Krebs-Informationstag am 24.10.2020Expertengespräch: Körperliche Aktivität und KrebsDr. med. Bianca Spanier
Zentrum für Prävention und Sportmedizin, Klinikum rechts der Isar München, TU München
Anika Berling-Ernst
Dipl.-Sportwissenschaftlerin für Prävention und Rehabilitation, Lehrstuhl für Prävention, Rehabilitation und Sportmedizin, TU München
Dr. med. Bianca Spanier nannte als Gesprächsthema
„Aktiv bei Krebs in Zeiten von Covid-19“ als eine aktuelle Thematik, die uns alle immer noch beschäftigt.
1. Warum ist es wichtig, bei Krebs aktiv zu sein?Besser leben?Patienten stellen sich die Frage, ob sie denn besser leben, wenn sie körperlich aktiv sind.
Dazu gibt es eine Metaanalyse, es wurden also mehr als 100 Studien mit über 10.000 Patienten aus den Jahren 1999 bis 2016 untersucht, bei denen es um die durch Krebs bedingte Fatigue (Müdigkeit) geht.
(Fatigue: signifikante Müdigkeit, erschöpfte Kraftreserven oder erhöhtes Ruhebedürfnis, disproportional zu allen kürzlich vorangegangenen Anstrengungen. KaSy)
Sie ist bedingt durch die Krebserkrankung selbst, aber auch durch die Therapien und sie wird als besonders belastend und schwerwiegend empfunden.
In den Studien wurden der Einfluss von Medikamenten, von psychologischer Begleitung und von aktiver Bewegung untersucht. Es hat sich deutlich herausgestellt, dass Bewegung und Psychotherapie sowie die Kombination von beiden deutlich bessere Ergebnisse für die Lebensqualität erbrachten als die medikamentöse Therapie. Körperliche Aktivität hilft also dabei, die Therapien besser zu vertragen, sie hilft dabei, gut durch den Krankheitsverlauf zu kommen und trägt dazu bei, dass es nicht zu starkem Muskelabbau kommt und dass man seine Belastbarkeit nicht verliert. Bewegung verbessert die Lebensqualität und hilft sehr gut dabei, besser durch den Alltag zu kommen. Also hinter „Mit Bewegung besser leben?“ kann man schon mal ein „JA“ mit einem großen Ausrufezeichen schreiben.
Körperliche Aktivität hilft bei Therapie-Nebenwirkungen, verbessert die Lebensqualität und vermindert die Fatigue!Länger leben?Auch die Frage, ob man mit Bewegung länger leben wird, wurde mit Metaanalysen für verschiedene Krebsarten untersucht. Auch hierbei zeigten fast alle der 26 Studien mit fast 40.000 Patienten aus den Jahren 2004 bis 2016 eine verlängerte Lebenszeit.
Eine höhere körperliche Aktivität führt zu 37 % Reduktion der krebsspezifischen Sterblichkeit.Man muss aber dazu sagen, dass es sich um reine Beobachtungsstudien handelte. Die hochwertigen Studien mit Doppelverblindung und Randomisierung sind in die Metaanalyse nicht eingegangen. Man müsste also vergleichende Studien über einen längeren Zeitraum mit Gruppen durchführen, die trainieren und die nicht trainieren und erst dann kann man sie auswerten und ausschließen, ob andere Faktoren wie das Körpergewicht z.B. einen Einfluss auf die Sterblichkeit haben. Solche Studien laufen derzeit, es gibt allerdings noch keine Ergebnisse. Man muss also noch warten, bis man den Beweis hat, aber schon jetzt gibt es starke Hinweise, dass man ein vorsichtiges JA hinter die Frage „Länger leben?“ setzen kann.
Warum wirkt die körperliche Aktivität?Warum sind es durchaus sinnvolle Überlegungen, dass man mit Bewegung eine bessere Prognose hat? Dr. Spanier ging hier nur auf die Krebserkrankungen ein, bei denen der Stoffwechsel eine besondere Rolle zu spielen scheint, das sind Prostata- Brust- und Darmkrebs.
