Liebe Enesa,
Du zweifelst an Dir, an Deinem Aussehen, an Deiner etwas veringerten Arbeitsleistung.
Du misst Dich dabei an Menschen, die gesund sind und waren.
Versuche doch einmal, Dich in Deine gesunden und leistungsfähigen Kollegen hineinzuversetzen und sieh Dich quasi von außen an.
Da siehst Du eine schöne Frau, die eine entsetzliche Krankheit durchmachen musste, die keiner haben will.
Du denkst, nach einer solchen Erkrankung kann doch keiner wieder arbeiten! Und diese Frau will das sogar! Das ist doch unfassbar! Die gibt sich eine solche Mühe und ist so verdammt tapfer, sogar mit Kopfschmerzen zur Arbeit zu kommen, wo andere zu Hause bleiben würden.
Was diese Frau nach einer Operation am Gehirn leistet, das ist viel.
Vielleicht, liebe Enesa, hast Du sogar allein durch Deine Anwesenheit und Deine Leistung, die für Dich das maximal Mögliche ist, erreicht, dass auch die Kollegen mehr Ansprüche an sich stellen, um Dir nachzueifern.
Ja, natürlich trauert man ewig dem alten Leben nach, will wieder so sein wie früher. Aber es geht bei jedem unterschiedlich gut.
Ich selbst habe lange noch meinen so sehr geliebten Beruf ausüben können und im Gegensatz zu den Gesunden habe ich nie gejammert. Seit 1995 hatte ich mit Meningeomen zu tun und nach der letzten OP + Bestrahlung im Jahr 2011 bin ich - für meine Begriffe viel zu früh - in den Ruhestand versetzt worden. Es war richtig, aber ich habe sehr lange gebraucht, um damit bzw. ohne die Arbeit leben zu können. Anderthalb Jahre später begann ich, im Seniorenheim einmal wöchentlich vor etwa zehn älteren Menschen vorzulesen. Ein halbes Jahr lang belastete es mich sehr, machte aber auch Freude und mich stolz. Nun ist es immer noch mit Anstrengung verbunden, aber ist ist wunderschön.
Nun, noch ein Jahr später, baue ich bei uns eine Selbsthilfegruppe auf, die monatlich tagt. Der Beginn ist mühsam, aber ich habe mir eine wichtige Aufgabe gesucht.
Genau das hilft mir, wenn ich wieder mal an meine Arbeit erinnert werde, davon träume und dort hingehe. Ich kann mit den geringeren Fähigkeiten immer noch etwas für andere leisten, erhalte Anerkennung.
Und auch Du erhältst viel mehr Anerkennung als Du sie Dir selbst zugestehen möchtest.
Du darfst wirklich stolz auf Dich sein.
Du als die Person nach einer Hirntumoroperation leistest mehr als die anderen! Das stimmt! Glaube es! Und glaube an Dich!!
Deine KaSy