Hallo Natascha,
meine Tochter war zu Beginn der Bestrahlung 3 Jahre und 4 Monate alt und wurde in der Kinderklinik Augsburg, mittlerweile heißt es Schwäbisches Kinderkrebszentrum, behandelt.
Wir waren auch öfters mit Fieber und „Leuko-Tief“ im Krankenhaus. Eigentlich ist das ja ein gutes Zeichen dafür, dass die Chemo gut und tiefgreifend wirkt. Bei Kindern die „alles“ ohne Probleme wegstecken ist der Erfolg oft nicht so durchschlagend, zumindest was ich aus meiner Beobachtung und aus vielen Elterngesprächen sagen kann. Ich bin nämlich in einer Art Selbsthilfegruppe aktiv und mache regelmäßig auf der Kinderkrebsstation einen „Elternkaffee“ für Mamas und Papas akut erkrankter Kinder und organisiere Freizeiten für betroffene Familien, deren Kinder die Krankheit überwunden haben, bzw. besser gesagt, so heißt es ja wohl offiziell, sich in konstanter Remission befinden, denn von Heilung wagt man meist (noch lange) nicht zu sprechen… Da bekommt man schon einiges mit…
Meiner Meinung nach ist es aber am Wichtigsten, dass der Tumor komplett entfernt werden konnte. Da habt Ihr schon mal einen super Start hingelegt. Und unter Chemotherapie ist auch kein Rezidiv aufgetreten. Das sind die besten Voraussetzungen für die jetzt anstehende Bestrahlung!! Uns wurde damals nämlich gesagt, dass Ependymome eher schlecht bis gar nicht auf Chemotherapie ansprechen und diese nur deshalb angewandt wird, um die Bestrahlung zeitlich nach hinten zu verschieben, damit die Entwicklung des Gehirns erst in einem möglichst späten Stadium „gestört“ wird, also um die Gefahr von gravierenden Langzeitschäden zu vermindern und die spätere Lebensqualität zu verbessern.
Vor uns wurden in Augsburg (das liegt übrigens weit über 100 km von unserem Wohnort entfernt) in den letzten Jahren zwei Patientinnen mit Ependymomen behandelt. Bei beiden Kindern konnte der Tumor auch komplett entfernt werden, bei einem Mädchen allerdings erst in einer 2. Operation. Die Diagnosen müssten mittlerweile bereits 10 bzw. 13 Jahre zurückliegen. Und beide Mädchen sind „gesund“. Wie „gesund“ weiß ich allerdings nicht, da ich nie persönlichen Kontakt mit den Eltern oder den Kindern hatte. Ich weiß nur von der Klinikseelsorgerin und dem Psychosozialen Dienst, dass es beiden „gut geht“.
Solche Berichte sollten einem eigentlich Mut machen, sollte man zumindest meinen. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, was einem da so alles im Kopf rumgeht und wie man sich in was reinsteigern kann: Ich habe, wahrscheinlich in den gleichen Quellen wie Du, gelesen, dass statistisch gesehen, jedes 3. Kind mit der Diagnose Ependymom stirbt. Die zwei Kinder (aus der Erzählung oben) hatten es „geschafft“, also waren jetzt wir „dran“ (mit Sterben). Ich kam mir gedanklich vor wie ein „Hamster im Tretrad“ und war kurz vor dem „Durchdrehen“. Ich kam diesen zerstörerischen Gedanken mit Logik und dem „gesunden Menschenverstand“ (wie es immer so schön heißt) auch nicht mehr bei. Sehr geholfen hat mir da ein Gespräch mit dem Psychologen der Kinderonkologie. Er hat mir klargemacht, dass kein Kind zu 20 %, 40 % oder 65 % überlebt – entweder es überlebt ganz oder gar nicht.
Seitdem gebe ich nicht mehr so viel auf Statistiken oder Überlebensprognosen. Zumal ich selbst miterlebt habe, wie ein Mädchen mit einer Krebserkrankung, die zu 95 % heilbar ist, neu auf die Station kam. Die Eltern waren sehr optimistisch und betrachteten die ganze Sache mehr wie einen „Blinddarm“. Das Mädchen ist dann allerdings recht schnell und unerwartet gestorben. Sie hat zu den anderen 5 % gehört. Und auch wir selbst haben schon so unsere Erfahrungen gemacht: In 99,9 % aller Fälle heilen OP-Narben angeblich komplikations- und folgenlos. Wir gehören zu den anderen 0,01 %. Unsere Tochter hatte, schon während der Therapie und auch hinterher, immer wieder entzündliche, sehr großflächige Abszesse im OP-Bereich. Aufgrund der immensen Schwellung - es hätte ja auch eine Liquor-Stauung, ausgelöst durch Raumforderung, sprich Tumorwachstum, sein können - so bestand auch immer die Möglichkeit, dass es sich um ein massives Rezidiv handelt.
