Nachträgliches Vorwort:
Entschuldigt bitte, der Text ist sehr lang und ihr müsst ihn nicht lesen, aber ich musste ihn mir von der Seele schreiben.
Ich weiß gar nicht wie ich es schreiben soll.
Seit zehn Jahren ist meine Tochter, die nun Mama geworden ist, in München.
Während wir uns zuvor wie Freundinnen verstanden haben, das dachte ich jedenfalls, weil wir so viele schöne Sachen gemeinsam gemacht haben und großen Spaß dabei hatten und auch über alles oder fast alles (?) miteinander reden konnten, ja, also in dieser Zeit wurde sie so anders.
Meine Söhne, ihre älteren Brüder, die in meiner Nähe wohnen, bemerkten es auch.
So nahm ich es zwar sehr schwer, schob es auf die weite Entfernung, das völlig andere Bundesland, die plötzliche völlige Selbstständigkeit, für die wir sie hier alle bewunderten.
Immer wieder brachte sie mich mit ihrer belehrenden, Unmengen von Sätzen für ein und das Gleiche, ihrer abweisenden Art zum Weinen.
Warum nur war sie so geworden?
Am Telefon verstanden wir uns meist prima, dachte ich. Schwatzten eine Stunde oder mehr. Und diese Gespräche, die mir das Gefühl gaben, es wäre alles gut, hat sie so ganz anders empfunden. Immer hätte nur ich geredet. Wenn sie etwas sagen wollte, hätte ich auf einmal keine Zeit oder Lust mehr gehabt. Wie kann man die gleichen Gespräche derart unterschiedlich empfinden?
Und dann erfahre ich von ihr, dass ihre Kindheit von meinen Ausrastern durch die psychischen Belastungen durch die HT- und Augen-OP bestimmt war. Sie hätte immer wieder Angst gehabt, wenn ich weinend fortlief, nachdem ich irgendeine Sache erzieherisch sehr deutlich klarzustellen versuchte, natürlich auf Widerstand stieß, irgendwann deutlicher wurde, laut, schrie ... und weglief, um meine Kinder vor mir zu schützen. Sie sagte, sie sei eigentlich nie gemeint gewesen, aber die Jungs hätte sie zu mir geschickt, um mich zu trösten. Und sie hätten einander und sich unter Druck gesetzt, alles richtig zu machen, alles schön zu machen, aufzuräumen, den Tisch zu decken oder abzuräumen, damit ich nicht weine, damit es mir gut geht. Panisch nannte sie die Reaktionen der Jungs, denen sie sich unterworfen fühlte.
Das Seltsame daran ist die Überbetonung jener Situationen auf die gesamte Kindheit.
Es stimmt, dass ich in einer gewissen Phase des öfteren derartige Ausraster mit verweifeltem Weinen danach hatte.
Und es stimmt, dass ich es den Kindern nicht erklärt habe.
Hätten sie fragen sollen, warum ich so bin?
Hätte ich nicht von allein drauf kommen sollen, es ihnen zu erklären?
Ich kam gar nicht auf den Gedanken, es zu tun.
Und sie kamen - denke ich - auch nicht auf den Gedanken, MICH zu fragen.
Aber sie haben gefragt.
Oma und Opa, also meine Eltern.
Sie haben ihnen gesagt, das wäre die Krankheit und sie sollten mich schonen.
Auch meine Eltern schonten mich. Sie halfen mir, wo sie konnten, mitunter war es mir zu viel oder zum falschen Zeitpunkt. Aber die Hilfe im Garten und so war gut, auch wenn ich mit ihrem zunehmendem Alter nicht wollte, dass sie sich meinetwegen so sehr belasten, überlasten.
Schonen und im Garten helfen. Den Kindern sagen, sie sollen mich schonen. Ich kann es ihnen nicht vorwerfen. Sie taten es so wie sie es wussten und konnten. Damals wusste ich noch nicht, wie sehr Angehörige sich in die Krankheitsbekämpfung und -bewältigung einbringen.
Das hatte ich fast nie erlebt. Ja, natürlich, bei Bedarf wurde ich zum Krankenhaus gefahren.
Aber sonst? Ich habe ja immer alles allein gewollt und auch allein geschafft.
Es gab aber auch Situationen, wo ich aktive, direkte Hilfe dringend gebraucht hätte und nicht (Entschuldigt, Mama und Papa.) nur verständnisvolles Zuhören.
Besonders als es um die abgelehnte AHB nach der Doppel-HT-OP und anschließenden 6-wöchigen Bestrahlung ging und ich mich völlig fertig gemacht habe.
Am wohlsten habe ich mich immer dort gefühlt, wo nicht bekannt war, dass ich Hirntumoren habe. Das fühlte ich so stark, als ich in der VHS einen Astronomiekurs besuchte. Dort war ich normal.
Und immer bei den Kindern, die keinen Unterschied machen. Das tat mir gut.
