Liebe Lilly-Rose,
ich würde Dir gern möglichst genau antworten, kann aber nur in Vermutungen bleiben.
Du möchtest keine genaueren Informationen preisgeben, stellst aber Fragen.
Als Betroffene habe ich zwar mehr Erfahrungen und Kenntnisse, für das Antworten benötige ich aber viel mehr Zeit als normal.
Ich versuche es trotzdem.
Weil es um ein Kind geht, um Dein Kind.
Du scheinst die Mutter des Kindes zu sein und hast bereits vor etwa einem halben Jahr diese Beule am Kopf Deines Kindes ertastet. Du hast Dir Sorgen gemacht und der Arzt veranlasste ein MRT, das ein Meningeom feststellte. Seitdem bist Du unterschiedlich beunruhigt. Du willst es am liebsten verdrängen. Du hast aber Angst. Du stellst keine Symptome fest. Aber Du weißt, dass der Tumor dort nicht hingehört.
Du hältst Dich daran fest, dass es ein gutartiges Meningeom ist. Ohne es genau zu wissen - denn mit 100%-iger Sicherheit hat Dir das kein Arzt gesagt. Einheitlich haben Dir die Ärzte gesagt, dass es operiert werden sollte.
Aus dem Forum hast Du erfahren, dass Meningeome langsam wachsen. Und nun meinst Du, Du hast Zeit. Du meinst, Dein Kind hat Zeit. Hat es wirklich Zeit? Weil es keine Symptome hat? Weil das Meningeom garantiert langsam, also eigentlich fast gar nicht wächst?
Ich bitte Dich, rede Dir nicht ein, dass dieser Tumor nicht wachsen wird. Das längere Hinauszögern der OP kann bei Deinem Kind in mehr oder weniger langer Zeit erste Symptome zutage treten lassen. Ich will sie Dir nicht schildern und Du willst sie jetzt sicher auch gar nicht hören. Aber ich kann Dir versprechen, wenn sich das erste Symptom zeigt, das auf den Tumor zurückzuführen ist, dann wirst Du richtige Angst bekommen, Angst, zu lange gewartet zu haben. Du wirst die OP möglichst rasch wollen und es wird Dir egal sein, ob gerade Sommer oder Winter ist. Du willst Dein Kind von den Neurochirurgen gesund, symptomfrei wiederhaben wollen und Du wirst wen auch immer verfluchen, weil es nicht so schnell gehen wird.
Ich selbst war bereits 35 Jahre, als ich eine Beule ertastete, die vom Radiologen zunächst als einfache Anomalie bezeichnet wurde. Mit 37 kamen eigenartige Kopfschmerzen an der mittlerweile - durch mich unbemerkt - größer gewordenen Stelle hinzu. Nun wurde das Meningeom diagnostiziert. Es wurde operiert und die pathologische Untersuchung ergab, dass es ein WHO I Meningeom war. Das wird durch Laien und schönredende Ärzte als gutartig bezeichnet. Aber wenn etwas im Kopf wächst, ist es nie "gutartig". Es wächst und verdrängt Hirnstrukturen. Da ist kein Platz für mehr als das Gehirn! Auch das "nur" Verdrängen verändert die Hirnreaktionen! Ich habe eigentlich nie darüber nachgedacht, aber wenn mein Meningeom bereits zwei Jahre zuvor diagnostiziert worden wäre, wäre es noch etwas kleiner gewesen und hätte vielleicht sicherer entfernt werden können. Es muss bei Deinem Kind nicht so kommen wie bei mir, dass es vier Folge-Meningeome mit dem WHO-Grad III entwickelt. Die dann erforderlichen Therapien haben mein Leben immer wieder und nun, nach 20 Jahren, dauerhaft geprägt.
Das hat Dein Kind nicht verdient!
Bei mir wuchsen diese Meningeome "langsam". Ich war aber auch bereits lange kein Kind mehr. Bei Kindern im Wachstum und in einem Alter, wo nach Deiner Aussage der Schädel noch nicht geschlossen ist, teilen sich alle Zellen schneller, wachsen also auch Tumoren schneller, selbst die "gutartigsten".
Ist die Nähe zu diesem Blutgefäß nicht schon Alarm genug?
Ist das Wachstum nach außen, also vermutlich entweder eine Knochenverformung und -zerstörung oder ein gar nicht erst Ermöglichen des Zuwachsens des Schädelknochens nicht ausreichend schlimm - als Symptom! Das wird sich nicht zurückbilden! Das wird auch nicht so bleiben.
