Danke für Eure beipflichtenden Worte!
Das was Ihr aus der Ferne schreibt, hat meine Tochter direkt getan. An jenem Freitag, dem 12.8. kam sie mit Mann und Zweijährigem überraschend gegen Mitternacht aus München hier an und war bis Dienstag zum Trösten, Verwöhnen, Helfen im Haus, Aufmuntern mit dem Kleinen im Sommergarten, auf der Schaukel, im Wasser und immer draußen essen für mich da. Es war passgenaues Timing.
Am Mittwoch habe ich mich mit den Berichten aus der Klinik genauer befasst, die Befunde übersetzt, mich auf das Gespräch mit der Strahlentherapeutin vorbereitet, Fragen für sie und den NC aufgeschrieben. Letzterer hatte mir wegen der Komplikationen beim Fädenziehen gesagt, ich solle am 18.8. unbedingt vor dem "Strahlen"-Termin zur Nahtkontrolle kommen, wofür ich auch einen Termin 30 min vor dem Termin vereinbart hatte. 40 min vorher war ich da, der NC wurde informiert, nach 20 min fragte ich nach und nach 35 min ging ich los, ohne dass sich ein NC die Naht angeschaut hätte. Auf dem Flur begegnete ich ihm, er erinnerte sich, schaute AUF das unter der Perücke hervorragende Pflaster der etwa 23 cm langen Naht und meinte, es wäre keine Beule da. (Wegen des Liquors, denke ich, aber das würde bei einer Bestrahlung nicht stören; eine nicht vollständig verheilte Naht wäre jedoch kontraproduktiv.) Meine Fragen aus dem verwirrenden Gespräch vom Freitag und weitere zu den Berichten konnte ich nur andeuten. Er könne mir nicht helfen ...
Stimmt vielleicht. Aber wer dann? Muss ich mir nach der optimalen OP und dem von mir als wirklich hervorragend empfundenen Gesamtablauf meines stationären Aufenthaltes diese dritte Katastrophe gefallen lassen? Was ist da los? Dieses Ignorieren, Warten lassen, meine Nerven weit über die Maßen eines Gesunden strapazierenden Verhaltens, teils wissentlich - nein, das habe ich nicht verdient und nein, ich lasse nicht zu, dass MICH das fertig macht. Ich habe keine poplige Krankheit und keine kleinlichen Fragen und ich habe während des stationären Aufenthaltes wirklich alles getan, um humorvoll mit allen umzugehen, ich habe das Personal wertgeschätzt und immer wieder gelobt und ihnen gedankt, denn ich weiß, was sie tun! In einer solchen sehr guten Klinik mit wirklich sehr guten Ärzten darf so etwas mit Hirntumorpatienten nicht passieren! Ich habe es der Geschäftsleitung geschildert. (Ausgewogen, angemessen mit Lob und konkreter Kritik und möglichen Ideen.)
Es ist auch Selbstschutz.
So wie ich zeitweise hier das Glioblastomthema nicht lese, will ich nicht darüber grübeln müssen, was mir dort geschehen ist und was in mir Vorbehalte gegen die Klinik erzeugen könnte. Insgesamt war der Verlauf wirklich sehr gut.
Die Strahlentherapeutin ist psychologisch gut drauf. Wir kennen uns schon sehr viele Jahre und stets sieht sie mir an, wenn etwas nicht stimmt. Auch diesmal konnte ich es ihr erzählen und im Gespräch fand ich rasch zu meinem humorvollen Optimismus zurück. Sie schaute die Naht an und entschied, dass die Bestrahlungsplanung erfolgen kann. Und diese verlief ruhig, in angenehmer Atmosphäre. (Wer mal eine Maskenherstellung erlebt hat, weiß, was diese Aussage bedeutet. Es wird auch immer besser. Es wurde nicht nur das Oberteil für Gesicht und Oberkopf, sondern auch ein passgenaues Teil für die Lagerung hergestellt, damit die Lage noch exakter wird. Und das Gerät soll auch mehr können, von sechs Verstellrichtungen war die Rede. Ich werde es interessiert erleben und berichten.)
Am Dienstag soll mir nochmal alles genau erklärt werden und am Mittwoch geht es los.
