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« am: 31. Mai 2013, 22:23:08 »
EIN UNGELIEBTER UNTERMIETER
Eigentlich braucht ihr keine persönlichen Informationen, weil,
wenn ihr das lesen solltet, werden alle Vorurteile wahr:
männlich, Anfang 50, melatenblond, Zwilling, Rheinländer.
Getreu dem Motto:
Et kütt, wie et kütt un Et es, wie et es un Et hät noch emmer
jood jejange.
Im März 2010 überraschte mich ein gran mal Anfall.
Meine Frau weniger, weil sie schon wochenlang meinen
unruhigen Schlaf bemerkt hatte, was ich aber geflissentlich
ignorierte.
Ab ins städtische Krankenhaus.
CT: angeblich verkapselter Schlaganfall, auf mein Drängen
wurde ein MRT gemacht, kein Schlaganfall, sondern ein
"raumgreifender Prozess". Das kann alles sein.
Also ab ins Internet.
Kurz recherchiert: Uni B und H angeschrieben
und, männlich pragmatisch, weil B näher war, dort einen
Termin gemacht. Die Unterbringung war spartanisch, der Wind
pfiff durch die Fenster, einen Fernseher brachte man von zu
Hause mit oder ließ es, aber das Wichtigste: alle waren
freundlich und wussten um das deprimierende Ambiente.
Der Professor operierte nicht mehr; den Oberarzt nach seinen
Erfahrungen gefragt, er habe wohl welche. Also los.
Die postoperative, histologische Diagnose: Astrozytom Grad 2
Primär-motorischer cortex rechts.
Operation Montag, lt. Operateur 90% entfernt, Reha ab Freitag
selber organisiert, nur raus da! In der Reha wussten sie mit
mir nichts an zu fangen. Keine motorischen Ausfälle, obwohl
man mir diese prognostiziert hatte; also doch nur ein
Betriebsunfall! Ich walkte meinen Kopf frei und entließ mich.
3 Wochen postoperativ alles prima, ich konnte endlich wieder
arbeiten!
Nach 3 Monaten merkte ich dezente Veränderungen in der
Beinmotorik links und auch da bereits ein anderes
Hautempfinden rechts.
Bei der Kontrolle in B musste erst ein Laptop für die
MRT-CD geholt werden. Zwischen Tür und Angel wurde mir
mitgeteilt, dass man aufnahme-bedingt nichts erkennen könne
Aber es wäre ja nur ein Zweier und ich solle in einem halben
Jahr wieder kommen. Ich konnte den Zeitraum auf 3 Monate
runter handeln. Nun ja, nur ein Zweier! Ich bin vielleicht zu
sensibel und horche zu viel in mich rein. Nein, ich mache mich
nicht verrückt. Tee trinken und abwarten.
Aber der erste zarte Keim des Zweifels gegenüber B an
deren Ernsthaftigkeit der Untersuchung und deren Kompetenz
war gesetzt.
Die Zielvorgabe der Herren konnte ich leider nicht einhalten.
Im Urlaub ein weiterer gran mal. Nun ja, Türkei, Hitze,
Urlaubsstress...
Zunächst das Keppra auf 2x täglich erhöht und den Alkohl auf
2x täglich erniedrigt.
Diesmal schickte ich natürlich alle Unterlagen nach H
und ließ mir einen Termin geben.
Dort war alles hochprofessionell, alles honorige Professoren,
mehr 5 Sterne Hotel als Klinik. Ich war beeindruckt!
Meine PKV später weniger; sie veranstaltete ein
Streichquartett bei der kreativen Rechnungslegung.
Die Professoren rieten mir zu einer Operation.
Ich fragte nach Alternativen, weil ich dachte, beruflich nicht
pausieren zu können, unersetzbar zu sein. Wieder Kopf in den
Sand! Ich glaubte immer noch, der angeblich Klügere gibt
nach. Dass ich das selber sein sollte, bei meinem irrationalem
Verhalten...
Die PET Untersuchungen in 2010 und 2011 ergaben noch
einen Grad 2 und ich hatte einen Grund, die Operation
dummer- und ignoranterweise herauszögern.
Als die Ausfälle beim Disco Fox auch mir endlich zu viel
wurden, kam es im Juli 2011 zu einer Rezidivoperation, jetzt
Grad 3 MGMT, in deren Folge ich zunächst, unerwartet, eine
linksseitige Hemiplegie erlitt, die sich lt. Operateur aber in den
nächsten Wochen in Wohlgefallen auflösen würde.
