1. Neurochirurgische Therapiestrategien bei Gliomen und Hirnmetastasen
Prof. Dr. med. Roland Goldbrunner
Direktor des Zentrums für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Köln
Glioblastome und Hirnmetastasen sind bösartige Erkrankungen mit einer kurzen Überlebenszeit der Patienten.
Glioblastome sind hirneigene Tumoren. Auf 100 000 Personen gerechnet kommen sie pro Jahr bei 3 bis 4 Patienten vor, deren durchschnittliche Überlebenszeit derzeit 12 bis 20 Monate beträgt.
Hirnmetastasen sind Tochtergeschwülste von Tumoren in anderen Bereichen des Körpers, die sich im Gehirn angesiedelt haben. Auf 100 000 Personen gerechnet kommen sie jährlich bei 15 bis 20 Patienten vor, deren durchschnittliche Überlebenszeit derzeit 3 bis 24 Monate beträgt.
Diagnostik
Die PET*-Diagnostik wird zusätzlich zur MRT*-Diagnostik eingesetzt, weil mit der PET der Stoffwechsel des Tumors dargestellt werden kann, während die MRT die genaue Lage und Größe sowie die Kontrastmittelaufnahme des Tumors zeigt. Mittels des Tracers* FET*, das ist eine radioaktiv markierte Aminosäure, wird der Aminosäuretransport innerhalb des Tumors gemessen. Die PET-Diagnostik ist sensitiver und spezifischer als die MRT-Diagnostik in Primär- und Rezidivsituationen.
→ weitere Infos zu FET-PET im 2. Vortrag von PD Dr. med. Norbert Galldiks
Erkennen der Funktionsbereiche im Gehirn
Im Gehirn befinden sich an bestimmten Stellen die Bereiche, die die verschiedenen Funktionen des Körpers steuern. Jedoch sind diese Bereiche nie völlig gleich. Wenn sich ein Tumor in der Nähe eines Funktionsbereiches befindet, hat der Chirurg das Problem, dass er weder sehen noch genau wissen kann, wie weit er bei der Entnahme des Tumors gehen darf, ohne wichtige Funktionsbereiche zu schädigen.
Für diese Situationen gibt es die Möglichkeit der Wach-Operation. Bei dieser wird der Patient zunächst in Narkose versetzt. Nachdem der Zugang zum OP-Gebiet geschaffen wurde und die Entnahme des Tumormaterials im gefährdeten Gebiet (z.B. Sprachzentrum) beginnen soll, wird der Patient geweckt. Das ist möglich, da das Gehirn selbst keine Schmerzen empfinden kann. Während der Chirurg das Tumorgewebe vorsichtig abträgt, wird der Patient aufgefordert zu sprechen. Sobald er stockt, weiß der Chirurg, dass er das Sprachzentrum berührt hat und wird dort nicht weiter arbeiten. Nach und nach wird der Tumor so weit abgetragen, dass die Funktion erhalten bleibt. Die Methode der Wach-OP ist möglich, kann aber für den Patienten auch belastend sein.
Eine neue Möglichkeit, um ohne einen direkten Eingriff in das Gehirn und bereits vor der Operation die genauen Grenzen der Funktionsbereiche feststellen zu können, ist die Verwendung einer Stimulationssonde*.
Mit Cortex(Hirnrinde)-Sonden identifiziert der Arzt sensorische (Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken) und motorische (Reaktionen der Muskeln) Bereiche durch Stimulation oder elektronische Ableitung direkt an der Oberfläche der Hirnrinde. Er ist dadurch in der Lage, für das Gehirn des Patienten eine individuelle 3D- (dreidimensionale = räumliche) Karte* erzeugen. Um vom Sprachbereich eine genaue 3D-Karte zu erstellen, erfolgt die elektronische Stimulation subcortical (unter der Hirnrinde) unter lokaler Betäubung.
Eine andere Variante ist die nTMS (navigated Transcranial Magnetic Stimulation = gesteuerte magnetische Stimulation im Gehirn). Hier wird die magnetische Stimulation genutzt, um vom Gehirn individuell eine 3D-Karte zu erhalten.
Die Operation erfolgt dann so, dass der Chirurg während der OP das Gehirn mit den markierten Grenzen auf dem Computerbildschirm sieht, während er den Tumor entfernt.
Die Vorteile gegenüber der herkömmlichen und auch der Wach-OP sind eine bessere Planung der Operation für den einzelnen Patienten und eine exaktere, zielgerichtete Tumorentfernung ohne die Schädigung der Funktionen des Gehirns.
