Liebe Lilly,
es ist gut, dass Du Deine Sicht ändern konntest, weil das Euch beiden und Eurer Familie gut tut. Es ist hart, Du bist überfordert, er auch und auch Deine Kinder. Es ist für Euch ein ungewollte Bewährungsprobe, die Euch das "Schicksal" auferlegt hat - aber Ihr werdet das meistern!
Die Euphorie, die Du bei Deinem Freund bemerkt hast, hatte ich auch nach jeder OP. Sie hängt auch direkt davon ab, dass der Betroffene vor der OP eine unheimlich große Angst entwickelt. Nicht vor der OP an sich, die bemerkt man ja eigentlich nicht. Aber vor dem Danach. Werde ich wieder aufwachen? Werde ich so sein wie vorher? Werde ich alles bewegen können? Werde ich sprechen, hören, sehen können? Werde ich meine liebe Frau wiedererkennen? Wie wird sie mich sehen, den jetzt schwachen Mann. Werde ich mein neugeborenes Töchterchen noch genauso lieben können und werde ich die Kinder in ihr Leben begleiten können?
Diese vielen Befürchtungen lösen sich nach der OP recht rasch fast oder ganz vollständig auf und machen Platz für eine riesige Erleichterung.
Aber so wie die Bekannten glauben, dass mit der OP alles überstanden sei, ist es tatsächlich nicht. Die schlimme Diagnose ist nach wie vor da und nimmt sich ihren Platz und verdrängt die anfängliche Freude. Der Heilungsprozess dauert lange, viele Monate bis evtl. Jahre, (wenn alles gut geht), bis das Gehirn diesen schockierenden Eingriff so überstanden hat, das man selbst wieder mit sich ganz oder wenigstens weitestgehend zufrieden ist.
Diese Euphorie tritt womöglich nicht bei jedem auf, aber mir hat es nach der dritten HT-OP eine sehr frühe Entlassung bereits nach drei Tagen und ohne AHB (Anschlussheilbehandlung = Reha spätestens 2 Wochen nach Krankenhausentlassung) eingebracht - statt dessen durch einen zu frühen Arbeitsbeginn psychische Belastungsprobleme, die bereits mehr als drei Jahre anhalten und wo zur Zeit kein Ende einer ständig notwendigen Therapie abzusehen ist.
Nach den ersten beiden OP war ich zur AHB und wenigstens ein halbes Jahr krank geschrieben, ein weiteres halbes Jahr in der schrittweisen Wiedereingliederung in den Beruf und das war nicht zu wenig!
Nach meinem Eintrag heute war mir noch eingefallen, dass es mir auch so ging und mitunter auch immer noch so geht, dass ich meinen Angehörigen so wenig Sorgen wie möglich machen möchte. Ich dachte stets, dass es für die anderen viel schlimmer ist, dass sie sich so große Sorgen um mich machen müssen und ich wollte nie erleben, mir um meine Kinder so große Sorgen machen zu müssen. Ich selbst muss durch diese Krankheit durch, aber die anderen wollte ich so weit wie möglich verschonen. Das ist eigentlich "bekloppt", aber ich denke, dass Dein Freund auch sieht, wie viel Du ohnehin mit den Kindern jetzt allein leisten musst und nun hast Du ihn nicht mehr nur nicht als Hilfe, sondern er "fällt Dir auch noch zur Last". Das ist für ihn sicher sehr schwer.
Ich wünsche Euch alles Gute in Bezug auf den Krankheits- / Heilungsverlauf und auf Euer gemeinsames Partner- und Familienleben!
KaSy