In Hannover sah man die erste Operation als "umfangreichere
Probeexcision" an, daher auch die fehlenden motorischen
Defizite.
Nach einer Lungenembolie konnte dann endlich die ersehnte
Reha in Meerbusch beginnen. Dort brachte man mir das
grundlegende Gehen und Greifen mit modernen Geräten,
motivierten Therapeuten und Ärzten bei.
Die im wahrsten Sinne Fortschritte waren frappant.
Der arme Arm hing hinterher.
Es brauchte natürlich permanente weitere ambulanter Reha,
um halbwegs wieder am Alltag selbstständig teilnehmen zu
könne. Im Ergebnis blieb ein spastischer Spitzfuß, der mit
einer Orthese und einem walkaide auf längeren
Spaziergängen (elektronischer Fußheber) befriedigend zu
händeln war und ein sehr berührungs-empfindlicher Arm, der
dem Bein in der Funktion noch hinterher hinkte.
Entgegen der Prognose war ich auf fremde Hilfe angewiesen.
Was vorher zu pessimistisch eingeschätzt wurde, war jetzt zu
optimistisch gesehen worden. Wenn ich mit dem Kopf in
Eiswasser stecke und mit den Füßen auf der Herdplatte stehe,
müsste dies in der Magengegend eine Wohlfühltemperatur
ergeben. Das zu Prognosen und Statistiken.
Ich habe leider zu lange auf die Physiotherapeuten gehört und
mit den Botox-Injektionen gewartet.
Ein unglücklicher Zufall gab mir die Gelegenheit dazu.
Ende 2011 wurde ein, im Nachhinein vermeintliches, Rezidiv
entdeckt. Man riet mir zu einer Rezidivoperation,
alternativ zuerst zur Bestrahlung und erfolgsabhängig
nachfolgender Operation. Beide Vorgehen wären gleichwertig.
Rate mal, was ich wählte?
In dem Strahleninstitut war auch ein Neurologe.
Dieser spritzte mir einmal Botox in den Oberarm und die
Wade.
Die Wirkung war sehr unterschiedlich. Im Arm "wirkt" sie
immer noch. In die Wade muß alle 3 Monate mit sehr
unterschiedlichen Erfolgen nachgespritzt werden.
Baclofen hilft nur bedingt.
Unter Temozolomid hatte ich Ruhe bis Anfang 2013.
Dann merkte ich rechts ein stärkeres Kribbeln in Bein und Arm.
Es war was im Anmarsch!
Beim folgenden Kontroll-MRT im Februar 2013 sah ich schon
am Blick der Radiologin, dass ich Recht hatte.
Ein überraschend großes multifokales Rezidiv links tat sich
auf der Aufnahme auf. Und vor 3 Monaten (fast) nichts zu
sehen.
Aber man sieht nur, was man weiß.
Meinem Untermieter habe ich wohl prächtige
Wachstumsbedingungen geschaffen, aber seinen
Eroberungswille kannte ich ja bereits zur Genüge.
Ich wandte mich an meinen Onkologen in H, der mich
zunächst vertröste, er wolle das im Kollegenkreis,
urlaubsbedingt innerhalb der nächsten Woche, besprechen.
Ich schickte, da H sich nicht meldete, die Unterlagen
an die Unis von K und HB.
Köln hat sich auch sofort netterweise mit Hannover in
Verbindung gesetzt und dort zugesagt bekommen, sie würden
sich bei mir melden. K wollte wohl, für mich
nachvollziehbar, dass ich in H bleibe. Sie wußten nicht
um die Vorgeschichte.
Auf den Anruf aus H warte ich immer noch.
Sie sollten sich beeilen, wenn sie noch mit mir persönlich
sprechen wollen. Dort wird halt lieber operiert.
Inoperable Tumore bringen nichts.
Die Sekretärinnen in HB war äußerst hilfsbereit und
sachkundig, ausgestattet mit einer Engelsgeduld.
Sie beschafften alle gewünschten Informationen bei den
Professoren. Die dort angebotenen Therapien kämen aber für
mich nicht in Betracht, ich möge mich aber gerne melden,
wenn noch Fragen auftreten sollten.
Sie ständen für eine Zweitmeinung immer bereit.
Es folgte ein ausführlicher schriftlicher Bericht.
