Hallo,
Ich habe länger hin- und herüberlegt, ob ich mich bei euch registrieren soll. Mein Mann meint, ich beschäftige mich dauernd mit dem Thema und wenn ich hier mitschreibe wird es vielleicht nur schlimmer. Doch irgendwie zieht es mich her und ich möchte euch gerne was über meine Mutti aufschreiben.
Meine Mama wird im August 52 Jahre alt. Mein Papa ist um einiges älter als sie. Ich dachte mir immer, meine Mama werde ich laaaange haben und um Papa habe ich mir oft Sorgen gemacht.
Anfang 2004 wurde bei Mama ein Gehirntumor festgestellt. Um Weihnachten herum hatte sie "eigenartige Beschwerden". Kein Schwindel und doch, keine Übelkeit und doch und im Nachhinein kann sie die Aussage eines Arztes mit dem Geruch in der Nase bestätigen, so ein süßlicher Geruch hin- und wieder. Wir dachten an Stress, sie ist Lehrerin und ist in ihrer Arbeit immer aufgegangen. Bzw. hat fast noch viel zu viel getan. Der Hausarzt wollte sie nicht zur MRT schicken, vermutlich wegen der Kosten.
Als sie mit dem Befund kam, meinte er "gut, dass sie gegangen sind". Seitdem ist sie bei einem anderen Arzt.
Sie wurde im März operiert. Es war ein Glioblastom 3-4. Sie hat die OP gut überstanden und hat Chemo bekommen. Sie war nur bei einem Telefonat mit mir erschüttert, nämlich kurz, nachdem sie die Diagnose bekommen hatte. Gerade da war ich in der Arbeit und konnte nicht offen reden, ich hätte losgeheult wie ein Schloßhund. Das warf ich mir in letzter Zeit mal vor, weil Mama seitdem so gut wie immer stark und positiv war. Sie machte Assoziationen, baute sich selbst auf, war absolut positiv. Vielleicht hat sie auch deshalb so lange mit dieser Diagnose überlebt!
Auch wir haben alles immer ein wenig weggeschoben. Nach der OP oder um die OP herum habe ich mich informiert und eigentlich fast nur Negativberichte gefunden, darum informierte ich mich nicht mehr. Mein Vater bekam von mir Internet-Ausdrucke, wo auch auf einem weiter hinten draufstand, Diagnose Glioblastom 4, 3 Monate. Es ist möglich, dass meine Mutter diese Unterlagen auch gesehen hat, ein Arzt hat ihr jedenfalls nach der OP gesagt, dass es schlecht aussieht mit der Diagnose, soweit sind wir ziemlich sicher. Warum ich das so hier schreibe, wird später klarer.
Ich bin das einzige Kind meiner Eltern, auch mein Mann ist Einzelkind und seine Mama haben wir fast 10 Jahre zuvor verlohren. Wir mußten zu der selben Zeit uns eingestehen, dass wir ein Kind auf normalem Wege nicht bekommen werden, dass wir künstliche Befruchtung machen könnten/sollten.
1,5 Jahre nach der OP mußte sich Mama einer Gamma-Knife Behandlung unterziehen, sie bekam auch wieder Chemotherapie (glaube ich). Sie war sehr tapfer und erholte sich gut.
Wir wußten, dass wir jeden Tag total bewußt mit ihr erleben wollen und so war es auch, doch haben wir alles irgendwie weggeschoben. Wenn sie sagte, sie hätte Kopfweh oder einem klar wurde, in den Garten gehen bei Sonne ist nicht möglich, da war es da, das Gefühl der Angst um meine Mama.
Ich las gerade in meinem Tagebuch nach. Als Mama meinen Papa und mich kurz nach der OP zusammen redend fand, weil er offensichtlich traurig war wegen Mama, eben weil er sich Sorgen machte, meinte sie "sie braucht jetzt auch jemanden, der mit ihr lacht und auch stark ist und nicht immer Trübsal bläst. Da niemand von uns weiß, was morgen ist, sollten wir wirklich alle im Jetzt leben, in der Gegenwart und nicht immer in der Angst um die Zukunft!" Sie dürfte es damals so wortwörtlich gesagt haben.
