Mitteilungen: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Zur Anwendung des Präparates „UKRAIN“ in der Krebstherapie Deutsches Ärzteblatt 98, Ausgabe 7 vom 16.02.2001, Seite A-418 / B-339 / C-317
BEKANNTGABEN DER HERAUSGEBER: Bundesärztekammer(Quelle:
Ärzteblatt.de)
Gemeinsame Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und der Deutschen Krebsgesellschaft e.V.Die AkdÄ und die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. wurden in letzter Zeit aus Fachkreisen wiederholt um Stellungnahme zum derzeit wieder stark beworbenen Präparat Ukrain hinsichtlich seiner Wirksamkeit bei malignen Erkrankungen gebeten. Bereits 1989 hatte die AkdÄ kritisch über die nicht belegte Wirksamkeit dieses Mittels informiert (1).
ZusammensetzungUkrain ist ein semisynthetisches Mischpräparat aus Alkaloiden des Schöllkrautes und dem bekannten Zytostatikum Thiotepa. Eine Ampulle Ukrain zur parenteralen Anwendung enthält 5 mg Chelidonium majus L.-Alkaloid-Thiophosphorsäurederivat (in 5 ml bidest. Wasser) (2, 3).
Nach der im „Drugs of the Future“ 1993 publizierten Struktur wurde das alkylierende Thiotepa unter Öffnung der 3-Aziridinringe über die Ethylgruppen mit dem Alkaloid-Stickstoff von drei Molekülen Chelidonin verbunden. Das Präparat enthält mehrere Alkaloide. Angaben über die Reinheit der Alkaloide, ob einzelne Bestandteile oder ein Gesamtextrakt verwendet werden, existieren nicht. In der oben genannten Dokumentation findet sich kein Hinweis auf eine Abgrenzung von Ukrain gegenüber den Einzelkomponenten (4).
KostenDie vorgeschlagene Dosierung beträgt 30 mg/m2 Körperoberfläche/Woche. Eine Behandlung mit Ukrain wird meistens mit 10 mg/d beziehungsweise 100 mg pro Therapiezyklus durchgeführt. Die Kosten hierfür betragen circa 5 000 bis 7 000 DM pro Woche (5).
Anwendungsgebiete/NebenwirkungenUkrain wird vom Hersteller bei nahezu allen Tumoren (mit Ausnahme von Malignomen des ZNS), auch bei Präkanzerosen und unter Umständen bei benignen Tumoren empfohlen.
Eine einheitliche Wirkungstheorie wird nicht vorgelegt (2). Man postuliert einen Krebszell-spezifischen Effekt der Alkaloide und immunologische Wirkungen (2). Thiotepa soll eine Carrierfunktion für diese Alkaloide hin zur Tumorzelle übernehmen. Eine selektive Gewebeanreicherung im Tumor für die nicht exakt beschriebene Koppelung von Thiotepa mit Schöllkrautalkaloiden ist eher unwahrscheinlich und keineswegs bewiesen.
Verschiedene „Begleiterscheinungen“ wie Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, Depressionen, Schlafstörungen und lokale Sensationen in Tumorgebieten werden als Ausdruck eines Wirkungsnachweises von Ukrain verstanden. Die Ursache hierfür soll in frei werdenden Tumorgewebstoxinen liegen.
ZulassungsstatusUkrain ist laut Auskunft des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte in der BRD nicht zugelassen. Außerhalb der EU scheint eine Zulassung als Arzneimittel zu existieren (Weißrussland), wobei die Datenlage zur Erlangung der Zulassung hier nicht exakt bekannt ist und möglicherweise den anerkannten EU-Standards nicht genügt. Die AkdÄ hat das Bundesministerium für Gesundheit (Bonn) um Aufklärung gebeten, ob für Ukrain in Weißrussland eine Zulassung besteht.
Entwicklung und HerstellungUkrain wurde von dem Ingenieur J. W. Nowicky entwickelt (Nowicky Pharma, Wien, Österreich). Das Herstellungsver-fahren ist in Österreich patentrechtlich registriert, die Konzession zur Herstellung von zur arzneilichen Verwendung bestimmten Stoffen ist beschränkt auf neue Salze von Alkaloidderivaten von Thiophosphorsäure. Der Standort 1040 Wien, Margaretenstraße 7, ist auf die Ausübung des Bürobetriebes beschränkt. Eine Zulassung von Ukrain als Arzneimittel liegt bisher auch in Österreich nicht vor. Vielmehr hat nach Erkenntnissen der AkdÄ das Österreichische Bundesministerium bis heute die Anwendung von Ukrain außerhalb einer klinischen Prüfung untersagt, da ein Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht und mangels vorgelegter Unterlagen auch keine Nutzen-Risiko-Bewertung durchgeführt werden konnte. Wegen mangelhafter Datenlage ist laut Wissen der AkdÄ bisher Ukrain weder in Österreich noch in Deutschland zur klinischen Prüfung angenommen worden.
InternetpräsenzUkrain wird Ärzten und Privatpersonen im Internet (6) u. a. wie folgt vorgestellt:
– zerstört Krebszellen durch Apoptosis, ohne jedoch gesunde Zellen anzugreifen
– einfach in seiner Anwendung, in der therapeutischen Dosis ohne nennenswerte Nebenwirkungen
– der zellteilende Effekt konzentriert sich nur auf die Zellen des Tumors, Zellen des gesunden Gewebes bleiben unbeeinflusst
– Aktivierung hochwirksamer Immunmechanismen des Patienten
– Hemmung der Neubildung von Blutgefäßen, über welche der Tumor mit Nährstoffen versorgt wird, dadurch „Aushungern“ des Tumors
– Unterdrückung der Bildung von Metastasen.