Operation
Ein Hirntumor hat keine einheitliche Struktur. Im Inneren des Tumors sind entartete Zellen, die man herausoperieren kann. Um diesen Kern herum gibt es weniger Tumorzellen, jedoch auch Gehirnzellen. Hier sollte mit mehr Vorsicht herangegangen werden. Die Randbereiche des Tumors berühren Nervenfasern und wichtige Funktionsbereiche. Hier darf kein Eingriff mehr erfolgen!
Um diesen strukturellen Aufbau des Tumors während der Operation zu erkennen, bedient man sich der Methode der fluoreszenzgestützten Resektion (Entfernung), die nur bei bösartigen Gliomen der WHO-Grade III und IV angewandt wird. Besonders bei diesen reichert sich das Mittel (5-ALA)* in den Tumorzellen an und wird in einen rot fluoreszierenden Stoff (Protoporphyrin IX) umgesetzt.
Vor der Operation nimmt der Patient ein Mittel mit 5-ALA als Getränk ein, das sich im Körper verteilt. Die Tumorentfernung wird durchgeführt. Sobald die Frage auftaucht, ob alle Tumorzellen entfernt sind, wird der Tumor mit UV(ultraviolettem)-Licht beleuchtet und die Tumorzellen leuchten (fluoreszieren) rot. Die Tumorreste werden also sichtbar. Mit dieser Methode ist sogar eine Total-OP, also eine vollständige Entfernung des Tumors, möglich.
Das ist insbesondere bei den bösartigen hirneigenen Tumoren (Gliomen) sehr wichtig für die längere Überlebenszeit mit einer guten Lebensqualität. Bei der Anwendung dieser Methode konnte man die Zahl der erfolgreichen Operationen von 35 % auf 65 % erhöhen und damit die mittlere Überlebenszeit von 100 % auf 150 % (von 12 auf fast 18 Monate) verlängern.
Bei geringergradigen Gliomen (WHO I und II) findet die Fluoreszenz der Zellen nicht statt. Meningeome fluoreszieren zwar auch, hier stellt sich die Frage nach dieser Methode aber nicht, da sie meist gut entfernbar sind. Meningeome, die ohne Schädigung des Gehirns nicht oder nur teilweise operiert werden können, z.B. große Tumoren an der Schädelbasis*, werden subtotal (teilweise) operiert, so dass etwa 80 % bis 95 % des Tumors entfernt sind. Für die Entfernung des Restes werden Methoden der Strahlentherapie genutzt.
Für die Operation von Hirnmetastasen ist die fluoreszenzgestützte OP eher kein Standard. Nur bei der Hälfte dieser Patienten sind die Metastasen im Hirn gut abgegrenzt, während bei einen Drittel eine diffuse Infiltration in das gesunde Gewebe vorliegt. Nach Operationen kommt es in 18 % bis 30 % der Fälle zu lokalen (örtlichen) Rezidiven. Es sind dann eine erweiterte Resektion (Entfernung) mit einem Sicherheitssaum und eine lokale Nachbestrahlung mit einem Sicherheitssaum erforderlich.
Die Qualität der Gliom-Operation wird mit den MRT-Kontrollen überprüft und es soll den Patienten nicht schlechter gehen als vor der Operation.
Radiochirurgie
Die Radiochirurgie* ist eine Therapiemöglichkeit, die ohne einen mechanischen Eingriff auskommt.
In einem Linearbeschleuniger wird der Patient fraktioniert mit einer relativ geringen Einzeldosis von etwa 2 Gy (Energieeinheit Gray*) bestrahlt und das erfolgt werktäglich für meist 30 Tage, bis eine Gesamtdosis von 60 Gy erreicht ist. In der Zwischenzeit von fast 24 Stunden sowie an den Wochenenden haben die gesunden Zellen Zeit, sich zu reparieren.
Weitere Methoden der Radiochirurgie sind Einzeitige Hochdosisbestrahlungen mit dem Gamma-Knife und dem Cyber-Knife. Diese Geräte arbeiten mit einer höheren Strahlendosis und sind nur für die Bestrahlung von kleineren Tumoren oder Resttumoren bis etwa 3 cm Durchmesser geeignet. Die Bestrahlung erfolgt an einem Tag in einer Zeit von wenigen bis mehreren Stunden. Hier werden die Strahlen aus vielen verschiedenen Richtungen auf den Tumor gelenkt mit dem Ziel, dass eine hohe Strahlendosis den Tumor erreicht, aber das umliegende Gewebe weitgehend geschont wird. Es wird zwar mehr vom umliegenden Gewebe mitbestrahlt, aber in einer verteilten geringeren Dosis.