Wir haben letztes Jahr unser Baby bekommen und meine Mama liebt unseren Sohn heiß, natürlich mein Papa ihn auch!!!
Und jetzt aber zum Eigentlichen:
Meiner Mama geht es seit einigen Wochen immer schlechter und schlechter. :-((( Es begann im April, als sie plötzlich mit einem Zettel zu meinem Papa kam, auf dem Stand, "ich kann plötzlich nicht mehr sprechen, es hat rechts begonnen". Sie sollte wieder die Anti-Epileptika nehmen und leider vertrug sie die sehr schlecht. Sie mußte sich oft erbrechen und war schon ganz ausgetrocknet. Ein Privat-Neurologe verschrieb zum Glück bessere, neuere Pulver, die offenbar nicht die Substanz, die Mama nicht vertrug, beinhalteten. Sie vertrug sie besser, jedoch erholte sie sich nicht wirklich gut, sie schlief extrem lange und aß wenig, trank kaum, Papa mußte ihr immer sagen, bitte trink etwas ... Wir waren einige Tage weg und Papa mußte Mama ins Spital bringen lassen, sie war am Sessel eingesunken und kaum wach zu bringen. Er war sicherlich auch sehr erschrocken. Geschlafen hatte sie in der Zeit zuvor schon mal öfter sehr lang, Appetit hatte sie nicht viel und dass sie trinken solle, mußte er ihr dauernd sagen.
Sie kam in ein Spital in unserer Region und nicht im Zentrum der Stadt, wo sie eigentlich bisher behandelt wurde. War kamen gleich nach Hause und besuchten sie. Sie erholte sich langsam, aß wieder, war aber auch sehr müde. Nachdem wir über 3 Jahre geglaubt hatten, dass Mama, je länger es dauern würde, immer mehr die Chance hätte, als "geheilt" zu gelten, redete die Ärztin dieses Krankenhauses direkt mit uns und sagte uns und öffnete uns die Augen. Meinen Vater prackte es an die Wand, so fertig war er. Auch wir.
Trotzdem fragte er uns während des Aufenthaltes von Mama im Spital, ob wir uns an die zweite Kinderwunschbehandlung machen würden, wie wir es uns überlegt hatten. Wir überlegten ewig und da auch er meinte, wirklich Warten brächte nichts, haben wir auch vor kurzem begonnen.
Wir ließen Mama dann noch in das Krankenhaus im Stadtzentrum bringen, wo der Arzt, der ihr Neurologe ist, Oberarzt ist. Auch er machte uns keine Hoffnungen. Mama blieb einige Tage im Spital, bekam Fortecortin und hatte wieder recht guten Appetit. Nur mobil war sie nicht sehr. Sie ging aufs WC und war meist klar, doch war auch sehr müde.
Leider übergab ihr der Arzt ein Schreiben für die Pflegebeihilfe, verschlossen. Mutti hat das Kuvert geöffnet und las von Rezitiv. Sie fragte uns, bzw. Papa ob das stimme und er verneinte.
Sie kam nach Hause, Papa hatte Zuhause Hilfe, ich kann nicht immer vor Ort sein mit meinem Butzi, war aber oft da. Anfangs jausneten wir gemeinsam, ich brachte Kuchen und es war einfach nur schön, Mama genoß ihr Enkelkind, auch wenn es für sie hart war, denn sie hätte ihn gerne herumgetragen und "geschupft". Mobil war sie nicht sehr und auch der Antrieb ist sehr beeinträchtigt gewesen. Sie meinte, sie müsse sich vorstellen, auf einen vorbeifahrenden Zug zu hüpfen, um überhaupt aufstehen zu können. Sie ging aufs WC, aber es wurde immer schwerer, weil sie sich bes. nachts schwer tat, die Blase zu kontrollieren. Wenn sie einmal telefonierte, verausgabte sie sich so, dass sie vom Sessel nicht mehr aufstehen konnte und wir sie ins Schlafzimmer reinrollen mußten mit dem Sessel auf dem sie saß. Ich tat ihr alles gute, was möglich war, ich zupfte z.B. ihre Augenbrauen.
Sie suchte auch andauernd irgend etwas und wenn sie nachts die Einlage wechseln wollte, dauerte das oft mehr als 1,5 Stunden. Mein Vater bekam wenig Schlaf.