Eigentlich wollte ich nicht nach B, aber Chirurgie ist nicht
Neurologie! Wie wahr.
Ein Telefonat mit B, schon am nächsten Tag Termin beim
Professor.
Sehr freundlich, sehr informativ, sehr menschlich, rundherum
füllte ich mich gut aufgehoben.
Das neue MRT mit mehr Kontrastmittel zeigte bereits nach
4 Wochen ein signifikantes Größenwachstum.
Man riet mir zu einer Umstellung der Chemotherapie (CCNU,
Procarbazin) und eventuell einer Re-Bestrahlung.
Die Prognose und Nebenwirkungen, besonders die der
Bestrahlung, wurde offen besprochen.
Diesmal nahm ich das volle Programm.
Es kann mir niemand verbieten, klüger zu werden.
Es ging für 3 Tage auf den Venusberg.
Meine schlimmsten Befürchtungen wurden übertroffen.
Ich hatte Glück mit meinem 4 Bettzimmer, andere lagen im
Gang. Das sich aufopfernde, sehr freudliche Personal machte
es erträglich.
Nach CCNU baute ich körperlich und seelisch ab.
Nichts war mehr mit der kölschen Frohnatur.
Ich kam zu Fuß rein und im Rollstuhl raus.
Aber schlimmer geht immer.
Nach dem Wochenende zu Hause, sollte ich die Bestrahlung in einer anderen Klinik machen lassen.
Dort arbeitet seit kurzem eine auf Hirntumore spezialisierte
Radiologin.
Montags war mein Zustand so schlecht, dass ich liegend
dorthin transportiert werden musste.
Aber so oder so musste ich in ein Krankenhaus.
Warum nicht nach B?
Wenn man auf einer Liege transportiert wird und die Augen
gen Himmel gerichtet sind, hat man natürlich keinen Blick für
das angenehme Ambiente dieser Klinik.
Ein langes, einfühlsames Gespräch mit dem behandelnden
Professor machte mir die schlussendliche Ablehnung der
initial stationären Bestrahlung leichter. Ambiente hin,
Ambiente her, nur nicht „stationer“.
Im Nachhinein bot man mir auch eine ambulante Therapie an,
aber da hatte ich schon in K zugesagt.
Es ging wieder liegend nach Hause.
Dort erholte ich mich unter Fortecortin in den nächsten Tagen
zusehends. Das Procarbazin machte mir keine Probleme.
Eine ambulante Alternative war die Uni K, die sich auch
nach sehr intensiver Rücksprache mit B letztendlich
bereit erklärte, die Bestrahlung zu beginnen.
Ich habe jetzt einige Bestrahlungen hinter mir, nach den
ersten hatte ich starke Gangunsicherheiten, die unter erneuten
Fortecortin-Gaben aber schnell reversibel waren.
Ich fühle mich dort freundlich und kompetent behandelt.
Die Wartezeit ist minimal, wenn nicht wieder mal das Gerät
defekt ist.
Ein Arzt ist immer für Fragen zur Stelle, die häufigen
Blutabnahmen erfolgen zügig.
Es ist müßig, in der Vergangenheit zu kramen: der Tumor
wäre so oder so gewachsen, man hätte mehr wegnehmen,
früher nach operieren können...
Auf der Zielgraden habe ich beschlossen, alles richtig
gemacht zu haben.
Vielleicht kann der Bericht dem einen oder anderen eine
Entscheidungshilfe sein.
Es würde mich freuen.
Dauermedikaton: Keppra, wegen Pantropazol Substitution
Vit.D3 und B12, Baclofen.
FORTECORTIN
Während der Rebestrahlung nehme ich z.Z. 4mg fortecortin morgens, um die motorischen Ausfälle/Spastik zu minimieren. Dafür muss ich starke Nebenwirkungen in Kauf nehmen : Schlaflosigkeit ab 3 Uhr, hohen Ruhepuls, starker Harndrang, pergamentartige, blaulivide, trockene Haut, aufgedunsenes Gesicht...
Inital nahm ich 14mg, dann ausschleichend. 2mg waren zu wenig.
Der Ruhepuls geht um 20% hoch, der diastolische Wert sinkt um 10%.Der systolische Wert liegt im Normbereich.
Dadurch kann ich auf meinen Blutdrucksenker (exforge 160/10) verzichten und nehme stattdessen einen Betablocker (Nebivolon 2,5mg) mit dilatorischer Wirkung.
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