Entschuldigt bitte, aber es wird lang werden
Ich habe mich voller Interesse durch euer Forum geforstet und sehr viele nützliche Infos erhalten. Toll das es sowas gibt. Nun... Gerne würde ich Euch die Geschichte meines Freundes und mir erzählen und ein paar Meinungen dazu hören.
Ich weiss, dass dies hier sehr ins persönliche geht, aber damit sich jeder ein Bild machen und Ratschläge geben kann, werde ich wohl etwas detaillierter erzählen und ausholen müssen.
Mein Freund und ich sind jetzt ein halbes Jahr zusammen. Er ist 29 Jahre alt und hat seine Diagnose Astrozytom WHO Grad II seit ca. 5-6 Jahren.
Der erste Punkt ist mal, dass absolut NIEMAND von seiner Krankheit gewusst hat seit der Diagnose bis er mich kennenlernte. Seinem besten Freund hat er es einmal erzählt, aber der zeigte (leider) wenig Interesse, sich mit der Krankheit seines besten Freundes auseinanderzusetzen. Auch fragt er bis heute nie nach, wie es ihm geht. Er hat wohl selber Mühe damit umzugehen.
Mein Freund führte in den letzten Jahren ein relativ "lotterhaftes" Leben, hat so nach dem Motto "ich geniesse jetzt noch das Leben bevor ich sterbe", gelebt. Beziehungen hatte er immer nur kurze, Interesse und Gefühle für andere Frauen waren nie vorhanden. Wie oben schon erwähnt hat auch nie eine Freundin von seiner Krankheit gewusst.
Er hat jahrelang vor seiner Familie, seinen Freunden eine Fassade aufrecht erhalten, gelogen und seine Symptome versteckt, damit niemand etwas merkt. Die Gründe dafür waren, dass er niemandem zur Last fallen will und seine Krankheit als sogenannte "Strafe" für sein Leben angenommen hat (welches nicht immer so in geordneten Bahnen verlief und er sich auch Vorwürfe für teils Dinge, die er getan hat, macht). Eine Person aus seinem Verwandtenkreis ist mitte zwanzig an einem Hirntumor verstorben, ist also in der Familie erblich bedingt.
Er hat so wahnsinnigen Respekt davor, es seiner Familie zu erzählen, da er befürchtet nur bemitleidet zu werden und weil er niemanden Schaden dadurch zufügen will. Er ist der festen Überzeugung, dass alle besser dran sind, wenn sie es nicht wissen, weil sie dann weiterhin so unbekümmert mit ihm umgehen wie früher auch und sich keine grossen Sorgen machen. Er will einfach, dass man ihn weiterhin so "nimmt" wie er ist. Was für mich auch absolut verständlich ist. Ebenfalls im Geschäft wissen sie nicht, er hat eine Kaderstelle in ca. 2 Jahren in Aussicht und er meint, dass die Firma niemals einen kranken Menschen in eine Führungsposition stellen wird und sie es deshalb nicht erfahren dürfen. Sonst werden sie ihn abwimmeln.
Warum er es dann mir erzählt hat? Das weiss ich nicht. Aber ich bin sehr froh darüber und sage ihm das auch regelmässig, dass es die richtige Entscheidung war. Meiner Meinung nach, kann ein Mensch mit einer solchen Diagnose doch nicht alleine "weiterwursteln", daran muss man doch zugrunde gehen...
Er hat es mir relativ am Anfang von unserer Beziehung gesagt, jedoch hat er auch da eine dreiviertel Stunde gebraucht um es mir zu beichten, dass er schwer krank sei. (er hat wohl gedacht ich steh auf und geh dann...?!) Ich sei ihm aber so wichtig, dass er die Beziehung nicht auf einer Lüge aufbauen möchte und er es als wichtig empfinde, es mir zu sagen.
Im Nachhinein denke ich, wäre ich sowieso stutzig geworden, er zeigt schon relativ starke Symptome, welche ganz bestimmt nicht einfach so an mir vorbeigegangen wären. Er hat regelmässig Schwindelanfälle, ganz schlimme Kopfschmerzen, Orientierungslosigkeit, Atembeschwerden (hat das Gefühl er kriegt keine Luft mehr), Muskelkrämpfe, der ganze Körper windet sich vor Schmerzen, Aggressionsanfälle die er nicht steuern kann, Bewusstlosigkeit, bei schlimmen Schmerzen ist er abwesend, kann sich an nichts mehr erinnern was vor 2 Minuten noch los war...
