43. Hirntumor-Informationstag der Deutschen Hirntumorhilfe e.V. am 27. Oktober 2018 in Göttingen(Ich habe diese Informationen aus den Tagungsunterlagen der Deutschen Hirntumorhilfe e.V. entnommen, da ich am 43. Hirntumorinformationstag nicht teilnehmen konnte. KaSy)zu 10. Informationen zum Thema Off-Label-Use:Was ist Off-Label-Use?Von „Off-Label-Use“ spricht man, wenn Medikamente außerhalb des ursprünglichen Anwendungsgebietes eingesetzt werden. Es sind Medikamente, die man normalerweise nicht für die Behandlung von Hirntumoren verschreiben würde.
In der Regel ist eine spezielle Behandlung als Standardtherapie für eine bestimmte Erkrankung verfügbar und erfolgreich erprobt. Kann die Erkrankung mit dem zugelassenen Medikament nicht ausreichend therapiert werden, wird untersucht, ob eine Kombination der Standardbehandlung mit einer weiteren Substanz einen Vorteil für den Patienten bringt.
Wann werden Medikamente off-label eingesetzt?Off-Label-Use kommt in Frage, wenn
- es für eine Erkrankung kein zugelassenes Medikament gibt,
- die zugelassenen Wirkstoffe ausgeschöpft sind,
- die zugelassenen Wirkstoffe nebenwirkungsreicher sind,
- durch die ergänzende Gabe von Substanzen ggf. eine Verbesserung des Behandlungsergebnisses erreicht werden kann.
Welche Medikamente können off-label eingesetzt werden?Die Grundlage der Auswahl eines Medikaments für den Off-Label-Einsatz ist stets eine sogenannte Rationale oder Plausibilität. Die ist gegeben, wenn beispielsweise anhand einer Phase-III-Studie bereits abzusehen ist, dass es zur baldigen Zulassung einer überlegenen Therapiekombination kommt.
Aber auch positive Ergebnisse aus Phase-I- oder Phase-II-Studien, anderweitigen Untersuchungen (z.B. statistischen Erhebungen) oder Erkenntnisse aus Versuchen in Zellkulturen können Therapieerfolge vermuten lassen und als Argumentationsgrundlage für einen Off-Label-Use dienen.
Von einer umfassenden klinischen Untersuchung der Wirksamkeit bis zur Zulassung von neuen Therapien und Therapiekombinationen vergehen oft über zehn Jahre. Für Patienten stellt sich die Frage, ob die vielversprechenden Medikamente schon eher eingesetzt werden können, auch wenn eine Wirksamkeit noch nicht wissenschaftlich mit einer entsprechenden Beweiskraft erforscht ist.
Fragen zum ThemaWird in der täglichen Praxis der Off-Label-Einsatz empfohlen?
Was spricht dafür oder dagegen, wenn Patienten ein Medikament off-label einnehmen wollen in der Absicht, die Wirkung oder Verträglichkeit der Standardtherapie zu verbessern?
In welchem rechtlichen Rahmen bewegen sich Ärzte, die Arzneimittel off-label verschreiben?
Wann ist der Einsatz einer zusätzlichen Substanz hinreichend fundiert?
Zahlen Krankenkassen den Einsatz von Medikamenten im Off-Label-Use?
An wen muss ich mich wenden, wenn ich mich über Off-Label-Anwendungen informieren möchte?
(Die Antworten auf diese Fragen sind leider nicht in den Tagungsunterlagen enthalten. KaSy)Beispiele für Off-Label-UseCCNU plus TemozoloidNach der Zulassung des Zytostatikums Temozoloid für die Erstlinientherapie des Glioblastoms im Jahr 2005 (Stupp) wurden verschiedene Kombinationen mit zusätzlichen Substanzen und Medikamenten in klinischen Studien getestet, um die Standardtherapie zu verbessern, auch der Nitrosoharnstoff Lomustin (CCNU). Die Ergebnisse einer Phase-I-Studie weisen auf eine bessere Wirksamkeit der Kombination hin. Daraufhin wurde eine größere Studie (NOA-09) konzipiert, die die Kombination bei Glioblastompatienten mit einem bestimmten Merkmal im Tumorgewebe (MGMT) untersuchte. Die Untersuchung zeigte einen eindeutigen Vorteil für die Kombinationstherapie. In Kürze wird eine Veröffentlichung der Ergebnisse erwartet.
MetforminBei der Analyse von Registerdaten aus Bayern fiel auf, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes und Metformintherapie seltener an Krebs starben. Die antitumorale Wirkung von Metformin war zudem aus Versuchen an Zellkulturen belegt. Daraufhin wurde untersucht, ob es unter Gliompatienten, die unter Diabetes litten und mit Metformin behandelt wurden, Hinweise auf eine Wirksamkeit des Metformins auf die Tumorerkrankung gab. Die Metforminbehandlung war bei bestimmten Hirntumorarten mit einer signifikant höheren Überlebenswahrscheinlichkeit verbunden. Dies veranlasste, die Wirkung der Metformingabe in Kombination mit der Standardbehandlung des Glioblastoms in einer Phase-II-Studie seit 2017 zu untersuchen.
(Ärztezeitung online, 29.08.18: Antidiabetikum gibt Gliompatienten etwas Hoffnung, Quelle:
https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/krebs/zns-tumoren/hirntumor/article/970346/metformin-antidiabetikum-gibt-gliompatienten-etwas-hoffnung.html)
ChloroquinVom Antimalariawirkstoff Chloroquin kannte man die antitumorale Wirkung aus Zellkulturen. Chloroquin wurde daraufhin 2005 in einer Phase-I-Studie (Soleto) zusätzlich zur Standardtherapie verabreicht. Ohne dass bei den Patienten unter der Chloroquintherapie schwerwiegende Nebenwirkungen aufgetreten wären, war die Überlebenszeit in dieser Gruppe wesentlich besser. Dies führte in der Folgezeit zum Einsatz von Chloroquin in verschiedenen Studien. Seit 2015 rekrutiert eine Studie in den Niederlanden zur Behandlung des Glioblastoms, bei der Chloroquin zusätzlich verabreicht wird.
(Ärztezeitung online, 29.08.18: Malaria-Medikament half Hirntumorpatienin, Quelle:
www.focus.de/gesundheit/ratgeber/krebs/forschung/medizinischer-gluecksgriff-die-chemo-wirkte-nicht-mehr-malaria-medikament-half-26-jaehriger-hirntumorpatientin_id_6518089.html)
DisulfiramDisulfiram, das als „Antabus“ seit Jahrzehnten zur Unterstützung der Abstinenz bei Alkoholabhängigkeit angewendet wird, könnte auch bei Krebserkrankungen wirksam sein. Erste Berichte über Krebspatienten, die unter der Behandlung einer gleichzeitigen Alkoholabhängigkeit mit Disulfiram genesen sind, wurden laut Medline bereits in den 1960er Jahren in der medizinischen Literatur veröffentlicht. Eine Analyse des dänischen Krankenregisters ergab, dass Disulfiram-Nutzer seltener als andere Menschen an Brust- oder Prostatakrebs erkranken (European Journal of Cancer Prevantion 2014; 23: 225-32). Derzeit werden mehrere klinische Studien zur Behandlung des Glioblastoms mit zusätzlicher Gabe von Disulfiram durchgeführt.
(Ärzteblatt.de, 11.12.17: Alkoholismus-Medikament greift Krebszellen an, Quelle:
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/86948/Disulfiram-wie-ein-Alkoholismus-Medikament-Krebszellen-angreift)