Es war aber ein OP-Faden, der sich nicht aufgelöst hatte und so immer wieder für Aufregung sorgte – das wussten wir zu dieser Zeit natürlich (noch) nicht. Das wurde erst offensichtlich, als ein Wespenstich im Nacken eine so schwere eitrige Entzündung verursacht hatte, dass operiert werden musste. Das „Gebiet“ wurde (einschl. OP-Faden) großzügig „ausgeräumt“ und wieder zugenäht. Aber schon vor dem „Fäden-ziehen“ war klar, dass da erneut wieder was „kommt“. Unsere Tochter hat bis heute eine kleine offene Stelle hinten im Nacken, direkt auf der OP-Narbe, eine sogenannte chronische Fuchsbau-Fistel, die einfach nicht heilt. Aber wenn das die einzige „Komplikation“ ist und bleibt, dann können wir ganz gut damit leben…
In den ersten zwei Jahren nach Therapieende war meine Tochter aufgrund der Immunschwächung schon sehr anfällig. Sie hatte (da war sogar der Hickman-Katheder noch drin) Gürtelrose, Mittelohrentzündungen, eitrige Angina, eine leichte Lungenentzündung und mehrere, eher harmlose Infekte. Aber mittlerweile hat sie sich gut erholt. Sie ist jetzt auch nicht öfters krank als gleichaltrige Freundinnen und Mitschüler!!
Nochmal zu den möglicherweise auftretenden Spätfolgen: Bei den „Krebskindern“ neigt man dazu, alle möglichen Probleme auf die Chemo bzw. Bestrahlung zurückzuführen: Aber wie viele Kinder sind verhaltensauffällig, haben Lern- bzw. Konzentrationsstörungen, leiden unter Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom oder Hyperaktivität und schaffen die Regelschule nur unter größten Anstrengungen – wurden aber NIEMALS mit Chemo oder Strahlen behandelt!?!? Gut, bei größeren Kindern hat man einen Vorher-Nachher-Vergleich aber bei so kleinen Kindern wie unseren weiß man einfach nicht, wie sie sich entwickelt hätten, wenn ….
Jetzt bin ich doch wieder ins Erzählen geraten, dabei wollte ich eigentlich Deine konkreten Fragen beantworten:
Die MRTs erfolgen während der Therapie normalerweise vierteljährlich. Einige Zeit nach der Bestrahlung, ich glaube es waren rund 6 Wochen, wurde ein Kontroll-MRT gemacht. Danach folgte alle 3 Monate eine gründliche und umfassende Kontrolluntersuchung: Verschiedene neurologische Tests, Blutbild, körperliche Entwicklung und natürlich ein MRT ! Mittlerweile finden diese Kontrolltermine bei uns nur noch halbjährlich statt.
Anfangs haben diese Termine mein bzw. unser ganzes Leben bestimmt. Ich habe nur bis zu diesem Termin geplant und nicht darüber hinaus gedacht. Einmal hatten wir in der Adventszeit einen MRT-Termin. Ich habe davor keinen Kerzenkranz gekauft, keine Plätzchen gebacken, die Wohnung nicht weihnachtlich dekoriert und auch keine Geschenke besorgt. Erst als das gute Ergebnis vorlag, konnte ich mich auf Weihnachten „einlassen“. Die Weihnachtszeit war in diesem Jahr deutlich kürzer. Auch die Urlaubsplanung musste in den ersten 2 Jahren sehr kurzfristig erfolgen, vor allem, wenn man auch noch eine „große“ Tochter hat und deshalb auf die Ferienzeiten angewiesen ist. Und zwischen zwei MRTs lagen eben nur 3 Monate…
Zu dieser Zeit hatten wir bis vor kurzem immer etwas „getan“. Wir haben gegen den Feind „Krebs“ gekämpft – mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln – Operation, Chemotherapie und Bestrahlung. Das MRT-Ergebnis war (sozusagen als „Belohnung“) immer gut. Und jetzt?? Plötzlich tun wir nichts mehr!! Was passiert dann?? Das Gefühl, jetzt nichts mehr „tun“ zu können und einfach nur abwarten zu müssen, war schlimm für mich…
Ein großes Problem waren für mich auch die ersten Wochen unmittelbar nach Therapieende. Ich bin davon ausgegangen, man freut sich einfach, dass endlich alles vorbei ist. Aber es kam (so wie bei fast allen anderen auch und vom Klinikpsychologen schon vorher prophezeit), eine Zeit der ganz großen Leere und Unsicherheit. Außerdem war ich plötzlich sehr anfällig für kleine gesundheitliche Problemchen bzw. Störungen. Ich habe mich 1 ½ Jahre körperlich und seelisch am Limit bewegt (auch aufgrund unserer speziellen Familienstruktur) und die maximalen Belastungsgrenzen immer weiter hochgeschraubt und auch ausgereizt. Wenn mir vorher jemand gesagt hätte, was ich alles „schaffe“, das hätte ich nie geglaubt…Und als dann aber der Druck weg war und ich nicht mehr „musste“, da „konnte“ ich auch plötzlich nicht mehr... Erschöpfung, Übelkeit, Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme und ständige Infekte waren über mehrere Wochen meine recht anhänglichen Begleiter…
Das alles ist jetzt natürlich schon recht lange her… Bald vier Jahre …
Die mittlerweile halbjährlichen MRT-Termine sind aber immer noch ein Angstfaktor und werden es wohl auch noch lange bleiben…
Auch wenn meine Tochter mal Kopfschmerzen hat oder brechen muss, ohne dass sie mir krank erscheint oder ich sonst irgendeinen Grund erkennen kann, werde ich gleich sehr unruhig und mache mir große Sorgen.