Bei der Brachytherapie werden je nach Größe des Tumors mehrere radioaktiv strahlende 125Jod-Seeds* (kleine Kapseln in Reiskorngröße) direkt in den Tumor eingebracht (implantiert) und verbleiben dort. Für die Implantation wird nur ein relativ kleines Bohrloch benötigt. Im Laufe der Zeit geben sie radioaktive Strahlung ab, die die Tumorzellen von innen heraus zerstören. Im Laufe von Wochen oder Monaten sinkt die Aktivität bis sie nahezu aufhört. Die Seeds sind dann nicht mehr aktiv. Bei einer relativ kurzen Behandlungsdauer von etwa 6 Wochen werden die Seeds entfernt, bei einer Langzeitbestrahlung über viele Monate verbleiben sie im Gewebe.
Diese Methode eignet sich für inoperable, gut abgegrenzte Tumoren oder Metastasen. Die Vorteile liegen in der direkten Nähe der Strahlenquelle zu den Tumorzellen. Die Strahlen müssen nicht durch das gesunde Gewebe hindurch, um das Zielgebiet zu erreichen. Es kann eine dauerhafte Bestrahlung stattfinden, die den Tumorzellen keine Zeit zur Teilung lässt.
Mit dem radioaktiven Isotop 125Jod kann im Zentrum des Tumors eine sehr hohe Energiedosis von 200 Gy erreicht werden. Beim Durchdringen des Gewebes sinkt die Aktivität nach 2 cm auf 50 %. Dadurch ist die Methode nur für Tumoren bis maximal 4 cm Durchmesser geeignet, wo in den Randgebieten noch Strahlungsstärken von etwa 60 Gy wirken. Für größere Tumoren wäre die Strahlendosis im Tumoraußenbereich zu gering und man würde schwieriger zu behandelnde Rezidive riskieren.
Dem Patienten erspart die Brachytherapie das häufige Aufsuchen der Strahlentherapie über mehrere Wochen oder die stundenlange Einzeitbestrahlung. Er kann bei gutem Allgemeinzustand auch seiner Berufstätigkeit weiter nachgehen.
Beim Vorkommen vieler Metastasen im Hirn kann meist nur eine Ganzhirnbestrahlung zu einem Erfolg führen.
Auf die Frage eines Patienten nach der Behandlung mit Hyperthermie sagte Prof. Goldbrunner: Die Hyperthermie sei kritisch zu sehen. Eventuell sei sie möglich. Das werde zur Zeit in einer europaweiten Phase III-Studie geprüft. Nach etwa drei Jahren wäre eine wissenschaftlich fundierte Aussage dazu möglich.
Auf die Frage nach der psychischen Belastung im Zusammenhang mit den Hirntumortherapien blieb Prof. Goldbrunner unsicher und meinte, es sei noch unklar, ob die psychischen Belastungen durch den Tumor oder durch die Therapie bzw. die Therapieschritte zustande kämen und sagte, dazu wissen wir noch zu wenig.
Festlegung der Therapie
Die Festlegung der Therapie bzw. Therapiekombination und Therapiefortsetzung findet für jeden Patienten in einer wöchentlich stattfindenden Tumorkonferenz (auch Tumorboard genannt) statt. Daran nehmen alle den Patienten betreffenden Fachrichtungen teil. Gemeinsam werden individualisierte Konzepte festgelegt, in die auch Methoden der Molekulargenetik einfließen können. Dabei werden generelle Therapiestandards eingehalten.
Zur Therapiekonferenz gehören Neurologen, Neurochirurgen, Stra hlentherapeuten, Internistische Onkologen, Neuropathologen, Neuroradiologen, Nuklearmediziner, Palliativmediziner.
Eindringlich forderte Prof. Goldbrunner am Ende seines Vortrages: Lassen Sie sich nicht unter Standard behandeln!
* Worterklärungen* (von KaSy)
5-ALA : 5-Aminolevulinic acid , auf deutsch: 5-Aminolävulinsäure (Die deutsche Abkürzung 5-ALS scheint nicht gebräuchlich zu sein.)
DNS : Deseoxyribonukleinsäure, englisch: DNA : Deoxyribonucleic acid, Sie kommt im Zellkern in der Form einer Doppelhelix vor und ermöglicht durch die Paarigkeit die Zellteilung.
3D-Karte : Es werden auch die Begriffe „Kartierung“ und engl. „Mapping“ verwendet.
Schädelbasis : unterer Teil des Gehirns, wo sich besonders gut geschützt die sensitiven Funktionsbereiche (Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken) befinden, der jedoch mit einer Operation schlechter erreichbar ist