Dann war die Hitzewelle und abends hatte sie Übelkeit. Leider erbrach sie auch am nächsten Tag und am übernächsten fast dauernd. Abends kamen Schluckbeschwerden. Die Injektion der Hausärztin, die unseren Hausarzt vertritt, half nicht, als sie ein Kopfwehpulver einnahm, wurde ihr wieder übel. In der Früh war sie nicht ansprechbar/ohne Bewußtsein. Die Hausärztin rief die Rettung.
Sie ist jetzt wieder im Spital. Ihr momentaner Status ist, dass sie Zucker hat, über 300, sicher wegen des Cortisons. Sie ist sehr, sehr müde. Sie ist oft verwirrt und erzählt, dass sie uns um sie herum hört, sehr oft und meist ist sie aber auch klar. Sie verwechselt aber auch oft, ob sie Zuhause ist oder im Spital, sie glaubte meist, Zuhause. Anfangs schlief sie nur und sie sagten meinem Papa, sie könnten ihm gar nicht sagen, ob sie jemals wieder zu Bewußtsein kommen würde oder nicht. Den ersten Tag schlief sie, dann besuchten wir sie und sie erkannte mich und konnte kaum was reden, sie bekam Infusionen. Am Tag darauf saß ! sie und durfte Mus essen. Nur ganz wenig, aber doch. Das Auf- und Ab ist so schwer, auch für meinen Vater.
Das letzte mal hat eine Logopädin mit ihr das Schlucken geübt, sie muß den Kopf runter halten und gerade sitzen, man soll sie möglichst nichts fragen, wenn sie schluckt.
Vorgestern war ich bei ihr und sie hatte recht guten Appetit. Sie möchte immer unbedingt mit einem Wagerl in der Früh alleine zur Toilette. Sie kann es nicht. Zwei Schwestern müssen ihr helfen, aufzustehen. Weil sie es unbedingt wollte, ging sie mit so einem Wagerl wo man sich anhalten kann. Sie konnte nur ein paar Schritte gehen und war danach sehr müde. Kurz bevor ich ging meinte sie "Ich hätte nie gedacht, dass es so kommen würde, dass sich solche Schwierigkeiten ergeben. Ich bin doch noch nicht alt". Ich bejahte und sagte auch, nein, du bist noch nicht alt. Und redete ihr eher zu, dass es wieder werde und dass sie einfach schwach sei, weil sie schon längere Zeit sehr wenig gegessen hatte. Sie meinte nur "weißt du, was ich in letzter Zeit wieder esse!?". Sie bekam Suppe an dem Tag und einen Auflauf, Fleisch durfte sie noch nicht, wollte sie aber, das hatte sie heute habe ich laut Plan gesehen, morgen besuchen wir sie.
Sie freut sich immer unglaublich, wenn sie einem sieht und wir erleben eine total intensive Zeit, drücken uns, küssen uns usw. Ich bin danach immer völlig ko, weil ich ihr alle Liebe geben will, die geht. Für mein Butzi habe ich weniger Nerven in letzter Zeit, wäre es ein Wunder und auch mein Ehemann kommt zu kurz und hin- und wieder streiten wir, weil die nervliche Belastung enorm ist.
Meine Mama hat immer alles organisiert. Mein Vater ist selbständig und ein gestandener Mann, aber ich habe z.B. viele Telefonate geführt, Informationen eingeholt, Sachen organisiert.
Das Spital möchte Mama bald entlassen und wir grübeln schon über eine halbe Woche, wie es werden soll. Papa macht so viel selbst. Er hat solche Gelenksschmerzen, weil er selbst eine Krankheit hat und eigentlich kann er nicht gut schwer heben, auch verreißen wäre wohl nicht so toll. Die meiste Arbeit hat er gemacht. Mama betreut, ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen und immer um sie herum gewesen. In den Nächten kaum geschlafen und sie auch hochgehoben, weil er meint, die Hilfe schafft das alleine nicht ........
Wenn mein Papa selbst daran zugrundegeht und er sagte schon "er sei am Ende seiner Kräfte", dann hat niemand etwas davon.
