Liebe DEA,
ich kann Deinen Zwiespalt, in dem Du steckst, unheimlich gut verstehen. Mir geht es momentan auch so, obwohl ich gerade 5 Wochen Zeit hatte, in einer Reha alles zu durchdenken und mir über mich irgendwie klarzuwerden. Einerseits denke ich, ich glaube mal denen, die sagen, dass ich eine Menge durchgemacht habe und andererseits wieder denke ich, mir geht es doch gut. Aus dem „einerseits“ folgt, dass ich mir etwas Ruhe gönnen sollte, aus dem „andererseits“, dass ich arbeiten und immer für andere da sein kann. Irgendwo dazwischen schwimmt man wie ein Fischlein im Aquarium hin und her und hofft, nicht an die Glaswände zu rammeln. Auf dieses Bild einigten wir uns mit meinem Psychotherapeuten beim Besprechen meiner summierten Selbstzweifel.
So wie Du es für Dich sagst, körperlich geht es mir auch gut. Aber das, was ich lange verdrängt habe, bzw. nach außen nicht zeigen wollte, bis ich selber dran glaubte, voll leistungsfähig zu sein, das kam immer mal wieder doch hoch und zwar nicht in die Gedanken. Da habe ich es ja nicht zulassen wollen. Also kam es als irgendwelche Körperreaktionen – Kopfschmerzen, Hautreaktionen, Juckreiz, Rückenschmerzen, Herzschmerzen, … irgendwas, wo man denkt, man ist jetzt krank und geht eben zum Arzt. Bloß, der findet keine Ursache. Es sei denn er kennt Dich so gut, dass er auf psychische Ursachen tippt, wenn er organisch alles ausgeschlossen hat. Man selbst kommt eher nicht drauf, weil man ja, bloß weil man einen Hirntumor hatte und wie Du noch Leukämie, nicht auch noch psychisch krank sein will. An das denkt man einfach nicht, weil das doch so schwer zu fassen ist, für einen selbst und dann auch noch für die Freunde, Angehörigen.
Aber derartige lebensbedrohende Krankheiten belasten die Psyche doch. Vielleicht nicht jetzt, vielleicht auch nie, aber wer will das schon erleben. Und da denke ich, es wäre besser, das mit einem Psychotherapeuten abzusprechen, ihm als neutrale Person das zu erzählen. Sicher wühlt es auf, das stimmt. Aber das ist wie mit Gedanken, die einen nicht schlafen lassen. Schreibst du sie auf, findest du Ruhe. Und wenn Du über Deine Unsicherheit reden kannst, wird es Dir sicher klar, ob es Dir gut tut oder nicht – das ist doch nie ein Zwang, aber eine Möglichkeit. Nach einem solchen Gespräch kannst Du weiter drüber nachdenken oder Du lässt es und genießt den Weg nach Hause oder gönnst Dir unterwegs etwas Schönes, ein Café, einen Spaziergang im Park oder Wald, setzt Dich an einen See oder schaust die Weihnachtslichter an den Fenstern an ...
Aber es ist natürlich gut, wenn es Dir auf Dauer gelingt, das Ganze so zu betrachten, als wäre es nicht Dir passiert.
Das würde ich Dir von ganzem Herzen wünschen - und dass Du Dein Leben wieder voll auskosten kannst!! Das funktioniert!! Immerhin lebe ich nach 3 Tumor-OPs und fast 15 Jahren wirklich gut und habe erstaunt bemerkt, dass man sogar besser leben kann, wenn man solche Katasrophen überstanden hat. Dafür hast Du die besten Voraussetzungen. (Falls ich nicht irgendwas nicht weiß, denn ich habe Deine Geschichte noch nicht gelesen.)
Alles Beste
Deine Karin (KaSy)