Man schaut sich die Körperzusammensetzung an, also wie viel Fettanteil und wie viel Muskelmasse der Körper hat.
Das Körperfett ist nicht einfach nur eine Fettmasse, sondern ein stoffwechselaktives Organ, das eine ganz wichtige Rolle dafür spielt, ob im Körper ein anti- oder proentzündliches Milieu herrscht. Wenn jemand jetzt nicht massiv übergewichtig ist, dann hält das Körperfett ein antientzündliches Milieu im Körper aufrecht, der Hormonkreislauf und die Regelkreisläufe laufen ganz normal ab. Wenn man aber stark übergewichtig ist, dann kann man sich das so vorstellen, dass die Fettzellen vollgestopft sind. Sie können dann ihrer normalen Funktion nicht mehr nachgehen. Das führt auf der einen Seite dazu, dass im Körper die ganze Zeit eine chronische Entzündung herrscht auf der anderen Seite, dass wir ein starkes Ungleichgewicht von Zucker und Fett im Körper haben. Und das wiederum führt dazu, dass Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und Bluthochdruck entstehen und es letztlich dann auch zu Verkalkungen der Herzkranzgefäße, Herzinfarkt, Schlaganfall und auch zu den oben genannten Krebserkrankungen kommen kann.
Eine chronische Entzündung führt zu Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen!Die Muskelmasse als Gegenspieler des Körperfetts ist ein wichtiges stoffwechselaktives Organ. Das sieht man dem Körper gar nicht so an, denn es sieht immer schön aus, wenn er gut trainiert ist. Aber sie hat eine ganz wichtige Rolle im Stoffwechsel. Hier werden viele Botenstoffe ins Blut abgegeben, die eine zentrale Rolle dabei einnehmen, die Entzündung im Körper herunterzufahren. Durch Chemo- und Strahlentherapien kann es zum Muskelabbau kommen und dann wird der Muskel von überproportional viel Fett umgeben. Das Ganze kann man aufhalten, indem man sich richtig ernährt. Dazu braucht man viele Proteine, um den Muskel wieder aufzubauen. Aber man braucht auch den richtigen Reiz, nämlich Bewegung und Training. Durch dieses Training kann man diesen Prozess des Muskelabbaus aufhalten und im besten Fall wieder umkehren. Es kommt vor, dass durch den Muskelabbau Chemotherapien oder andere Krebstherapien nicht mehr so gut vertragen werden. Im schlimmsten Fall muss die Dosis reduziert oder die Therapie sogar abgebrochen werden und man kann sich vorstellen, dass sich das allein schon auf die Prognose der Überlebenszeit negativ auswirkt.
Muskelabbau → Chemotherapie-Toxizität steigt → Dosisreduktion → Prognose sinktIn Bewegung bleiben während der TumortherapieKörperliche Aktivität bringt mehr Sauerstoff in den Körper, in das Gewebe, in die Muskeln, aber eben auch in den Bereich des Krebses. Sauerstoff ist ganz wichtig dafür, dass die Strahlentherapie überhaupt funktionieren kann.
Durch Krebs werden viele chaotische und auch undichte Blutgefäße gebaut, mit denen sich die Tumorzellen versorgen. Dadurch können die Chemotherapeutika nicht mehr gut in den Krebszellen ankommen und auch dort nicht mehr wirken. Die körperliche Aktivität hilft dabei, dass ordentliche Blutgefäße, also wieder „gute Straßen“, gebaut werden und die chemotherapeutischen Substanzen wieder bis zu den letzten Krebszellen überhaupt durchdringen können.
Außerdem verändert die körperliche Aktivität auch im Krebs den Stoffwechsel, damit der Krebs nicht mehr verstärkt Absiedlungen (Metastasen) in anderen Organen bildet.