Es holt mich so sehr schrecklich ein, dass ich von außen einen Schutzmantel umgehängt bekam – von meinen Eltern.
Es ist für mich so schrecklich, dass ich nach jahrelangen Zweifeln an der Richtigkeit oder Angemessenheit meines Umgangs mit den Kindern endlich irgendwann – von einer Leipziger Freundin – gesagt bekam, wie stolz ich darauf sein kann, die drei Kinder allein so gut erzogen zu haben – und nun soll sich das alles, wofür ich gearbeitet, gekämpft, auch gelitten habe, in Angst und Panik der Kinder umwandeln, die ihre arme kranke Mutter schonen wollten? Die Angst davor hatten, ihre Mutter zu verletzen oder dass sie sich etwas antut?
Aber sind doch alle einen wirklich guten Weg ins Leben gegangen. Sie haben doch nicht ihre Partner gesucht und ihre Kinder bekommen, um mir zu gefallen!
Und dann noch. Als meine psychischen Probleme begannen zu derartigen Ausrastern zu werden, waren meine Kinder 15, 17 und 19 Jahre alt. Da waren sie doch im engeren Sinn keine Kinder mehr.
Ich war nicht andauernd so, aber ich weiß, wie leicht ich aggressiv wurde. Ich habe es auch nicht lange zugelassen, ich war doch auf mich selbst wütend und wusste, dass ich Hilfe brauchte. Bloß, die verschiedenen Medis des ersten Neurologen-Psychotherapeuten-Psychiaters wirkten nicht gut und eine richtige Psychotherapie konnte ich erst beginnen, als die Jungs schon die Schule beendet und beim Studium waren. Da war ich mit meiner „Kleinen“ allein zu Hause und ich habe diese Zeit als eine besonders schöne in Erinnerung. Hatte ich da noch diese Ausraster? Oder erst – das weiß ich – als sie bereits seit wenigen Jahren in München war, aber durch ihr Verhalten ausgelöst.
Ich habe meine Tochter, als sie von dieser Angst sprach, die ihre Kindheit prägte, gefragt, warum sie nicht zu einem Psychotherapeuten gegangen sei. Doch, das wäre sie, zweimal hätte sie 25 Termine wahrgenommen. Sie sprach jedoch nicht gut von dem Therapeuten.
Irgendwie begann mir erst nach dieser Offenlegung, ein wenig davon klar zu werden, wieso sie meint, ihre gesamte Kindheit sei von meinen Ausrastern geprägt gewesen. Und auch, wieso sie meint, ich hätte Telefongespräche abgebrochen, weil ich keine Lust zum Zuhören gehabt hätte. Erst da erinnerte ich mich wieder, dass ich das in den Situationen gesagt habe, als sie am Telefon von „meinen Problemen in der Kindheit“ und „jeder hat Leichen im Keller“ und ich solle sie suchen und so ... gesprochen hatte und ich es tatsächlich nicht hören wollte. Da war ich längst bei meinem Psychotherapeuten, den ich als sehr gut empfinde, zu dem ich Vertrauen habe. Er geht davon aus, dass es in den meisten Fällen nichts bringt, Probleme aus der Kindheit auszugraben. Das ist vorbei und es geht darum, mit dem jetzigen Leben klarzukommen, das womöglich durch Erlebnisse in der Kindheit geändert wurde. Aber man kann das Leben nicht zurück ändern, sondern man muss es annehmen und es leben.
Meine Tochter scheint an jemanden geraten zu sein, der es richtig fand, ihre in ihrer (eigentlich nicht mehr) Kindheit entstandenen Ängste auszugraben, um ihr die Ursache für ihre Ängste zu verdeutlichen. Sicher, dass sie diese Ängste hat, das glaube ich. Aber wenn sie den für sie schweren Weg zum Psychotherapeuten gegangen ist, so hat er ihr jedenfalls nicht geholfen, mit diesen Ängsten auch klarzukommen. Man kann doch seine Patientin nicht mit ausgegrabenen Angstursachen nach Hause schicken. Nun ist ihre Erinnerung an ihre Kindheit, die eine sehr schöne war, völlig überschattet von den relativ wenigen schlimmen Erlebnissen durch mich. Die ich aber hundertfach gut gemacht habe.
Ich muss ihr ihre Erinnerung an ihre Kindheit wiedergeben, an die vielen schönen Dinge, Erlebnisse.
Oder muss ich es nicht?
Vielleicht ist gerade die Geburt ihres kleinen Söhnchens der geeignete Ausgangspunkt, im Zusammenhang mit seiner Entwicklung auch ihre Kindheit wieder in ein gutes und schönes Licht zu rücken.
Immer mal wieder.
Sie ist nach dreieinhalb Tagen schon eine richtig gute Mami. Faszinierend!
Und doch bleibt für mich: Was macht diese Krankheit aus uns und mit uns und durch andere?!
KaSy