Lieber Holger,
Du hast bereits eine gewisse Karriere psychisch bedingter Krankheiten hinter Dir ... , was so nicht stimmt, denn Du steckst noch mittendrin.
Trotzdem bist Du durch das Lehramtsstudium gekommen und bist auch auf Probe verbeamtet worden. Ich nehme mal an, dass Du den Amtsarzt nicht belogen hast bezüglich Deiner Vorerkrankungen. Das würde Dir nun tatsächlich "auf die Füße fallen", wenn Du es nun zugeben müsstest.
Deine vorgeschädigte Psyche schränkt bereits beim Beginn Deiner Lehrertätigkeit Deine Freude am Beruf ein, indem sie Dir fürchterliche Krankheiten einredet. Sie erweist sich als stärker als jede Aussage der Fachärzte.
Die Anforderungen an jeden Lehrer sind in der Schule einfach mal hoch. Gerade am Anfang kann es sehr schwer sein, die Vielfalt der zu bewältigenden Aufgaben in den Griff zu bekommen. Immer wieder kann es geschehen, dass etwas liegen bleibt, dass man etwas vergisst, dass man mit seiner Stunde nicht ganz oder auch gar nicht zufrieden ist ... Und Du hast das denkbar kritischste Publikum vor Dir sitzen und dazu im "Hinterhalt" deren Eltern. Und im Lehrerzimmer vielleicht auch diesen oder jenen hämischen Kollegen.
Du hast geschrieben:
Mein Leben war gerade in der Kindheit wohl etwas schwierig, weshalb ich auch an die Zeit vor Lebensjahr 6 keine Erinnerungen mehr habe. Damals nahm sich mein Vater mit 36 Jahren aufgrund einer psychischen Erkrankung das Leben. Hatte auch in meinen Jungend und ersten Erwachsenenjahren viel mit psychosomatischen Erkrankungen bedinbgt durch Freundinnen zu tun. Einmal Borderline, einmal Magersucht. Kürzlich erkrankte mein Onkel an Lungenkrebs, meine Großeltern werden älter und gebrechlich...
Es gibt vieles was mich psychisch und unterbewusst belasten könnte...
Wurden die von Dir genannten Erkrankungen lange genug von den Fachleuten behandelt?
Wenn Du als kleines Kind, als Jugendlicher und als junger Erwachsener immer wieder die Macht der Psyche über Dich spüren musstest, warum wurden die Therapien nicht fortgesetzt?
Immerhin hast Du sogar einen Neurologen!
Ich achte Deinen Wunsch, Lehrer zu werden und es zu sein, sehr! Hast Du aber auch mit Deinen Psychotherapeuten vorher darüber gesprochen?
Die Arbeit mit Menschen belastet immer den ganzen Menschen!
Du kannst die Schüler/innen nicht einfach wie einen Hammer in die Ecke legen oder wie einen Computer ausschalten. Sie kommen in Deinem Kopf mit Dir nach Hause, verfolgen Dich in den Schlaf. Und es sind nicht die schönen Erfahrungen, die einem nachts durch die Träume geistern. Die vielen kleinen Unzufriedenheiten, der besonders nervende X und die sich verweigernde Y, der frech-dreiste Z erzeugen Angst, die sich in der Ruhe des Schlafes verstärkt. Und dann potenzieren sich damit noch die Gedanken „Schaffe ich das mit der Schule?“ und „Habe ich eine tödliche Krankheit? Oder zwei oder drei?“
Ich will mit meiner Frage, ob Du es vorher mit Deinen Psycho-Ärzten besprochen hast, keinesfalls sagen, dass ein Mensch mit psychischen Problemen nicht Lehrer werden und sein kann. Das kann durchaus von Vorteil sein, wenn man in der Lage ist, richtig mit seinen diesbezüglichen Erfahrungen umzugehen. Gerade die Kinder, die „anders“ sind, die von den Mitschülern weniger gemocht werden oder die andauernd anecken, könntest Du besser verstehen als Deine Kollegen, weil Du deren Erfahrungen bereits in gewisser Weise erlebt hast. Du bist empfänglicher für ihre ungesagten Hilferufe.
Aber Du musst regelmäßig an Dir arbeiten und wirklich eine Therapie begleitend fortsetzen.
Der Verbeamtung sollte es nicht im Wege stehen, wenn Du beim Amtsarzt offen über Deine Vergangenheit, über Deine mehrfach erforderlichen Therapien sprichst, wenn Du sagst, dass Du Dein Ziel, Lehrer zu werden und zu sein, zielstrebig erreicht hast und nun aber merkst, dass Du Probleme bekommst. Du wirst Verständnis erfahren, wenn Du sagst, dass Du unbedingt mit den Kindern arbeiten möchtest, wenn Du von Deiner Lehrertätigkeit begeistert berichtest. Ich glaube, dass der Amtsarzt Dir sogar direkt vorschlagen wird, Deine psychische Gesundheit mit einer Therapie zu stärken. Einen Lehrer, der wirklich gern mit den Kindern arbeiten möchte, wird ein Amtsarzt unterstützen.
Dem Schulamt gegenüber hat er Schweigepflicht und wird es nicht konkret in seinem Gutachten benennen.
Zum Sport: Ich habe auch mal so angefangen, abends laufen. Wenn man nicht die schon fast süchtige Sportskanone ist, klappt das nicht. Man muss den inneren Schweinehund bestechen oder sogar kaufen. Melde Dich in einem Fitnessstudio an oder bei einer Ballsportgruppe oder so. (Achte aber auf die Vertragsbedingungen!!) Und dann kauf Dir richtig gute Sportschuhe und Sportkleidung, darf ruhig „Marke“ sein und teuer. Dann setz Dir feste Termine und ab geht’s. Bei Deiner Psyche werden Dich die Preise für die Klamotten schon in Trab bringen.
Wenn Dich tatsächlich eine Krankheit lahmlegt, dann darfst Du pausieren und musst für Krankheitszeiten nicht zahlen. Es hindert Dich also nichts daran, sofort loszulegen. Ein Mensch, der körperlich fit ist, wird im Krankheitsfalle auch rascher wieder gesund.
Und den Amtsarzt freut es auch, kannst Du glauben.
Zu Deiner gefühlten „Nur-noch-70%-Leistung“ frag ich mal, ob Du dennoch Deine Aufgaben bewältigst? Immerhin bringst Du ja zwischen Unterricht und Konferenzen und den späteren Unterrichtsvorbereitungen immer wieder Zeit für Arztbesuche auf. Könnte es da nicht sein, dass Du 150% Leistung anstrebst und nun merkst, dass 70% oder 80% ab und zu ganz gut ausreichen? Versuch doch mal, Dich auf 100% einzupegeln, mal darf es mehr sein und wenn es mal weniger ist, klappt es auch für eine gewisse Zeit. (Mein Tag hatte auch lange, lange Zeit immer 48 Stunden....)
(Nun reicht es aber mit den guten Tipps von – du wirst es gemerkt haben – einer Lehrerin mit Schul-, Familien-, Hirntumormehrfach-, Sport- und Einfühlsamkeitserfahrungen. Ich kann auch noch 85-jährige Lehrereltern und von drei Kindern einen Lehrersohn + Lehrerin-Frau, beide 32 wie Du, vorweisen. Also geballte pädagogische + meine Krankheitserfahrung obendrauf.)
Melde Dich gern wieder – am Mittwoch nach dem MRT mit KM!
KaSy