Liebe Christa,
Brava! Das klingt Filmreif. Du hast es genau richtig gemacht.
Ich weiß nicht ob dies dir tröstet, aber ich, als höfliche Australierin, hatte genau so ein Erlebnis als ich mit ein unglaublich unfreundliche Postangestellte mal konfrontiert bin. Lange, lange her. Es war so banal. Es ging um ob mein Bücherumschlag offen und wieder schließbar war. Ich habe es demonstriert, er sagte, nein, das gilt nicht. Der Preisunterschied war heftig. Und ich habe ihn dann wild angeschrien. Nachher zitterte ich noch von Schock, und dachte, „aber das bin ich doch gar nicht.“ Ich habe darüber nachgedacht, und bin zu den Schluss gekommen, das ich noch nie so gewesen bin, weil ich noch nie mit so was konfrontiert worden bin, was so weit von meine Vorstellung von die Welt war. Ich habe ihm angeschrien, „Warum kannst du nicht mal einfach nett sein? Wäre es so schwierig?“
Lass dich nicht verirren. Deine „Freundin“ hat sich UNMÖGLICH verhalten, und hat das Anschrei regelrecht verdient. Ich bin mir sicher, das sie alles gut gemeint hat, aber das ändert nichts an der Tatsache.
Christa, die Leute haben Angst. Die haben unglaublich viel Angst vor dem Tod. Die wollen es nicht wahr haben. Und die verhalten sich entsprechend. Die können nicht verstehen, wie es dir geht, weil die es nicht verstehen wollen. Ich kann dir nicht sagen wie oft mit die Leute angesprochen hat mit „meine Tante hatte Krebs, sie gilt als unheilbar, dann aber hat sie es mit Salzkristalen und Nektarinen probiert, jetzt ist sie 85 und läuft Marathon…“ usw., immer mit den unterschwelligen Botschaft, Mensch, wenn du dich wirklich anstrengen würdest, würdest du auch dich heilen können. Ganz krass: Ich nahm meinem Mann vom Hospiz im Rollstuhl mit Krankentransport zur Hochzeitsfeier meine Freunde. Er wollte so gern. Es war ihm eindeutig zu viel, es war auch sein letzter Ausflug, aber er war dabei, das hat ihm gefreut. Der einer Tischnachbar dann zu meine Cousine: „Meine Tante ist Heilerin und hat sogar Hirntumorpatienten geheilt. Aber die müssen natürlich erst wirklich wollen, geheilt zu werden…“ Leider war ich in dem Augenblick nicht dabei, sonst habe ich ihm wahrscheinlich die Augen mit der Kuchengabel ausgekratzt. So viel Dummheit.
Auch die best gemeinte Tipps kommen manchmal fehl an. Meine Bücherregal ist voll mit passende Literatur, „The Tibetan Book of Living and Dying“, „World Without Cancer“, „die Liebe heilt“ und und und. Ich kann die nicht anschauen. Zahlreiche Freunden haben interessante Magazinartikeln mir geschickt, über Forschung im Hirntumorbereich. Die meisten landen ungelesen im Altpapierkorb. Mein Gott, wir haben uns bemüht, wir haben alles Denkbares probiert. Wir hatten die besten Ärzte überhaupt. Nichts davon ändert die Tatsache, sorry, das man an Glioblastom stirbt. Mann kann nur versuchen, bis dahin so gut wie möglich noch zu leben.
Schrei die ruhig an. Vielleicht lernen die dadurch. Viele sind aber leider unerziehbar, und du muss lernen, ohne diese „Freunde“ zu Recht zu kommen. Du wirst überrascht. Manche Freunde, von dem man es nie erwartet hat, entpuppen sich als wunderbar, und es kommen auch neue Freunden dazu, entfernte Bekannte die plötzlich da sind und verstehe und helfe. So ist es auf jeden Fall bei uns gewesen. All die, die nicht damit umgehen können – es sind viele – können eigentlich nichts dafür, und ich versuche, denen es nicht übel zu nehmen, aber von den Krebsheilgeschichten muss man sich schonen. Es hilft nun wirklich nicht.
Du hast nun wirklich genug am Hals. Du bist nicht noch dazu verpflichtet, Idioten mit liebevoller Geduld zu behandeln. Wirklich nicht. Das ist keine Persönlichkeitsänderung, das ist ganz gesund, Christa.
Alles Liebe,
Shirley