu anfangen?
Oder mit dem erreichten 1. Staatsexamen als Sozialarbeiter auf die Straße oder an eine Schule gehen?
Das wäre nicht einfacher.
Und nicht das, was Du willst.
Ich wünsche Dir sehr, dass Du trotz Deiner so lange nachwirkenden Krankheit den Beruf ausführen darfst und kannst, auf den Du Dich so viele Jahre und mit einer so langen Zwangspause vorbereitet hast.
In den Beruf kannst Du - solltest Du zunächst verkürzt einsteigen. Lieber etwas weniger Geld als es gar nicht schaffen.
Ich setze mal voraus, dass Deine Situation ärztlich betreut wird, dass sie den wichtigen Leuten in der Schule / Studienseminar bekannt ist und - dass Du Dich psychotherapeutisch betreuen lässt.
Letzteres würde ich Dir dringend empfehlen, denn wenn sich eine derart Betroffene wie Du sich dem Stress eines Referendariats in einer Förderschule aussetzt, dann ist da vieles, was sich gegenseitig stören kann.
KaSy