Mama meinte, als ich letztens zaghaft fragte, ob sie nach Hause möchte oder wo hin, wo man mit ihr auch turne usw. Dann meinte sie "ich möchte, dass XXX (also ihr Mann) nicht so viel Arbeit mit ihr habe". Als ich ihm das sagte brach er erst recht in Tränen aus.
So wie es aussieht, wird Papa Mama nach Hause nehmen, er bringe es nicht zusammen in dem guten Zustand in dem sie jetzt sei, sie nicht nach Hause zu nehmen.
Der Hausarzt kennt Mama von Kindheit an, er und seine Mutter sind nur dafür, dass Mama nach Hause kommt. Ich liebe meine Mutter total, habe aber auch mehrere Möglichkeiten überlegt, eben wegen Papa. Ein Hospizplatz oder einen Palliativplatz zu bekommen ist nicht leicht, wir hätten jedoch schon Möglichkeiten. Die man auch später, also in 1-2 Wochen noch immer annehmen kann.
Wir haben überlegt und werden vermutlich für Mutti ein Pflegebett organisieren und einen Rollstuhl und eine Luftauflage für das Bett. Der Rücken tut ihr jetzt schon manchmal weh vom Liegen. Ich habe keine Ahnung, wie das Zuhause werden soll. Wir werden 2 x am Tag vermutlich noch eine Hilfe dazunehmen, für das Waschen usw., damit Papa da hoffentlich einmal weniger machen wird. Ich bin nicht weit weg, doch kann ich auch mit Kind nicht dauernd zur richten Zeit zur Stelle sein und ich gebe auch offen und ehrlihc zu, dass ich nervlich, wie ich das mit Mutti erfahren habe, bzw. es uns jetzt so richtig bewußt wurde, so schlecht beinander war, dass ich mich am Riemen reißen muß, ich hatte Dauerdurchfall und konnte nichts essen. Mein vegetatives Nervensystem hat total verrückt gespielt. Ich konnte meinen Sohn kaum mehr heben, mein Mann war noch auf Urlaub. Ich kann keine Nervenpulver nehmen wegen der künstlichen Befruchtung, möchte ich doch, dass unser Kind gesund sein wird/kann. Ich bin jetzt wieder halbwegs beinander, habe zwar abgenommen, aber es geht. Es hilft Mutti auch nichts, wenn ich nicht esse. Wir lenken uns somit ab, wollte ich sagen und sehen schon auch Babymamis und -freunde, auch mal zur Ablenkung.
Papa nimmt Nervenpulver. Wir haben uns noch überlegt, dass er sich vielleicht im Wohnzimmer ein Bett aufstellt, in dem er schlafen kann, er braucht Schlaf, jeder Mensch braucht Schlaf.
Was mir noch zu schaffen macht: Mama ist ja immer so Positiv. Auch wie sie Zuhause war meinte sie, sie braucht Leute mit denen sie lachen kann. Von daher sage ich auch oft etwas Lustiges und versuche danach zu handeln. Der Hausarzt meinte auch, es ihr nicht in direkter und voller Wucht zu sagen. Es ist wohl sehr sehr schwierig, zu sagen, was richtig sei.
Darauf reagieren, was sie sagt, nur wie genau und wie reagiert sie, wenn man es ihr direkt sagen würde. Meine Mama ist nicht der Typ, der dann noch den und den anruft, so hat sie nie gehandelt. Ich hoffe nur, es ist "richtig" und gut, wie wir es machen.
Ich habe große Sorgen um meinen Papa und darum, wie Zuhause alles klappen wird. Ob der Arzt immer da sein wird, rechtzeitig um alles Wichtige zu tun. Schmerzlinderung (die Schmerzen sind im Moment nicht so schlimm, sicher auch wegen des Cortisons), Zucker, wie wird es noch kommen, was müssen wir alles erleben, wie wird Mutti es schaffen.
Es ist furchtbar, so zusehen zu müssen. Mein Beitrag ist elendslang geworden, ich habe keine Ahnung, was ihr mir dazu schreiben wollt/mögt. Ihr müßt mir auch nichts schreiben. Es ist vermutlich einmal ein "ihr schreibe es nieder" gewesen.
Danke und alles Liebe von
der Tochter