Meine Geschichte (von KaSy) 21.Januar 2010
Ich bin jetzt 52 Jahre alt/jung und hatte meine erste Meningeom-OP (WHO I) im Juli 1995 mit 37 Jahren. Bemerkt hatte ich es durch eine relativ große Beule an der Stirn und am Kopf oben links, wo es auf Druck weh tat, als ob ich dort einen blauen Fleck hätte.
Ich hatte furchtbare Angst, da es in dem Bereich war, der für die Persönlichkeitsstruktur verantwortlich ist. Ich musste, da es langsam wuchs, 2 Monate auf die OP warten. Das war eine furchtbare Zeit, die ich mit Arbeit überbrücken konnte. Der Tumor war wohl ziemlich groß. Ich hatte Angst, dass ich mich nicht mehr um meine drei Kinder (damals 10; 12; 14 Jahre) kümmern könnte, die ich seit anderthalb Jahren allein erzog. Sie waren noch zu jung, um das alles zu verstehen, so dass ich meine Ängste mit mir ausmachte, aber auch meinen Eltern und meinem Bruder + Frau sehr vertrauen konnte. Es ging alles gut. Nach der vierwöchigen AHB blieb ich ein halbes Jahr zu Hause, arbeitete dann ein weiteres halbes Jahr mit steigender Belastung und war auch dann erst wieder völlig fit für meinen Beruf als Lehrerin.
Viereinhalb Jahre später bemerkte ich an derselben Stelle eine kleine Beule. Ich ließ eine MRT machen und wurde umgehend zur OP zitiert. Ich konnte gerade noch zu Hause regeln, dass die Kinder (immerhin bereits 14; 16 und 18 Jahre) klarkommen und bei Bedarf Hilfe erhalten. Im November 1999 wurde ich operiert, es stellte sich ein Menigeom WHO III mit einer Wachstumsrate von 5% heraus. Nach sechswöchiger Wartezeit zum Abheilen der OP-Naht erfolgte ab Anfang Januar 2000 die sechswöchige Bestrahlung mit 60 Gy. Sie hatte außer der vorübergehenden Müdigkeit einen dauerhaften Haarausfall auf etwa einem Drittel des Kopfes vorn links zur Folge, der mich wegen der Notwendigkeit des Tragens einer Perücke (in meinem Beruf!) lange sehr belastete. Danach war ich für vier Wochen zur AHB, ein halbes Jahr zu Hause, ein halbes Jahr arbeitete ich mit steigender Belastung, dann wieder voll - und glücklich im Beruf. Allerdings gab es eine Liquorfistel, die fluktuierend zu einer großen flachen Beule auf der Stirn führte.
Von Februar bis Mai 2002 unternahm ich eine regelrechte Krankenhaustournee, wie es meine Kinder scherzhaft bezeichneten. Durch einen Arbeitsunfall im Jahre 1980 habe ich auf dem rechten Auge ein Sekundärglaukom, auch als Grüner Star bekannt, wo der Augendruck in einem bestimmten Bereich liegen muss. Einige Monate lang war der Augendruck zu hoch und medikamentös nicht mehr in den Griff zu bekommen. So wurde ich im Februar 2002 von der Augenärztin als Notfall direkt in eine Augenklinik überwiesen. Dort versuchte man einigermaßen erfolglos, den Augendruck zu senken. Sie hatten auch nur knapp eine Woche Zeit, denn der OP-Termin zum Abdichten der Liquorfistel stand unmittelbar bevor.
Nach nur einem gemeinsamen Abend mit meinen Kindern musste ich in das andere Krankenhaus, wo die Revisions- OP am Kopf im Februar 2002 erfolgreich durchgeführt wurde.
Einen Tag danach wurde ich in die Virchow-Klinik der Charité überwiesen, wo im März 2002 das rechte Auge operiert wurde. Die OP erbrachte eine Augendrucksenkung, die bis zum ersten Tag zu Hause anhielt, also wurde ich umgehend wieder ins Virchow geschickt. Eine zweite Augen-OP erfolgte, der Druck blieb weiter unbefriedigend.
In diesen etwa drei/ vier Wochen hatte sich die Liquorfistel wieder geöffnet. Na ja, dachte ich, ist eben so, hab aber alles versucht …
Im April 2002 wurde das Auge ein drittes Mal operiert, immerhin war der Augendruck jetzt gut, eigentlich zu niedrig. Alle drei Augen-OP fanden leider nur unter örtlicher Betäubung statt, die vermutlich nicht ausreichend war und mir scheußliche Schmerzen einbrachte, die der Arzt jedoch nicht wahrnahm. Allerdings musste ich danach immerhin keine drucksenkenden Medikamente mehr nehmen.
(Der zu niedrige Augendruck hatte aber andere Folgen: 2004 Aufnahme im Virchow als Notfall; 2005 zwei erfolglose Augen-OP im Virchow, im Anschluss in der ersten Augenklinik ambulant, neun Monate krank mit konservativer erfolgreicher Behandlung, die bis jetzt andauert.)
Am Entlassungstag nach der dritten Augen-OP bemerkte ich noch im Virchow, dass ich Fieber bekam und der Kopf an der (wegen der Liquorfistel) operierten Stelle ganz heiß und rot war. Also fuhr mich mein Vati am 26.April 2002 statt nach Hause direkt in das andere Krankenhaus zur Neurochirurgie. Gerade noch rechtzeitig, denn es war der Beginn einer Hirnhaut-/Gehirnentzündung, die per Lumbalpunktion nachgewiesen wurde. Also blieb ich fast drei Wochen für eine stationäre Antibiotikatherapie dort.
