Hallo Silvia,
nein, natürlich musst Du Dich nicht schämen. Wir können nichts dafür, dass wir einen Hirntumor bekommen haben. Hätten wir die Wahl gehabt, hätten wir uns wohl alle für einen Schnupfen entschieden, nur hatte keiner von uns die Wahl.
Mir geht es schon auch oft so, dass ich absolut genervt reagiere, wenn irgendjemand mir erzählt, er hätte ja auch solche Kopfschmerzen, der Ärmste. Aber ich weiß auch, dass das oftmals ganz anders gemeint ist. Manche denken nicht bei solchen Sätzen, aber manche wollen einen damit sogar aufbauen. Ich habe das erst kürzlich erlebt: Mein Kopf war kurz vorm Platzen und dann durfte ich mir anhören, dass es meinem Gegenüber ähnlich geht. Was der damit aber zum Ausdruck bringen wollte, war, dass es vielleicht nur an der extremen Hitze und Schwüle lag und nicht bedeuten muss, dass da wieder irgendwas Böses in meinem Kopf passiert.
Und was unsere Söhne angeht: Meiner ist sieben Jahre alt, hat aber damals meine Erkrankung schon sehr bewusst miterlebt, dass die Mama weg war und nach dem Krankenhaus so komisch aussah und seitdem öfters mal eine Auszeit braucht. Wenn er mitbekommt, dass es mir nicht so gut geht oder wenn mal wieder der Begriff Hirntumor fällt, dann kommt er, drückt sich an mich und sagt, dass ihn das traurig mache. So einen kleinen Mann zu trösten ist leicht. Wenn aber einer junger Mann mit 19 Jahren nichts darüber hören will, dann kann ich das gut verstehen. Ich war 19 als ich angefangen habe zu studieren. Ich wollte feiern, meinen Spaß haben, um die Häuser ziehen, aber ganz bestimmt nichts von Krankheiten, vielleicht sogar dem Tod und so widerlichen Dingen wie einem Hirntumor hören
. Und ich glaube, dass in dem Verhalten unserer Kinder - unabhängig vom Alter - immer auch die Angst um die Mutter steckt, egal, ob sie dann kuscheln wollen, das Zimmer verlassen oder tierisch genervt sind. Sie sind jung, sie wollen und sollen leben.
Mein Bedürfnis, über meinen Hirntumor zu reden, hat sich im Laufe der drei Jahre sehr geändert. Anfangs konnte ich nicht darüber reden, dann konnte ich fast nicht mehr aufhören, darüber zu reden (das war auch die Zeit, als ich mir hier angemeldet hatte) und jetzt rede ich, wenn es nötig ist und konzentriere mich auch wieder auf andere Dinge. Es sei denn, es geht mir sehr schlecht, dann steigt auch mein Redebedürfnis wieder. Aber dafür habe ich einige wenige Leute, die es ertragen können.
LG TinaF