Die Bewegung unterstützt auch das Immunsystem. Durch moderate körperliche Aktivität können wir unsere eigene körperliche Immunabwehr verbessern. Das spielt aktuell eine immer größere Rolle, weil wir z.B. auch Therapieansätze mit Antikörpern haben, die darauf abzielen, das körpereigene Immunsystem mehr dazu zu verwenden, gegen den Krebs vorzugehen.
Körperliche Aktivität greift den heilenden Krebstherapien unter die Arme.2. Warum ist körperliche Aktivität JETZT - in Zeiten von Covid-19 - noch wichtiger?Die körperliche Aktivität wirkt sich günstig auf das Herz-Kreislauf-System, die Muskeln, das Skelett, das Nervensystem und auch auf die Lungentätigkeit aus, die durch die Covid-19-Erkrankung besonders gefährdet ist. Durch aktive Bewegung kann man die Risikofaktoren Blutdruck, Blutzucker für einen schweren Verlauf von Covid-19 besser einstellen. Dadurch kann man zwar sein numerisches Alter nicht verändern, aber sein biologisches Alter, sodass man sich auch im hohen Alter jung fühlt.
Geeignet sind Ausdauertraining, z.B. Walken, Radfahren an der frischen Luft.
Krafttraining kann man auch zu Hause mit einer vollen Flasche oder an einem Stuhl durchführen.
Gleichgewichtsübungen und Gymnastik sind zu Hause möglich.
Besonders im Alter ist es wichtig, dass man offen für Neues bleibt und seine grauen Zellen oft beschäftigt, dafür gibt es auch körperliche Übungen, die das Gehirn trainieren.
Die
AHA-Regeln „Abstand - Hygiene - Alltagsmaske“ sind beim körperlichen Training in Covid-19-Zeiten zu beachten.
Der Abstand zu anderen soll mindestens 1,5 m, besser 2 m betragen.
Zur Hygiene gehören das Händewaschen mit Seife bzw. die Händedesinfektion sowie das Niesen und Husten in die Armbeuge.
Die Alltagsmaske ist stets so zu tragen, dass sie auch die Nase bedeckt und sie muss regelmäßig gewechselt bzw. gewaschen werden.
Bewegung an der frischen Luft und häufiges Lüften sind für die Sauerstoffversorgung und die Atmung sowie für die Verringerung der Ansteckungsgefahr von besonderer Bedeutung.
Worauf muss ich als Krebspatient achten, um in Covid-19-Zeiten sicher zu trainieren?Es ist nicht so, dass man, weil man eine Krebserkrankung hat, gleich zu den Patienten gehört, die das Risiko haben, einen schweren Verlauf bei einer Erkrankung an Covid-19 zu haben.
Man sollte aber sehr wohl vorher mit dem Arzt sprechen, ob man andere Risikofaktoren mitbringt. Das können ein höheres Alter, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein. Wenn man Immunsuppressiva nimmt, erhöhen diese die Infektanfälligkeit und man sollte eher nicht in der Gruppe trainieren. Vorsicht ist bei einer eingeschränkten Lungenfunktion geboten.
Wenn man sich krank fühlt, sollte man nicht trainieren. Das soll man sowieso nie tun, da der Herzmuskel zu sehr belastet wird und geschädigt werden kann!
Man sollte sich ausreichend und ausgewogen ernähren, viel, viel Gemüse vor allem und Obst!
Wenn man merkt, dass man immer schlapp ist, sollte man Mangelzustände (Eisen-Mangel, Vitamin D-Mangel) abklären lassen und es gegebenenfalls substituieren (KaSy: Ersetzen in der optimalen Dosis nach Absprache mit dem Arzt).
Nicht nur wegen der Covid-19-, sondern auch wegen der Krebserkrankung sollte man umgehend aufhören zu Rauchen!
Der behandelnde Arzt soll den Impfstatus prüfen. Man sollte mit ihm auch darüber sprechen ob bzw. wann im Verlauf der Krebstherapie man sich gegen Influenza und Pneumokokken, die auch für Krebspatienten eine besondere Relevanz haben, impfen lassen soll.
