Guten Tag, sammy93,
und herzlich Willkommen hier im Hirntumor-Forum.
Ja, eine Hirntumordiagnose macht Angst - der Betroffenen, also Eurer Mutti, aber genauso auch den Angehörigen. Und Ihr drei (fast oder ganz erwachsenen) Kinder müsst nun jede Menge organisieren trotz Eurer Angst, Sorge. Ihr macht das richtig!
Das Meningeom hat sich bei Eurer Mutter bereits lange durch die epileptischen Anfälle auf der rechten Körperseite bemerkbar gemacht. Natürlich möchte auch niemand Epilepsie haben und so lange das gut geht, verdrängt man, dass es für eine im Laufe des Lebens auftretende Epilepsie Gründe gibt, nach denen man einen Neurologen suchen lassen sollte. Leider hat Eure Mutti diese deutlichen Anzeichen nicht ernst genommen. Und auch Euch nicht. Aber sie hat es nicht gewusst! Oder sie wollte sich dem nicht stellen. Sogar Eure Sorge jedesmal hat sie nicht dazu bewegt, zum Arzt zu gehen.
Nun ist die Ursache, das Meningeom, bekannt und es wurde operiert. Dass bei einem bestehenden Bluthochdruck und dem starken Übergewicht ein Blutgerinnsel entstehen kann, ist für eine OP am Kopf nicht ungewöhnlich und es wurde ja so rasch bemerkt und richtig gehandelt. Sie hat keine Hirnschäden in dem Sinne davongetragen, dass sie Euch nicht mehr erkennt oder gar geistig nicht mehr klar denken kann. Dieses Blutgerinnsel hätte zu einem ausgewachsenen Schlaganfall werden können, mit der Folge einer einseitigen Lähmung.
Ja, das ist jetzt auch geschehen. Aber diese Lähmung ist vorrangig durch die Lage des Meningeoms verursacht worden, das ja auch die Ursache für das epileptische Zucken der rechten Körperhälfte war. Um es möglichst vollständig zu entfernen, mussten die Neurochirurgen an die Stelle heran, wo sich das Meningeom befand, und das war vermutlich das für die rechte Körperseite zuständige Bewegungszentrum.
Du schreibst, dass es für Euch sehr sehr schlimm war, dass die Mutti im Koma lag. Du schriebst aber auch von einem künstlichen Koma. In ein künstliches Koma werden Menschen nach Operationen oder schweren Unfällen versetzt, um ihren Körpern Ruhe zu gönnen, um die Verletzungen soweit heilen zu lassen, dass sie nicht unter großen Schmerzen leiden müssen. Es ist eine Hilfe für die Betroffenen. Für die Angehörigen ist dieser Anblick oder bereits die Tatsache natürlich sehr schwer zu ertragen. Vermutlich war niemand da, der Euch diese erschreckende Situation erklärt hat.
Du schreibst, dass eine zweite OP erwogen wurde und dass Ihr erleichtert wart, dass es keine Folge-OP geben würde. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass später eine Folge-OP empfohlen wird, weil ja die OP abgebrochen werden musste.
Aber das wird die Zeit zeigen. Zunächst die Zeit in der REHA. Das ist die große Chance für Eure Mutti. Sie soll diese vielen Möglichkeiten, die sie dort in einem Haus hat, so lange wie möglich nutzen! Die Entfernung ist dabei völlig egal. Sie ist allerdings nicht die einzige, die einer REHA nach einer HT-OP (HT = Hirntumor) kritisch gegenübersteht. aber so manche haben es später bereut, sie nicht genutzt zu haben. Eine Kopf-OP ist für einen Menschen sehr anstrengend. Auch ohne neurologische Folgen. Bis die Mutti wieder ungefähr so sein wird wie früher, wird es viele Monate dauern.
Die ersten Wochen in der REHA helfen ihr da sehr. Dort werden vor allem physiotherapeutische Übungen mir ihr durchgeführt, damit sie bzw. ihr Körper es wieder lernt, auch die rechte Seite fühlen und bewegen zu können. Das sehe ich ziemlich optimistisch.
Außerdem hat sie dort die Möglichkeit, an ihrem Übergewicht zu arbeiten. Sie wird erfahren, wie gut kalorienärmere Ernährung schmecken kann, wie viele Varianten es gibt, gesunde Salate und andere Speisen herzustellen und wird künftig beim Einkauf (na ja - erst mal werdet ihr das tun) die gesunden Sachen auswählen.
