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« Letzter Beitrag von KaSy am 15. Juni 2023, 23:07:17 »
Hallo, liebe rapteddy,
egal, womit Du anfängst, Deine Ergotherapeutin hat Recht, hier unter Gleichgesinnten, also eher Gleichbetroffenen, bist Du willkommen und wirst ohne große Erklärungen verstanden.
Ich könnte von mir sagen, dass ich Glück hatte, dass ich keine neurologischen Symptome hatte, als mein erstes und bereits recht großes Meningeom (WHO I/II) im Jahr 1995 diagnostiziert und bald danach entfernt wurde. Da es sich frontal befand, hatte ich die Befürchtung, dass sich meine Persönlichkeit derart verändern könnte, dass ich meine drei Kinder (damals 10; 12; 14) nach der OP nicht erkennen würde oder, schlimmer noch, es nicht merken würde, wie ich mich verändert hätte. Es kam nicht so, also fast nicht. Psychische Veränderungen gab es, die mich auch heute, nach weiteren "mehreren" Folge-OPs und drei Bestrahlungsserien (je 30 x 2 Gy) immer noch und mitunter deutlich mehr als damals belasten. Ich war zu jener Zeit 37, hatte die Kinder allein und machte nach der OP lange genug Pause und konnte wieder arbeiten gehen, auch nach weiteren OPs gelang mir das noch 16 Jahre lang. Nun nicht mehr.
Du fragst, womit Du Dich beschäftigen könntest, da Du Langeweile hast.
Ich war Ma-Ph-Lehrerin und hatte in allen Klassen von 1-10 auch andere Fächer unterrichtet. Ich tat das immer lieber, mit viel Freude und nach und nach bemerkte ich, dass ich gerade zu den Kindern einen immer besseren Zugang fand bzw. sie suchten ihn zu mir, die besonders schwierig sind. Diese Sensibilität hatte sich bei mir durch die eigenen psychischen Besonderheiten so entwickelt. Als ich aufhören musste, tat mir das für diese Kinder besonders weh. Und mir fehlte mein Beruf sehr. Nun hätte ich nach einiger Zeit für sie als Nachhilfelehrer da sein können, aber, so seltsam das klingt, ich konnte und wollte das nicht, es hätte mich überlastet.
So suchte ich nach anderen Möglichkeiten, bei denen ich zu nichts verpflichtet war, das ich aber doch gern tat. Ich hatte wenige Jahre lang Geschichten geschrieben und das brachte mich auf den Gedanken, in einem Seniorenheim für eine Gruppe älterer Menschen vorzulesen. Ich bereitete mich darauf genauso vor wie auf die Schulklassen voller Kinder - und vermisste die bunte Aktivität. Erst nach und nach lernte ich die kaum spürbaren Reaktionen kennen. Das Vorlesen brachte mich dazu, gut betont, sehr deutlich und mit verschiedenen Stimmlagen zu sprechen. Ich genoss es genauso wie mich die alten Damen liebten.
Wenige Jahre später fand ich im eigenen Ort, fußläufig entfernt, eine kleine Gruppe von intelligenten Menschen, die sich für die Geschichte unserer (jetzt) erst 130-jährigen Gemeinde interessierten und für unser Heimatarchiv forschten. Mit ihnen konnte ich kluge Gespräche führen und das ergänzte die Einseitigkeit des Vorlesens auf beste Weise. Alle paar Jahre veröffentlichten wir eine sorgfältig recherchierte Broschüre in A5-Größe mit etwa 70 Seiten zu bestimmten Themen, die bei unseren Einwohnern und Ehemaligen Bürgern interessiert gelesen wurden.
Beides machte mir viel Spaß, bis ich erst das Vorlesen nicht mehr schaffte und dann auch die Ortschronisten wehmütig aufgeben musste.
Aber, als ich im Alter von erst 54 Jahren zu Hause bleiben musste, bescherten mir meine Kinder fast jedes Jahr ein Enkelkind. So wie meine Kinder damals meine Motivation zum Weiterleben waren, sind es jetzt die drei Familien mit den fünf Enkeln, die jetzt 6 bis 11 Jahre jung sind. Sie alle geben mir immer wieder Lebensmut, obwohl sie nicht in meiner Nähe leben. Sie haben in 25 km, 60 km und 600 km Entfernung ihre Arbeit und ihre Lebensmittelpunkte gefunden. Zum Glück wurde das Handy erfunden und kann so einiges mehr als der Computer. Damit können wir Entfernungen überbrücken. Das ist wunderbar!
Mittlerweile habe ich den Schwerbehindertengrad 90 und den Pflegegrad 2, versorge mich selbst, aber nutze Hilfen für das Haus und den Garten. Für meine Psyche kommt eine Ergotherapeutin wöchentlich zu mir nach Hause oder wir telefonieren und wir wurden in den letzten 6,5 Jahren zu sehr guten Freundinnen.
Aber auch die Hirntumorbetroffenen liegen mir sehr am Herzen. Nach derart langer Zeit mit vielfältigen Erfahrungen kann ich ihnen auf ihre Fragen fachlich verständlich und emotional gut antworten und tue das, was von Zuhause aus und mit dem Smartphone von überall möglich ist, sehr gern. Es erfüllt mein Leben, denn diese seltene und oft "Tabu-Krankheit" braucht Menschen wie mich so wie früher meine Schüler.
Daraus entstanden auch einige gute Freundschaften über hunderte Kilometer hinweg, mit denen ich dann reden kann, wenn ich Gleichbetroffene brauche oder einfach mal nur schwatzen will.
Ich glaube, Du findest dies und jenes zum Ausprobieren, denn Langeweile solltest Du wirklich nicht haben. Schau Dich um und suche zauberhafte Glückspünktchen! Sie liegen überall herum, Du musst sie nur finden, sie aufheben und aus ihnen Ideen schöpfen.
Beste Grüße
KaSy