Ich habe effektiv keine Ahnung wie er das alles vor anderen Leuten noch verstecken kann. Aber es geht. Es muss auf jeden Fall für ihn sehr anstrengend sein.
Und nun zu "unserem" Problem: Er möchte sich nicht operieren lassen. Er ist davon überzeugt, das was schiefgehen wird und er nachher geistig behindert oder gelähmt sein wird. Er hat die Horrorvorstellung pflegebedürfitg zu werden und mir dann zur last zu fallen. Er will für mich das klassische "Mannsbild" darstellen, er ist wahnsinnig eitel, trainiert wie ein verrückter und ist stolz auf seinen muskulösen Körper. Erwähnt aber immer wieder, dass er irgendwann wohl nicht mehr so aussehen wird und ich ihn dann bestimmt nicht mehr so lieben kann wie jetzt. Also trägt er auch Verlustängste mit sich rum, sagt wie schnell ich wohl wieder einen neuen Mann haben werde, wenn er gestorben sei. Die Vorstellung mache ihn irre. Er will mich hier nicht allein zurücklassen, wisse aber dass er es irgendwann müsse.
Dann kommt der nächste Punkt. Ich habe erst diese Woche von der Art und Schwere seines Tumors erfahren. Bis vor ein paar Tagen wusste ich nicht was für einen Tumor er genau hat. Auch nach mehrerem nachfragen hat er es nicht preisgegeben, weil er genau weiss, dass ich mich nachher schlau mache und mir schlussendlich noch mehr Sorgen machen werde als jetzt schon. Er hat bis heute nicht begriffen, dass es für mich viel schlimmer ist "nichts" zu wissen, als wenigstens einen Anhaltspunkt zu haben. So kann ich auch lernen damit umzugehen. Ist ja auch für mich nicht einfach "so in der Luft zu hängen". Auch wenn er zum Arzt geht, erzählt er mir sehr ungern und immer nur in Bruchstücken von den Untersuchungen. Ich muss ihm alles aus der nase ziehen. Auch will er nicht, dass ich ihn zum Arzt oder in den Spital begleite. Er fühle sich immer so krank im Spital und dann werde ihm bewusst, dass er schwach sei und er wolle für mich keinen schwachen Mann darstellen.
Er ist regelmässig im Spital, im Schnitt sicher einmal im Monat, entweder weil er einen Anfall hatte oder es vor Schmerzen fast nicht mehr ausgehalten hat. Seine Medikamente nimmt er nur ungern und unregelmässig. So nützen sie natürlich auch sehr wenig. Er versucht immer runterzuspielen wie schlecht es ihm wirklich geht. Dafür sehe ich das ganz klar, kenne ihn ja nun auch schon sehr gut. Die Ärzte sagen ihm immer wieder er solle lieber heute als Morgen den Tumor operativ entfernen lassen.
Mein Problem ist einfach, dass ich nicht weiss wie mit seinem Verhalten umgehen. Er gefährdet unsere Liebe mit seiner Zurückgezogenheit. Er sagt immer er wolle mich nur schützen, merkt wohl irgendwie nicht, dass er es so nur noch schlimmer macht, in dem er mich nicht für ihn dasein lässt. und mich in seiner Krankheit so "ausklammert" Auf die andere Seite will ich ihn auch nicht unter Druck setzen, merke aber dass mich die ganze Situation sehr belastet. Bin total verzweifelt. Vor drei Wochen war er im Spital und hat schlechten Bericht gekriegt wie er mir erzählt hat. Was genau die Ärzte gesagt haben will er mir aber einfach partout nicht sagen. Ich merke einfach, dass er total durch den Wind ist. Er hat Andeutungen gemacht wie "meine Träume sind futsch" "all meine Pläne kann ich wegschmeissen"...
Hat jemand einen Tipp für mich was ich tun kann, bzw. wie mit seinem Verhalten umgehen? Ich bin mit meinem Latein am Ende. Möchte doch nur helfen, merke aber auch dass ich mich auch langsam verschliesse, weil mich seine Zurückgezogenheit dermassen schmerzt und mich fast auffrisst.
Auf die andere Seite ist für mich auch völlig verständlich, dass man nach 6 Jahren totaler Verschlossenheit nicht von heute auf morgen "den Knopf" auftun kann. Es kommt schon immer wieder vertröpfelt eine Information von ihm, aber nur sehr schleichend und langsam.
Möchte ihm doch auch das Gefühl geben, dass er sich bei mir fallenlassen und einfach so sein kann wie er ist. Aber ich schaffe es irgendwie nicht