Man soll sich lieber draußen bewegen, denn draußen ist das Ansteckungsrisiko auf jeden Fall geringer. Ich weiß, jetzt kommt die kalte Jahreszeit und da ist es nicht mehr so verlockend. Aber wenn man drinnen trainiert, dann sollte man immer wieder mal ordentlich lüften und zwar gründlich. Der Trainingsfokus liegt jetzt ganz klar auf der Lunge, die soll ja fit sein. Und deswegen ist Atemtraining ganz besonders wichtig, gerade wenn man beispielsweise eine Operation hinter sich hat und im Bett liegen musste.
Halte Dich an die Corona-Trainingsregeln!Wenn man diese Corona-Regeln beachtet, kann man auch trainieren und sollte auch mehr als sonst trainieren. Durch Corona ist man ja auch mehr in seinem Bewegungsradius eingeschränkt, so dass man immer mal wieder zwischendurch aufstehen sollte, um ein paar Übungen zu machen.
3. Wo finde ich geeignete Sport- und Bewegungsangebote?Anika Berling-Ernst ist onkologische Übungsleiterin und bildet auch selbst onkologische Übungsleiterinnen aus.
Onkologische Sportgruppen gibt es erst seit den 1980er Jahren, weil man früher dachte, man möchte die Krebspatienten lieber schonen. Das war aber der falsche Weg.
Wo findet man als Krebspatient eine onkologische Sportgruppe:Behinderten- und Versehrtensportverbände
Selbsthilfegruppen
Beratungsstellen
Krankenkassen
Rentenversicherung
Zentrum für Prävention, Rehabilitation und Sportmedizin
www.rehasport-in-deutschland.de - Hier hilft der Behindertenverband, eine Rehabilitationssportgruppe in Wohnortnähe zu finden, wenn man seine Postleitzahl eingibt. Man sollte aber darauf achten, dass es sich um eine rein onkologische Sportgruppe handelt. Denn dieser Rehabilitationssport ist für Sie kostenlos.
Der Arzt muss das richtige Formular ausfüllen:Wenn es bei der Krankenkasse beantragt wird, ist es das Formular 56 „Antrag auf Kostenübernahme“ und es muss „Rehabilitationssport“ angekreuzt werden. Dann werden 50 Übungseinheiten bezahlt, die in 18 Monaten zu absolvieren sind.
Wenn es die Rentenversicherung zahlt, ist es das Formular G 850 „Verordnung von Rehabilitationssport“ und es werden 1 bis 2 Übungseinheiten pro Woche für die Zeit von 6 Monaten bezahlt.
Folgeverordnungen sind möglich, wenn die Indikation es erfordert. (KaSy: Statt Indikation ist vermutlich der Krankheitsverlauf innerhalb der 18 bzw. 6 Monate gemeint.)
In den Sportgruppen sind derzeit die genannten Corona-Regeln einzuhalten. Außerdem gilt:
Desinfektion der Hände vor und nach dem Training
Masken sollen während des Rehatrainings getragen werden
Abstand von 2 m unbedingt einhalten!
Keine Kontaktübungen mit Partnern!
Eigene Matten und Material mitbringen
Umkleideräume und Duschen nicht benutzen!
Wann sollte man nicht trainieren?Infektion, Bronchitis, Erkältung, Magen-Darm-Infekt
Kreislaufbeschwerden, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen
Fieber, Temperatur über 38°C
Laborwerte Hb < 8 g/dl, Thrombozyten < 20.000/Mikroliter, Leukozyten < 1500/Mikroliter
An Chemotherapietagen mit kardiotoxischen Substanzen (24-72 Stunden danach)
Knochenmetastasen mit Frakturgefährdung (Rücksprache mit dem Orthopäden)
4. Was kann ich jetzt schon für mich tun?Ausdauersport
Kraft-und Funktionstraining
Koordinationsübungen
Entspannung