Am Sonntag las ich eine E-Mail, in der folgende Sätze standen:
Liebe KaSy,
heute haben wir abgesehen von einem Schauer noch einen schönen Sonnentag. Es soll ja anders werden. Und das passend mit Wochenbeginn.
…
Gestern habe ich im Garten das erste abgeschnitten und so den ersten Herbstschnitt gemacht. Es wird wieder die schwerste Zeit des Jahres für mich, wenn ich das Sterben der Natur auch in unserem Garten einläuten muss.
Die Tage sind schon wesentlich kürzer geworden, ganz schnell ist das gegangen. Die Abendsonne steht schon nicht mehr lange genug über den Nachbarhäusern, damit ich mich daran freuen kann.
Gestern waren sehr schöne Wolkenbilder am Himmel zu sehen.
…
Ich antwortete mit diesen Worten:
Liebe ...
ja, der heutige Tag war sehr schön, es gab keinen Regen, nur Sonne pur und nachts leuchten die Sterne am klaren Himmel. Ich kam nicht so richtig dazu, in meiner Babelsberg-Schaukel zu schaukeln, zu sehr lockte der Garten. Im Gegensatz zu Dir bin ich noch halb im Frühling. Ich habe in der letzten Woche endlich mein Kräuterbeet ansehnlich gestaltet, die Waldmeister unter die Eibenhecke umgepflanzt, wo sie sich wohler fühlen werden. In einem Steingärtchen grabe ich mit meinen Händen nach den lang auslaufenden Wurzeln der Pflanzen, die dort nicht wachsen sollen. Ich hüte künftige Blumen und Bäume, die auf wundersame Weise an allen möglichen Stellen ihre Plätze eingenommen haben, einige pflanze ich an neue Stellen, andere dürfen sich erstmal in einem Topf oder Eimer stärken.
Liebe … , die Natur stirbt nicht !!!
Sie ruht sich aus. Aber erst, nachdem sie durch die geringer werdende Sonnenscheindauer ihre Chlorophyllbildung verringert hat, wodurch das Grün des Laubs verschwindet. Im goldenen Herbst zeigen sich nun die wahren Blattfarben:
In den Linden entstehen gelbe Stellen, wie Goldflecken sehen sie im satten Grün aus.
Die Ahornbäume zeigen stolz ihre roten, gelben, grünen Farben an jedem Blatt und werden sie mit graubraunen Rahmen einfassen, bevor sie schwingend herabsegeln. Die Kinder freuen sich schon auf die langen Ketten, zu denen sie die gezackten Blätter zusammenknoten werden.
Die kleinen braunen Blätter der Birken fallen unbemerkt auf den Boden und bedecken ihn sanft.
Die Birkenpilze zeigen sich zwischen ihnen.
Auch der hübsche Fliegenpilz lockt uns, ihn zu bewundern.
Geduldig behalten die Koniferen ihre Nadeln, die wir nun viel bewusster wahrnehmen. Das dunkle Grün der Kiefern und Eiben, die helleren Lebensbäume, die graugrünen Nadeln der Fichten und Tannen und das Gelb der Lärchen, die den Gesetzen der Nadelbäume nicht folgen und Helligkeit in die dichten Nadelwälder hineinlassen.
Eicheln und Kastanien fallen von den Bäumen und knallen auf die Straßen, Wege, Autos und Köpfe – AUA! Tierchen werden die Kinder aus ihnen basteln, einen ganzen Zoo! Und die Bucheckern liefern die Mützchen für die Zoowärter.
Die Blätter der Kastanien zeigen sich gefleckt und ungesund, aber so sehen sie seit zehn Jahren aus und sterben nicht! Sie dienen den Miniermotten als Nahrung.
Das Laub meiner Hecke wird nach und nach herabfallen und dem Boden seine gesammelten Nährstoffen wieder geben. Die Kleinstlebewesen werden sie verdauen und zu guter Erde verarbeiten. Ich freue mich auf das nächste Jahr, wenn die Hecke wieder wachsen und dichter werden wird. Im Winter darf das Amselpärchen darunter nach dem dort lebenden Futter suchen.