Danach war ich völlig fertig. Ich blieb erst mal krankgeschrieben und arbeitete erst im neuen Schuljahr wieder.
Und es ging immer wieder vorwärts. Im Beruf ging es immer besser, da ich durch die Krankheit bessere Kompetenzen entwickelt hatte, insbesondere für psychisch belastete Kinder (ADS, ADHS).
Im Dezember 2007 stellte ich rechts an der OP-Narbe, also außerhalb des Bestrahlungsfeldes, eine Verdickung fest. Im MRT wurde ein Meningeom festgestellt, das fast umgehend operiert wurde. Es war WHO-Grad III mit einer Wachstumsrate von 10%, also doppelt so viel wie vorher, aber nach Arztaussagen nicht viel. Der Arzt entließ mich wegen meines guten Allgemeinzustandes bereits nach drei Tagen, von einer AHB war keine Rede. Eigentlich sollte ich bereits nach 14 Tagen wieder arbeiten. Ich wartete aber das Ergebnis der Tumorkonferenz ab, die über eine eventuelle Bestrahlung entschied. Diese Zeit belastete mich psychisch sehr. Es wurde Ende Januar 2008 gegen eine Bestrahlung entschieden.
Ich ging also zwei Monate nach der OP ab Anfang Februar 2008 wieder zur Schule, mit steigender Belastung zunächst. Ich bemerkte nicht, dass ich viel zu früh wieder angefangen hatte und mir psychisch viel zu viel zumutete. Ich begann im Februar 2008 eine Therapie mit Antidepressiva. Eine Sorte war nicht optimal, die nächste wohl besser. Ich arbeitete weiter und mir gelang das Umgehen mit den Kindern immer besser. Allerdings blieb ich selbst auf der Strecke. Im September 2008 setzte ich die Medis nach Absprache mit der Hausärztin, der Neurologin und dem Psychotherapeuten ab. Und fiel in ein tiefes Loch. Ich musste sechs Wochen aus psychischer Überlastung zu Hause bleiben! Das kannte ich überhaupt nicht! Mit meiner Hausärztin beantragte ich eine Reha. Und begann im November 2008 mit Trevilor, das als der „Turbo unter den Antidepressiva“ gilt und nebenwirkungsarm ist. Die Dosis wurde von 37,5mg/ Tag bald auf 75mg/ Tag gesteigert, nach einem halben Jahr auf 150mg pro Tag.
Ich arbeitete wie verrückt, über meine Kraft. Zweifelte an mir. Nahm mir keine Zeit zum Erholen. Dachte immer, ich tue zu wenig, ich sei faul, wenn ich mich mal hinsetzte. Sogar im Urlaub hetzte ich von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten und schrieb das alles auch noch am Abend auf und war stolz, so viel „abrechnen“ zu können. Ich merkte überhaupt nicht, wie mir andere helfen wollten, mich zu bremsen, ich stieß die mir Lieben vor den Kopf …
Fast ein Jahr nach Beantragung fuhr ich Ende Oktober 2009 zur Reha, wo ich Zeit hatte, mich sehr auf mich zu besinnen und ich habe nach und nach endlich kapiert, was ich immer nicht glauben wollte, nämlich, dass ich stark bin, weil ich das alles durchgemacht habe und dennoch (ich meine gerade deswegen) weiter als Lehrerin tätig bin und den Beruf und die Kinder liebe. Und, dass ich mich und nicht die Arbeit als Nr.1 sehen muss, denn nur wenn ich gesund und leistungsfähig bin, kann ich Gutes für die Kinder tun.
Die Reha kostete mich viel Kraft, da ich unbedingt zu Erkenntnissen für mein weiteres Leben kommen wollte. Die vielfältigen Therapien machten dies auch möglich. Allerdings brauchte ich lange, um mich an die ungewohnte, verwöhnende Umgebung einzulassen. Zum Genießen kam ich leider kaum. Deswegen blieb ich auch danach noch den ganzen Dezember zu Hause, um mit mir und dem Alltag wieder klarzukommen. Seit Januar 2010 versuche ich nun, meine Erkenntnisse in den Alltag zu Hause und in der Schule umzusetzen und weiß dafür viele Partner an meiner Seite.
Ich habe nun keine Angst mehr vor weiteren Erkrankungen. (Diesen Satz schrieb ich im November während der Reha – heute weiß ich, dass er nicht stimmt.)
Ich lebe, arbeite, bin stolz darauf, dass meine Kinder erwachsen sind und alle ihr Abitur und ihr Studium beendet haben, dass sie für sich selber sorgen, alle einen Partner haben und für mich da sind, wenn ich sie - auch mal zum Ausheulen - brauche. Auch sie hatten es nicht leicht, mit meinen Krankenhaus-„Tourneen“ umzugehen, sie haben aber dadurch auch mehr Gefühl für andere entwickelt, sind selbständig geworden und haben gesehen, dass ihre Mutti immer wieder aufsteht und weitermacht.
Ich bitte Euch, bei aller Angst, allen Schmerzen, verliert nicht die Zuversicht, schaut nach vorn! Ich habe das oft falsch gemacht, aber das Leben danach und das 2. Mal danach und wieder danach hat mich gelehrt, dass man leben muss! Genießt jede Blume, jede Schneeflocke, jeden Grashalm, wenn euch das Leben wiedergegeben wurde!
Eure KaSy