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Autor Thema: Vom Pflegenden zum Angehörigen ---Vorstellung Kardia Freundin e. (Betroffenen)  (Gelesen 5228 mal)

Kardia

  • Gast
Hallo!

Beim Surfen im Internet bin ich auf dieses Forum gestoßen. Ich hoffe, dass meine Gedanken zu dieser sensiblen Thematik hier richtig sind und ich sie miteilen kann, vielleicht gibt es sogar ein Feedback.

Seit etwa elf Jahren bin ich Krankenschwester, 2006 begann ich meine Arbeit an einer neurochirurigischen Klinik. Meinen Beruf übe ich tatsächlich vom ersten Tag an mit Leidenschaft, Herz und Seele aus, doch noch nie hat er mir so viel Freude und Erfüllung gegeben, wie auf dieser Station. Meine Kollegen gehen ihrer Tätigkeit allesamt täglich mit einem ähnlichen Enthusiasmus an wie ich. Und damit meine ich nicht nur das Pflegepersonal, sondern das Team in seiner Gesamtheit
mit fantasischen Ärzten, Reinigungskräften, Arzthelferinnen, Sekrätärinnen und Aushilfen. Über einen breiten Raum erfreuen wir uns deshalb zu Recht eines sehr guten Rufes.
Eine besondere Herausforderung stellte für mich von Anbeginn die Arbeit für und mit Patienten, die an einem Glioblastom erkrankt sind sowie deren Angehörigen dar. Nie fiel es mir schwerer, die richtigen Worte zu finden, Hoffnung zu vermitteln in Hoffnungslosigkeit, zu beruhigen bei absoluter Angst und Verzweiflung. Bei etlichen Aufklärungsgesprächen mit Ärzten und Angehörigen hielt ich Hände, nahm in den Arm und sah in diese Augen - Augen voller Leben und Furcht, wie die eines Rehs, bevor es überfahren wird. Ich weiß, dieser Vergleich mag etwas teatralisch sein, aber er war für mich immer der treffenste. Das einzige, was ich anschließend sagen konnte war: Es tut mir leid. Dann irgendwann folgte die Entlassung. Manchmal traf man sich in der Stadt oder Ambulanz zur Kontrolle wieder und freute sich über gut anschlagende Theapien. Manchmal kamen einige mit einem Rezidiv wieder. Und manchmal sah ich sie nie wieder. Was hinter und vor den Betroffenen und ihren Lieben lag, konnte ich nur ahnen.
Vor zwei Monaten dann kam ein lieber und enger Freund meiner Familieit Wortfindungstörungen ins Krankenhaus. Er gehört zu der Sorte Menschen, mit denen man nicht genetisch verbunden sein muss, um mit ihnen verwandt zu sein. Meine Eltern sind seit Jahrzehnten mit ihm und seiner Frau befreundet, wir waren einmal Nachbarn, mit dem jüngsten Sohn bin ich aufgewachsen. Ingolf, so heißt er, ist einer der intelligentesten, witzigsten, unternehmungslustigsten und liebsten Menschen, die ich kenne, mit ihm und seiner Familie verbinde ich meine schönsten Kindheitserinnerungen. Nach der OP trug er auch noch eine Halbseitenlähmung rechts davon. Schon bevor der Befund mitgeteilt wurde, ahnte ich das Schlimmste - die Last des Wissens. Und es kam, wie befürchtet: Glioblastom WHO Grad IV. Er wollte die erste Zeit keinen  Besuch, also schrieb ich ihm, an seinem Geburtstag telefonierten wir und er sagte, er würde uns und unseren kleinen Sohn (1 1/2) so gerne wiedersehen. Es fiel mir so schwer, mir diesen aktiven, lebenslustigen und wortgewandten Menschen im Rollstuhl und mit Sprachstörungen vorzustellen. Heute war es dann so weit - und dann diese Augen. Voller Leben, mit dem selben Schalk wie ich sie in Erinnerung hatte. Aber auch mit der Furcht und Verzweiflung eines Gliopatienten. Seine Frau kämpft jeden Tag, mit Behörden, Pflegekasse, der Angst, damit, nicht durchzudrehen. Sie gibt zu, von morgens bis abends nur zu funtionieren. Seine Söhne kommen so oft es geht. Ingolf strahlte mit seinen Augen unseren kleinen Sohn an. Vermutlich in dem Wissen, dass sie wohl nie sein eigenes Enkelkind erblicken werden. Er wollte doch noch ein Buch schreiben, so viel kochen und reisen...ich habe ihm ein Einhandbrett und ein spezielles Messer mitgebracht, werde den so dringend benötigte dritten Rollstuhl (ein Umbau wäre zu aufwendig, deshalb wird in jedem Raum einer gebraucht) organisieren. Und ich komme immer wieder zu Besuch. Beim Abschied mussten wir alle weinen, bevor ich ging sagte ich noch zu seiner Frau: Es tut mir so leid...

Ich kann natürlich nur ahnen, was die ganze Familie durchmacht. Aber jetzt habe ich gesehen, was nach so einer Entlassung geschehen kann, habe zumindest bei einem Menschen hinter die
Kulissen geblickt. Einem Menschn, der mir sehr am Herzen liegt. Ich nehme diese Erfahrung und Gefühle mit in meine Arbeit, denn dann kann ich in solche Augen blicken und statt einer hilflosen Floskel aufrichtig sagen: Es tut mir ehrlich leid und ich weiß auch, warum.

Meine wärmsten und liebsten Gedanken und Grüße an alle Betroffenen und ihre Angehörigen, vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
      
« Letzte Änderung: 29. Mai 2011, 21:52:32 von fips2 »

 



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