So z. .B. vor ungefähr 1 ½ Jahren, da war sie noch im Kindergarten. Da hat sie mal ein ganzes Wochenende über starke Rückenschmerzen geklagt. Das ist bei einem Kind ja wirklich nicht normal…Und irgendwelche Verletzungen oder einen „blauen Fleck“ konnte ich nicht feststellen… Ich war am Sonntagabend fast überzeugt davon, dass sie Metastasen im Wirbelkanal hat… Am Montagmorgen, nach einem Gespräch mit der Erzieherin, wusste ich, dass sie beim Spielen auf der Rutsche die Beine des „Hintermanns“ ins Kreuz bekommen hat… Die Fragen an meine Tochter, ob sie irgendwo runtergefallen ist, hatte sie (natürlich wahrheitsgemäß) immer verneint…
Ein anderes Mal, das ist jetzt erst ein paar Monate her, musste sie sich an drei (!) aufeinander folgenden Tagen, immer gleich morgens nach dem Aufstehen, übergeben. Den Rest des Tages war sie gesund und fit. Keine Bauschmerzen, kein Fieber, kein Durchfall, nichts!! Meine Alarmglocken haben natürlich sofort geschrillt – Erbrechen – und das auch noch morgens nüchtern, beim Lagewechsel (Aufstehen!) sind eigentlich deutliche Anzeichen für Hirndruck!! Die behandelnde Ärztin hat (für mich übrigens total unverständlich) allerdings erst mal „abwarten“ angeordnet… Ich war in Panik und habe tage- bzw. nächtelang nicht geschlafen… Und siehe da, ein paar Tage später hatte meine große Tochter die gleichen Beschwerden und ein paar Klassenkameraden auch… Muss irgendein sehr komischer Virus gewesen sein…
Solche Sachen werfen mich dann hin und wieder schon ziemlich aus der Bahn… Da ist dann auch sofort die Angst wieder da…
Ich weiß, man neigt dazu, das Kind viel zu sehr zu beobachten und sich immer gleich übertriebene Sorgen zu machen. Das zeigen meine Geschichten oben ganz deutlich. Das ist ja auch verständlich: Das eigene Kind hat eine lebensbedrohliche Krankheit überwunden und man selbst hat noch die Prognosen im Hinterkopf und die Angst ganz tief im Herzen. Man möchte dem Kind alles erlauben und jeden Wunsch erfüllen, alles Unerfreuliche von ihm fernhalten. Das Kind soll nur schöne Dinge erleben und sich immer freuen können. Aber das geht leider nicht lange gut…. Das funktioniert im Leben einfach nicht… Und die Kinder untereinander, also Geschwisterkinder, im Kindergarten oder in der Schule - fordern sowieso Gleichbehandlung, da gibt`s keine „Extrawurst“. Und zuhause in der Familie, da liegt diese Aufgabe dann bei den Eltern… Genau hier beginnt dann die „Arbeit“ – im Interesse und auch zum Wohl des Kindes…
Ansonsten hat sich die Lage aber mittlerweile in allen Bereichen deutlich entspannt. Und das ist auch gut so. Und wichtig. Denn wir müssen und wollen (!) ja auch davon ausgehen, dass unser Kind GESUND IST und IMMER gesund BLEIBT. Und auch Ihr habt, so wie es jetzt aussieht, allen Grund dazu, so zu denken! Und dazu gehört dann auch, dass wir so NORMAL wie möglich mit unserem Kind LEBEN und es (bei Bedarf) im Rahmen seiner Möglichkeiten fördern und unterstützen, so dass es sein weiteres Leben, das hoffentlich möglichst uneingeschränkt sein wird, relativ problemlos meistern kann…
Falls Du jetzt, während der Therapie, danach oder erst viel später Rat oder Hilfe brauchst, melde Dich einfach bei mir… Auch gerne nur „einfach so“ zum „Reden“ oder besser gesagt, zum „Schreiben“…. Du siehst ja, dass ich gerne und viel erzähle und fast kein Ende finde…
Viele Grüße und alles, alles Gute für Lennart und damit auch für Euch.
Ich hoffe, die Befunde bleiben weiterhin und für immer so gut wie jetzt und Lennarts Entwicklung verläuft auch künftig so gut und so erfreulich und so normal wie bisher.
Vielleicht bis bald, Simone