Ich selbst hatte das Glück, die ersten drei Meningeome so wie Du als Beulen selbst gefunden zu haben. Und dann hatte ich das Glück, in der regelmäßigen Kontrolle zu sein, so dass die anderen zwei in einer noch so kleinen Größe entdeckt wurden, dass vom Neurochirurgen der Satz fiel: "Wir operieren das lieber jetzt, bevor es größer wird und Schäden im Gehirn anrichtet." Ich weiß zum Glück nicht, welche Schäden diese Tumoren noch hätten anrichten können. Du weißt das bis jetzt auch nicht, von welchen Schäden Dein Kind als erstes betroffen sein wird. (Es klingt für nicht Eingeweihte sicher sehr seltsam, wenn ich das Wort "Glück" im Zusammenhang mit Hirntumoren andauernd verwende. Aber auch hier kann es immer noch schlimmer kommen und es ist Glück, dass man dieses Schlimmere nicht kennt und nicht benennen kann.)
Ich habe selbst drei Kinder. Ich weiß also sehr gut, wovon ich rede, wenn ich von eigenen Kindern und den Sorgen um sie rede. Ja, man hat unendliche Ängste, wenn das Kind krank ist. Man gibt sich als Mutter in dieser Situation völlig auf, nur um alles für das Kind zu tun. Man stirbt tausend Tode, nur damit das Kind lebt und gesund wird. Ich hätte meinem Kind, nicht einem (!), auch nur ansatzweise zugemutet, es durch eigene Ängste vor einer von Ärzten angeratenen Operation in größere Gefahr zu bringen, ihm größeren Schaden zuzumuten durch Verdrängungsgedanken. Als Mutter muss man da durch. Als Mutter lächelt man sein Kind an und macht ihm Mut.
Ich habe mein Kind, meine Kinder doch gewollt. Und nun muss ich für sein Leben und seine Gesundheit sorgen! Und ja, es tut weh, wenn so ein Wurm operiert werden muss. Es tut auch mir gerade in diesem Monat weh, dass eins meiner Enkelkinder, erst gut zwei Jahre jung, zweimal operiert werden musste. Wie habe ich gelitten, als vor drei Jahren das erste Enkelchen als Neugeborene 5 Stunden lang operiert werden musste und welche Angst hatten wir alle um sein klitzekleines Leben. Aber auch das gehört zum Muttersein dazu. Und als von Hirntumoren betroffene Mutter dreier Kinder ist das ganz sicher nicht einfacher.
Um ganz konkret auf Deine "Verwirrung" zu sprechen zu kommen: Natürlich will man das nicht wahrhaben.
Mir ging und geht das für mich selber sehr oft so, dass ich mich selbst nicht mit meinen Krankheiten als eine Person sehen kann und will. Ich könnte das nicht ertragen. Wenn ich mir dessen bewusst werde, was mir da geschehen ist und wie sehr es mein Leben ungewollt verändert hat, dann verzweifle ich jedes Mal. Immer wieder. Und das hält mich vom Leben ab. Also denke ich die Krankheiten weg, in so etwas wie ein Zweit-Ich.
Aber als Mutter habe ich das nie gekonnt. Wenn meine Kinder krank waren, hat sich alles darum gedreht, sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gesundheitlich bestmöglich zu versorgen.
Ich glaube, dass Du auch so fühlst. Vielleicht ist es die bereits monatelange symptomfreie Zeit, die in Dir diese falsche Hoffnung entstehen lässt. Diese Hoffung, die ein Wunschtraum ist. Ein Wunschtraum, der sich vermutlich nicht erfüllen wird. Je mehr Du diesem Traum glaubst, um so härter wird das Erwachen.
Ich möchte Dir raten, besprich mit den Ärzten alle Möglichkeiten, all Deine Fragen und alle Ängste und eigenartigen Hoffnungen und auch die Zeiträume und triff eine terminliche Entscheidung.
Das muss nicht "Dezember" heißen oder 17. April 2015, aber Du kannst Deinem Hin-und-her mit einem OP-Termin eine Richtung geben, ein Ziel.
Deine Wunschträume werden realistischer werden.
Deine Ängste werden konkreter und dadurch beherrschbarer sein.
Deine Liebe zu Deinem Kind wird sich wieder richtig anfühlen.
Ich wünsche Euch alles Gute!
KaSy