Hallo an alle Betroffenen und Angehörigen
ich möchte gern hier die Geschichte meines Partners erzählen und manch einem vielleicht etwas Mut schenken
Mein Freund ist ein junger Mann (damals 26 Jahre alt gewesen), der mitten im Leben stand. Das absolut erste Symptom war das Gefühl, dass die Fähigkeit, Einzuatmen immer öfter für einige Sekunden "ausgesetzt" hat. 2 Pulmologen konnten nichts finden und der Hausarzt empfahl einen Psychologen, da es sich seiner Meinung nach um den eindeutigen Versuch handelte "blau zu machen". Den Kopfschmerzen und der Wesensveränderung haben wir selbst keine Bedeutung beigemessen, man wird ja älter und verändert sich, plus der viele Stress im Job...am 27.Juli 2012 hatte er unglaubliche Kopfschmerzen. Der mittlerweile neue Hausarzt war im Urlaub, seine Sekretärin sagte, dass das eine Sache für einen Neurologen sei. Als ich mit ihm vor die Tür ging, konnte er nicht geradeaus laufen, es zog ihn wahrlich nach rechts. Der Neurologe hatte uns ohne Überweisung oder Termin glücklicherweise dennoch angenommen und zum Ausschluss einer Meningitis in die Klinik geschickt. Dort dann die erste Diagnose: 5x4 cm Hirntumor. Wunderbar mittig im Thalamus! Operativ schwer zugänglich, darum erstmal Biopsie eingeplant. Die ist auch problemlos gelaufen, bis auf das histologische Ergebnis: Glioblastoma multiforme, WHO IV!
Ohne Behandlung wären wohl noch wenige Wochen zu leben. Da er ja noch jung ist, haben sich die Ärzte doch getraut, zu operieren. Dann aber mit Neuronavigation und anderthalb Wochen Vorbereitung! Ergebnis der OP: 40% entfernt, neurologisch bis auf zittrige Hände und mieses Kurzzeitgedächnis alles gut. Da 40% wenig war und er die OP wunderbar überstanden hat, wurde 2 Tage später durch den selben Zugang nochmal operiert. Die zweite OP hat leider ein Gesamtergebnis von 50% des Ursprungstumors gebracht.
Ab dem 15 September 2012 wurde Bestrahlung begleitet von 100mg Temodal jeden Werktag für 30 Tage eingeleitet. Hat nichts geholfen, am 16 November hab ich ihn wieder in der Notaufnahme mit schrecklichen Kopfschmerzen, die wir mit Novaminsulfon und Ibuprofen nicht in den Griff bekommen konnten, eingeliefert. Ein MRT ergab: Rezidiv mit neuen Abmessungen von 5x5 cm! Der Tumor hat den Abfluss des Nervenwassers abgedrückt, sodass dieses sich gestaut hat: NotOP zur Entlastung. Knapp 2 Wochen wurde dann überlegt und er musste mit einem aus dem Kopf ragenden Schlauch leben, aus dem 3-5 Mal am Tag Nervenwasser abgelassen wurde. Die Wahl stand zwischen einer Leitung des Nervenwassers in den Bauchraum (kurz und mehr oder weniger ungefährlich) und dem Versuch, den Tumor ganz zu entfernen (extrem gefährlich). Die Entscheidung meines Freundes lautete "Ich will leben! Machen Sie die große OP!"