Wissenschaftliche BeurteilungAus Sicht der AkdÄ und der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. reichen die bisher vorliegenden präklinischen Untersuchungen für den Einsatz des Präparates in der Klinik nicht aus. So ergaben die Analysen von zwei unabhängigen Instituten von Testungen der Wirksamkeit von Ukrain auf eine P-388 bzw. L-12 10 Leukämie der Maus zwar eine relativ geringe Toxizität des Präparates, aber keine antitumoröse Wirkung. Angeblich wurden, wie Nowicky auf dem 8. Mediterranean Congress of Chemotherapy in Athen im Jahre 1992 vortrug, vom NCI-Bethesda (USA) Untersuchungen mit dem Ukrain an 60 verschiedenen humanen Krebszelllinien der acht häufigsten humanen Tumorentitäten vorgenommen. Überraschenderweise hätten nahezu alle untersuchten Zelllinien eine Wachstumshemmung zwischen 50 und 100 Prozent erreicht.
Die bisher vorliegenden klinischen Daten sind nicht verwertbar. Berichtet wird über „verschiedene positive Effekte“. Objektive Beurteilungskriterien wurden nicht verwendet.
Die Studiengruppe „Methoden mit unbewiesener Wirksamkeit in der Onkologie“ der Schweizerischen Krebsliga schrieb 1995 in einer Zusammenfassung über Ukrain „nach sorgfältigem Studium der Literatur und anderer zur Verfügung stehender Informationen haben die Schweizerische Krebsliga und die Schweizerische Gesellschaft für Onkologie keine Beweise dafür, dass Ukrain eine Wirkung gegen Krebs beim Menschen hat. Sie raten von der Anwendung in der Krebsbehandlung ab“ (2).
Nach 1995 liegen keine Ergebnisse vor, die zu einer anderen Bewertung dieses Präparates führen könnten.
ZusammenfassungEine einheitliche, wissenschaftlich plausible Theorie zur Wirkung des Präparates Ukrain existiert nicht, die vorliegenden präklinischen Daten rechtfertigen den Einsatz des Medikamentes selbst in der klinischen Prüfung nicht, und die bisher vorliegenden klinischen Berichte erlauben wegen fehlender objektiver Kriterien keine Beurteilung der Wirksamkeit. Die Beschreibungen sind sehr unscharf. Subjektive Empfehlungen werden als Beweis der Wirkung interpretiert. Häufig handelt es sich um Einzelfalldarstellungen. Es fehlen vollständig die gegenwärtig zu fordernden prospektiven randomisierten Studien.
Für alle in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen und angewendeten Arzneimittel gilt der Grundsatz der Wirksamkeit, Sicherheit und Unbedenklichkeit. Nach den vorliegenden Daten muss allein schon der Wirksamkeitsnachweis angezweifelt werden. Dadurch erhebt sich auch die Frage nach der Sicherheit für den Patienten. Ein zum Beispiel nicht wirksames Arzneimittel ist für keinen Patienten, erst recht keinen Krebspatienten, sicher. Nimmt man alle Erkenntnisse zusammen, stellt sich auch die Frage nach der Unbedenklichkeit. Als bedenklich eingestufte Arzneimittel dürften in der BRD nicht zur Anwendung kommen.
Die anwendenden Therapeuten möchten wir zu ihrer Sicherheit noch einmal darauf hinweisen, dass sie die alleinige Verantwortung für die Therapie tragen und diese Verantwortung auch für die Arzneimittelqualität von Ukrain gilt.
Die AkdÄ und die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. lehnen den Einsatz von Ukrain als Medikament beim Menschen zurzeit mit aller Entschiedenheit ab. Nach Auffassung der AkdÄ ist die Werbung und die Anwendung bei Patienten aus Gründen der Arzneimittelsicherheit durch die zuständigen Behörden zu untersagen.
Die Fragen zur Rechtmäßigkeit hinsichtlich der Werbung, des Vertriebes und der Verordnung von Ukrain in der Bundesrepublik müssen laut Auffassung der AkdÄ dringendst durch die zuständigen Aufsichtsbehörden geklärt werden. Es ist unbefriedigend, dass Ärzte (und betroffene Patienten) seit mehr als zehn Jahren zum arzneimittelrechtlichen Status des Ukrain nicht auf offizielle fundierte Stellungnahmen dieser Behörden zurückgreifen können.
Literatur
1. Wenn Patienten nach „Ukrain“ fragen: Dt Ärztebl 1989: A-2136 [Heft 30].
2. Ukrain – mit Schöllkraut-Alkaloiden und Thio-Tepa gegen Krebs: Schweiz. Krebsliga, Studiengruppe Methoden mit unbewiesener Wirksamkeit in der Onkologie, Markus C. Allewelt, Simon P. Hauser, Dokumentation Nr. 35D.
3.
http://www.ukrin.com/Ukrainbook1/allgemeine%20info.htm (11. 4. 2000)
4. Drugs of the Future, Volume 18, Number 5, 1993, Seite 1011–1015.
5. Der Arzneimittelbrief, Jahrg. 33, Nr. 8, Berlin, August 1999.
6.
http://www.villamedica.de und
http://www.ukrin.com (12. 10. 2000)
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