Mein Haselnussstrauch wirft Nüsse herab. In vielen wohnen Würmchen, es sind die kleinen Kinder der Haselnussbohrer. Ich brauche ja auch nicht alle. Und so trenne ich wie Aschenputtel mit ihren Täubchen die guten von den bewohnten.
Als letzte, erst am Ende des Winters, wenn die ersten Bäume ihre Knospen springen lassen, trennen sich auch die Eichen von ihrem Laub, das viele Monate erst braun, dann dunkelbraun, grau und trocken an den Zweigen raschelt, wenn der Wind durch die Zweige dieser ehrbaren Bäume weht.
Aber die Vögel werden sich kaum noch verstecken können und wir können sie bald gut sehen und uns an ihnen freuen, wenn sie sich ans Futterhaus wagen. Werden sie es uns doch danken mit ihrem Gesang, der nicht uns gilt, und mit ihren Kleinen, für die sie im Frühjahr einen Teil der Insekten fangen werden.
Die Nächte werden länger. Bald wird man morgens und abends das Dunkel der Nacht verfluchen oder die klare Sicht durch die laublosen Bäume auf die Sterne und den Mond in seinen verschiedenen Ansichten bestaunen und genießen:
Das Sternbild der Kassiopeia, der Wunderschönen, die aus Eifersucht an den Felsen am Meer gebunden wurde, ist am Himmel zu sehen so wie auch der Held Perseus mit den geflügelten Sandalen, dem unsichtbar machenden Mantel und dem Haupt der durch List besiegten Medusa in der Hand, der die schöne Jungfrau befreit und zur Frau genommen hat.
Das Wintersternbild Orion zeigt sich. Es ist der Jäger mit seinen beiden Hunden, der liebstoll den Frauen nachstellte. Besonders hatten es ihm die sieben Töchter des Riesen Atlas angetan. Der Göttervater Zeus versetzte sie, die Plejaden, deswegen an den Himmel, wo sie als Siebengestirn die Zeit der Saat und der Ernte ankündigen. Dort stellt ihnen Orion immer noch nach. Der berühmte Jäger war aber auch ein großer Angeber und prahlte überall, kein Tier könne ihm je entkommen. Die Göttin Juno sorgte dafür, dass ihm ein Skorpion einen tödlichen Stich in die Ferse versetzte. Doch dem berühmten Heilkundigen Äskulap gelang es, ihn ins Leben zurückzuholen. Der noch heute verehrte Arzt ist als Schlangenträger gemeinsam mit dem Skorpion auf die andere Himmelsseite gesetzt worden, so dass sie Orion nicht begegnen und auch wir sie erst wieder im Sommer sehen werden.
Aber die Zwillinge mit den Hauptsternen Kastor und Pollux leuchten im Winter hell vom Himmel herab und zeugen von der starken Verbundenheit der beiden Brüder über den Tod hinaus.
Sie leben am Himmel weiter und schauen auf uns herab, beobachten, wie wir unser Leben gestalten. Genießen wir es so, wie wir es sollten?
Oder stellen wir den Kummer über die scheinbare Ausweglosigkeit, den Gram über unser so hartes Schicksal über die Freuden und Schönheiten, die uns umgeben?
Liebe … , aus jeder Ausweglosigkeit gibt es einen Weg heraus, den man bald, spät oder nach längerer Suche findet. Jedes Schicksal, das uns so hart und ungerecht erscheint, birgt auch die Chance auf eine Änderung in sich, die wir sonst nie entdeckt hätten.
… … ...
Schau Dir am Wochenbeginn auf Deinem Weg zur Arbeit das noch feuchte Gras am Wegesrand an, lausche dem frühen Vogelgesang, erfreue Dich an dem heller werdenden Tag und lass die Fröhlichkeit des Morgens in Dein Herz und auf Dein Gesicht. Und mit diesem Lächeln wirst Du zu Deinen Kollegen gehen und sie damit anstecken. Der Tag wird viel zu schnell vorbei sein. Und Dein Weg zurück bringt Dich durch die Strahlen der Sonne, die durch die Wolken schauen, an den geöffneten Blüten zwischen den Grashalmen in Dein Zuhause zurück. Und auch der nächste Tag wird ein guter Tag sein.
Denk ihn Dir gut, den Tag. Jeden Tag!
Deine KaSy