So weit wie möglich wird sie auch ein Sportprogramm durchführen, vermutlich im Wasser, wegen der Lähmung, aber auch draußen mit Spaziergängen mit Rollator evtl.
Was außerdem für sie als immer aktive Frau und Mutti von drei Kindern enorm wichtig ist, ist die Ruhe, die sie dort hat. Sie darf sich erstmals nur um sich kümmern. Sie muss nicht einkaufen, kein Essen kochen, nicht saubermachen, sich nicht um Euch kümmern, sie darf wirklich mal nur an sich denken.
(Ich kann das so sagen, denn ich habe auch drei Kinder allein großgezogen, hatte in dieser Zeit einige Meningeom-OP und Bestrahlungen sowie mehrere Augen-OP und war aktiv berufstätig. ...
Gibt es übrigens einen Vater in Eurer Familie?)
Ratet ihr unbedingt, jede Möglichkeit der Verlängerung der REHA zu nutzen! Ihr habt mit dem organisatorischen Kram schon genug zu tun und vermutlich habt Ihr Drei auch einen Beruf oder seid in der Schule. Macht ihr deutlich, dass Ihr es zu Hause gut schafft.
Für die sozialen Sachen wäre jetzt der Sozialdienst der Reha-Klinik zuständig. Dort müsste kurz vor der Entlassung ein Befund erstellt werden, der auch entsprechende Empfehlungen enthält. Dort solltet Ihr Euch auch per Telefon oder Mail erkundigen können. Falls es besser erreichbar ist, auch der Sozialdienst im Krankenhaus. Der Hausarzt ist auf jeden Fall die richtige Person dafür!
Wenn Eure Mutti nach Hause kommt, wird sie weiter Physiotherapie erhalten, dann muss sie aber irgendwie dorthin kommen. Das wird für sie alles erstmal schwerer. Auch für Euch, denn Ihr werdet sie dorthin und zu den Ärzten zunächst fahren müssen.
Sie wird vieles selber machen wollen, was sie kann - lasst sie.
Sie wird aber auch sehr viel Ruhe brauchen, schickt sie in dem Fall "auf die Couch" und sagt ihr: "Wir machen das schon."
Wenn sie sich überlastet, besteht die Gefahr, dass sie ausrastet, womöglich sogar ungerecht Euch gegenüber reagiert. Das wäre dann nicht sie! Sie ist und bleibt Eure Mutti, die Euch sehr lieb hat und sehr dankbar dafür ist, was Ihr für sie tut. Aber es ist ihr auch unangenehm, manche Dinge nicht tun zu können. Dann ist sie wütend auf sich selbst. Geht über solche Situationen locker hinweg.
Ich wünsche Dir und Deinen Schwestern für diese schwere neue Aufgabe alles Gute.
Ein Gutes daran ist, dass Ihr jetzt für Eure Mutti da sein könnt so wie sie die vielen Jahre für Euch.
Vor allem hoffe ich sehr, dass sie und Ihr die Fortschritte im Laufe der Zeit bemerken werdet. Es kann auch wieder Rückschritte geben, Verzweiflung, aber dann geht es wieder vorwärts.
Einen Tipp hätte ich noch:
Sehr viele HT-Betroffene und ihre Angehörigen benötigen viel Zeit, mit einer solchen sehr schwierigen Situation klarzukommen. Das ist ein gravierender Einschnitt in das gesamte Familienleben und das jedes Einzelnen. Es kann (wird?) geschehen, dass Bekannte nicht wissen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen, sie werden vielleicht sogar den Kontakt vermeiden. (Um das zu verstehen, sollte man sich mal in die Lage der Anderen versetzen - wie hätte ich reagiert?)
Der Tipp bezieht sich auf die Inanspruchnahme einer Psychotherapie. Manche sagen: "Ich doch nicht, ich bin doch nicht irre." Aber das hat damit nichts zu tun. Ich würde Euch raten, auch den Hausarzt oder den Neurologen zu fragen, welche Psychotherapeuten es gibt, die gut sind. Die haben sehr lange Wartezeiten. (Neurologen übrigens auch, falls die Mutti noch keinen hat.) Macht einen Termin aus. Absagen kann man immer noch.
KaSy