Nun nach 12 Stunden OP, die an sich komplikationslos verlief (vielen Dank an dieser Stelle an Prof. Ulrich aus dem Klinikum Offenbach!!!) wachte er auf und war rechtsseitig vollständig gelähmt. Zur Hemiplägie kam eine schwere Aphasie. Kommunikation war absolut nicht möglich, weder durch Zwinkern, noch durch die funktionierende linke Seite. Es war, als würde man mit einer Wand reden, es erfolgte keine Reaktion. Nur hab ich ihm 2h nach OP einen aktuellen Ausdruck seines MRT-Bildes gezeigt, auf dem keine Raumforderung mehr zu sehen war!!! und als ich ihm die zeigte und sagte, dass der Tumor, soweit momentan sichtbar, entfernt wurde, kullerten Tränen! Nach Wundheilungsstörungen und fast verzweifelten Versuchen, mental aufzumuntern kam die Reha, die nach 2,5 Monaten die Fortbewegung für wenige Meter mit einem Gehstock und primitive sprachliche Kommunikation möglich gemacht hatte kamen die nächsten Temodal-Zyklen. An sich typisch für die Hämiparese starke Spastiken in der rechten Körperhälfte, jedoch etwas Kontrolle über die rechte Gesichtshälfte, sodass zumindest das Wasser beim Trinken nicht mehr seitlich rausgelaufen ist und Schlucken wieder problemlos funktioniert hat
April 2013 nachts ein Grand Mal und damit mein persönliches schlimmstes Erlebnis, weil es mitten in der Nacht war und für mich völlig neu. Im Krankenhaus wurde eine subdurale Hirnblutung festgestellt. 2h später direkt die Not-OP. Zum Glück hat diese Blutung, obwohl sie den Fortschritt etwas zurückentwickelt hat, keine neuen neurologisches Schäden hervorgerufen.
Heute Mitte November 2013 ist der MRT-Befund stabil. Das Hämatom, das nach der Hirnblutung noch übrig war, ist fast nicht mehr sichtbar. Das rechte Bein funktioniert halbwegs, sodass auf ebenem Ungergrund (z.B. zu Hause) kein Gehstock notwenig ist, auf unebenem die Fortbewegung mit Gehstock auch klappt. Die Sprache ist zurück und der Wortschatz wächst von Tag zu Tag. Es fällt nur auf, dass er sehr langsam spricht. Er hat nun wieder von Neu an das Schreiben und lesen erlernt, hilft wo er kann im Haushalt und repariert mit einer Hand was immer ich Tollpatsch wieder kaputt mache. Der rechte Arm ist leider kaum besser geworden, aber eine Tüte mit max halbem Kilo Gewicht kann er damit bereits tragen und das Ellbogengelenk bedienen.
Er will wieder soweit kommen, um wieder Fahrrad fahren zu können, will wieder arbeiten können und eine Fortbildung machen. Wir wollen endlich eigene Kinder bekommen können
Ich bewundere ihn: Nach der großen OP wurde uns empfohlen, einen Pflegeberechtigten zu finden und uns auf einen bettlägigen Komplettpflegefall einzustellen, aber ich habe einen Mann an meiner Seite, der mit mir gemeinsam den Haushalt schmeißt. Er putzt, er saugt Staub, er bringt mir Blumen, die er mit den Zähnen festhält, weil er in den 3 Stock laufen muss und sich am Geländer halten muss, und nimmt einen Rucksack mit, damit ich nicht allein die schweren Taschen mit Einkäufen hoch tragen muss, er denkt an Geburtstage von Familie und Freunden und wir lachen täglich soooo viel gemeinsam. Er ist so felsenfest überzeugt, dass alles gut wird und genießt das Leben mehr, als er es vor der Erkrankung je getan hat. Unglaublich, doch er sagt, dass es gut so war, weil er jetzt viel glücklicher ist, da er gelernt hat, wie man glücklich sein kann und wie schön es ist, einfach mal Freunde und Familie zu haben und den nächsten Sonnenaufgang erleben zu können.
Ich habe natürlich Angst um die Zukunft, aber ich will nicht die Angst ausleben, ich will das genießen, was wir jetzt haben! UNS!
Als er damals krank wurde habe ich dieses Forum entdeckt und nach Geschichten gesucht, die gut ausgehen, ich wollte Hoffnung. Die gibt es! Wer immer das liest, wenn ihr selbst betroffen seid, oder Angehörige seid, gebt nicht auf, bitte! Das Leben ist es wert zu kämpfen und für uns alle viel zu kurz für Angst und Selbstmitleid!