Hallo,
ich lese hier schon eine Weile mit, vieles hat mir geholfen und mich weitergebracht. Aber jetzt muß ich meine Geschichte aufschreiben.
Bei meinem Vater, 67 Jahre alt, wurde Ende Juni ein Glioblastom im linken Schläfenlappen diagnostiziert. Eine Bekannte holte den Notarzt, nachdem er ihr verwirrt vorkam und dann auch noch die Sprache verlor. Verdacht auf Schlaganfall. Es stellte sich bald heraus, was es wirklich ist. Ich war mit meiner Familie im Urlaub, weit weg, und wir brauchten drei Tage, schreckliche Tage, bis wir in Deutschland waren und ihn besuchen konnten. Er wußte noch nichts von seiner Diagnose, sah abgemagert aus, hatte starke Wortfindungsstörungen. Dabei hatte ich ihn erst drei Wochen vorher gesehen. Er hat in der Zwischenzeit wohl nichs gegessen. Mir war nur aufgefallen, dass sein Kurzzeitgedächtnis so schlecht war und er ständig die selben Fragen stellte. Von einem Arzt wollte er nichts wissen.
Die Diagnose war ein Schock für alle. Meine Mutter ist erst vor zweieinhalb Jahren an Krebs gestorben (CUP-Syndrom), ihre Eltern ein paar Jahre vorher, auch an Krebs (und mein Opa hatte auch ein Glioblastom). Mein Vater hat ihren Tod immer noch nicht überwunden, ihre Sachen noch nicht weggeräumt und ist in Depression verfallen (jede Hilfe hat er aber abgelehnt und sich total abgeschottet).
Der Tumor war groß, ca. 7 oder 8 cm. OP war Anfang Juli. Ging alles ganz gut, die Sprache war danach nicht schlechter. Allen war klar, dass er nicht mehr alleine leben konnte. Er kam dann zwei Wochen später in ein Heim in meine Nähe, wo er gut aufgehoben war. Er erholte sich, Bestrahlung und Chemotherapie mit Temodal wurden besprochen. Er ging viel spazieren und einkaufen, trotz starker Wortfindungsstörungen. Wir hofften. Er freute sich über die Besuche seines Enkelkindes und sprach über sein neues Akkordeon.
Mitte August hatte er einen epileptischen Anfall, stürzte im Bad und kam ins nächste große Krankenhaus. Es ging ihm bald besser. Nur wenig später, noch im Krankenhaus, ein erneuter Anfall. Diesmal war es schlimmer, ein Status epileticus, und er kam auf die Überwachungsstation. Er war völlig hilflos, konnte kaum sprechen und redete mich mit dem Namen meiner Mutter an. Es dauerte über eine Woche, bis er sich etwas erholt hatte. Er bekommt seitdem drei antiepileptische Medikamente in Höchstdosierung und 32 mg Fortecortin. Die Sprache wurde besser, er wurde auf die Neurologie verlegt und auch bestrahlt. Bald durfte er zurück ins Heim. Nach nur zwei Tagen ein erneuter Anfall. Wieder in die Klinik, nach drei Tagen zurück. Es ging ihm jetzt wieder einigermaßen gut, er konnte mit seinem Enkel reden und spielen. Der Neurologe meinte, die Medikamente wären jetzt ausgereizt, man könnte nur noch hoffen, dass kein erneuter Krampfanfall auftreten würde (aber aufgrund der Lage des Tumors war es zu erwarten).
Heute, nach nur fünf Tagen, wieder ein Anfall. Ich war zufällig mit meinem Sohn zu Besuch (er mußte das leider alles miterleben, nur dreieinhalb Jahre alt). Diazepam 10 mg brachte gar nichts, die Ärztin riet zur Klinikeinweisung. Er zitterte, konnte nicht sprechen, der Blutdruck war extrem hoch. Notarzt verabreichte Nitrospray, dann kam er wieder in die Klinik.
Der Arzt nahm sich Zeit für mich und meinte, ein Hospiz sei womöglich geeigneter für ihn als ein Pflegeheim, wo manche Schwestern überfordert sein könnten (ja, das habe ich auch so erlebt). Die Medikamente seien an der Höchstdosierung, mit weiteren Anfällen sei zu rechnen. Und es blieben ihm vielleicht noch Wochen. Ich war geschockt, denn der Arzt kennt ihn überhaupt nicht. Wir waren doch zuversichtlich, weil der Tumor nicht mehr gewachsen ist.
Und ich habe so ein schechtes Gewissen wegen meinem Sohn, der seinen Opa so erleben mußte. Ich habe ihn äußerst selten ins Krankenhaus mitgenommen und hätte ihm das gerne erspart. Wenigstens den Krankenwagen fand er toll.
Ich bin die einzige Angehörige, die mein Vater noch hat und oft fühle ich mich überfordert von all den Entscheidungen und den organisatorischen Dingen (er hat fast 300 km von mir entfernt gewohnt).
Meinem Sohn hätte ich auch eine schönere Zeit und Kindergartenstart gewünscht, aber ich kann mich momentan nicht wirklich gut um ihm kümmern.
Ich danke Euch fürs mitlesen, es tut gut, sich das alles von der Seele zu schreiben.
Viele Grüße, Pica