Und nun habe ich erstmals aus purem Eigeninteresse meine eigenen Berichte von den Hirntumorinformationstagen studiert. Alles über Bestrahlung, aber auch Teilchenbestrahlung habe ich aktuell verinnerlicht. Die Folgen der Bestrahlung - klar, ich kann jedem erzählen, was da wie und warum und in welchen etwaigen Zeiträumen geschieht ... aber wenn es MICH betrifft, will ich es ganz genau wissen. Die Meningeom-Berichte habe ich auch gelesen.
Ein paar Tage vorher habe ich mir die Daten einiger Strahlentherapeuten dort herausgesucht und sie per Mail gefragt, wieviel Bestrahlungsdosis der Sehnerv und die Augenlinse aushält. Klar vertraue ich meiner Strahlenfrau, aber es ist bei einer Einäugigen schon von Bedeutung, dass da nichts schiefgeht. Ganz abgesehen von den Argumenten für den Chef-NC, der die Bestrahlung ablehnte. Und diese habe ich bekommen, aus Leipzig, Bonn und Neuruppin. Alle bestätigten die "erblindungsfreie" Dosis für den Sehnerv und die nicht mögliche Vermeidung einer Trübung der Augenlinse. Letztere würde jedoch erst im Laufe von vielen Monaten eintreten und man kann die Linse auswechseln, das ist eine Standard-Augen-OP, die bei vielen älteren Menschen sogar ambulant erledigt wird und bei Problemfällen wie bei mir auch möglich ist, dann eben stationär. Das alles ist beruhigend. Und vor den Super-Bestrahlunggeräten habe ich ja keine Angst, im Gegenteil, ich bin derart fasziniert von dieser Technik!
Und von meinen Berichten. Nun verstehe ich, wieso sie täglich von 5-10 Leuten gelesen werden, jeden Tag!
Vor 5 Jahren habe ich während meiner 30 Bestrahlungstage Kraniche gebastelt, die Glücksbringer aus Japan, von denen man 1000 basteln muss, damit sie die Strahlenfolgen der Atombomben wegtragen. Ich habe nicht 1000, aber ungefähr 20 übereinandergestapelt und in die Strahlenklinik gebracht. Sie hängen dort immer noch!! Zuhause hängen an verschiedenen Stellen auch diese farbigen Kraniche. Aber 1000? Hätte ich 1000 basteln sollen? Ach nee, so weit geht mein Aberglaube denn doch nicht.
Ein bisschen doch - die OP war, als gerade Neumond war. Da geht alles aufwärts ... erklärte mir meine Tochter, nur die Narkose könne etwas holprig werden. Dagegen habe ich mich mit einem Zettelchen im Anästhesie-Aufklärungsbogen gewappnet, auf dem stand "Bitte ein Mittel gegen Übelkeit". Der Narkosearzt grinste und schrieb es auf. Und weil ich so aufgeregt erschien, also war, bekam ich auch was Beruhigendes vor der OP und nachher bei Bedarf. Bei Neumond würden Wunden auch besser heilen. Das hat auch geklappt, aber da habe ich auch lieber vorher den Operateur gefragt. Wundheilungsstörungen könne nur der Operateur vorbeugen, wenn er gut näht, sagte er. Und das hat er getan. Tut er sicher auch bei allen anderen Mondphasen ...
Angst müsste ich eigentlich vor der Tatsche an sich haben, dass es wohl wieder nur ein Aufschub ist, nachdem ich noch bis zum 13. Juli glaubte, es würde nichts mehr kommen, auch die Ärzte hatten sich so hoffnungsfroh geäußert. Statt Angst habe ich Wut, Euphorie, Aktionismus, Kampfgeist, Alltag, Humor, das ganz normale Leben, quatsche zuviel, wenn einer da ist. Nachts wache ich auf unf freue mich, dass gerade Olympiade ist und schaue einige Zeit die Spiele an. Aber irgendwann wache ich auf, weil ich von Ärzten träume, die meine Krankheit so schlimm finden oder weil ich von Reha-Klinik zu Rehaklinik geschoben werde, weil keiner mit mir etwas anzufangen weiß - und dann ist sie da, die blöde Angst. Und die Tränen kullern doch und ich weiß, warum, und lasse sie zu. Und suche Psychologen-Adressen, denke nach, ob ich anrufen oder eine Mail schreiben soll oder Kaffee kochen und frühstücken und entscheide mich fürs Frühstück. Und dann ist der Tag wieder da und schiebt die Angst weg.
KaSy