Moin Moin Zusammen!
Nachdem ich fast drei Jahre hier still und teilweise sehr betroffen mitgelesen habe, möchte ich jetzt meine Geschichte erzählen.
Meine Frau und ich lebten ruhig und beschaulich an der Ostsee vor uns hin, bis ich im Laufe des späten Dezembers immer wieder mit dem rechten Fuß beim Treppensteigen gegen die Stufen stieß. Da denkt man sich ja nichts dabei, aber es wurde immer schlimmer und ich konnte den Fuß nicht mehr im Gelenk heben. Auch beim Autofahren musste ich das ganze Bein vom Gaspedal zurückziehen. Daraufhin suchte ich verschiedene Ärzte auf. Mein Hausarzt vermutete eine Peronaeusläsion, der Orthopäde machte sich auf die Suche nach einem Bandscheibenschaden, Der Neurologe führte eine sehr unangenehme Nervenleitfähigkeitsuntersuchung durch und schickte mich anschließend zu einem MRT des Schädels in die Uniklinik in Kiel (UK-SH).
Und da war “ER“. Ein golfballgroßer Tumor mit Nekrosebereichen (eingestuft als Glioblastom 4.Grad), links oben zentral an der Mittellinie ohne Überschreitung. Das Mistvieh wurde am 10.02.2009 gefunden, nach der Befunderöffnung setzte der Leiter der Neurochirurgie, Professor Mehdorn den OP-Termin für Donnerstag den 20.02. an und wollte mich sofort stationär aufnehmen (um mich mental “runterzubringen“). Da ich aber außer dem “hängenden Fuß“ keine Einschränkungen hatte und ich nicht sehr geschockt war, erschien mir die Möglichkeit mich im Internet zu informieren interessanter. Also vereinbarten wir die Aufnahme für den 18.02. um die Voruntersuchungen durchzuführen. Dort wurde ich dann nochmals ins MRT geschoben, die Neuropsychologin machte ihre Voruntersuchungen Blut wurde abgenommen und untersucht, Alle beteiligten Ärzte und Professoren kamen und ließen sich Entlastungserklärungen und Operationsgenehmigungen unterschreiben(jeder in seinem eigenen Büro, was zur Folge hatte dass ich mit meiner Frau durch das ganze Klinikzentrum gefahren wurde). Gegen 17:30 kam Professor Mehdorn zur Visite und eröffnete mir, dass ich erst am 23.02. operiert werden könne, wegen eines Notfalls und seiner Weiterbildung am Freitag und Samstag. Daraufhin fragte ich ihn wann ich denn für die OP da sein müsste, da meine Frau und ich am 18.02 unseren 4.Hochzeitstag hatten und wir einigten uns auf Sonntagnachmittag. Am 22.02. stand ich dann wieder in der UK-SH auf der Matte, wurde im CT mit einigen Markierpins beklebt und konnte dann eine ruhige Nacht verbringen. Leider gab es weder Abendbrot (nur etwas Tee) noch Frühstück, nur einen Becher mit ALA-5 (5-Aminolävulinsäure)der die Tumorstrukturen so schön leuchten lässt.
Dann verzögerte sich die für 08:00 am 23.02. angesetzte OP noch auf 10:45 und dann ging es endlich los. Die Anästhesisten legten Zugänge, Reguläre an beiden Armen und für Notfälle auf dem Oberfuß und am Hals mit einem Katheder bis in Herznähe um auf alles vorbereitet zu sein. Das Setzen des Zugangs im Fuß war überhaupt das Schmerzhafteste an der ganze OP, da der Anästhesist die Vene verfehlte, 3-Mal nachgestochen hat und doch keinen Zugang fand und das auf dem dünnen Oberfußgewebe. Weiter ging es dann mit der örtlichen Betäubung aller aufsteigenden Nerven an der Schädelbasis, dem Rasieren des OP-Bereichs und nach einer Wartezeit mit dem Einspannen in das OP-Gestell um den Kopf eindeutig ruhigzustellen (10mm lange Messingspitzen werden in den Schädelknochen gedreht). Abdecktücher werden aufgespannt, die Neuropsychologin und eine Assistentin kamen und hielten meine Hände. Dann ging es los! Ein kratzendes Geräusch gefolgt von einem Reißen und schon war die Kopfhaut aus dem Weg geklappt. Die folgende Prozedur war mental das Unangenehmste der gesamte OP, das Aufsägen des Schädels. Jeder der schon einmal 3mm Sperrholz mit einer Stichsäge gesägt hat und das Holz nicht richtig auf dem Tisch festgeklemmt hat kennt das Geräusch. Die anschließenden Stunden vergingen mit dem Stimulieren von Gehirnbereichen, der Kontrolle durch Grimassen, Bewegungen von Händen und Füssen, Rechenaufgaben und Reden ob die stimulierten Bereiche “noch gebraucht“ werden und dem folgenden Herausschneiden der Bereiche. Nach knapp 5 Stunden vermeldete Professor Mehdorn dass der Tumor vollständig entfernt sei. Alle weiteren Doktoren bestätigten diese Aussage. Dann erfolgte das Wiedereinsetzen der Schädelplatte mit 2 Kunststoffnieten zur Fixierung sowie die Naht der Kopfhaut. Um 16:30 war ich auf der Intensivstation wo mich meine Frau sehr erleichtert begrüßte. Ich hatte allerdings erstmal Hunger und Durst. Der Pfleger bot mir dann eine vegetarische Lasagne an, die er mir vom Mittag aufgehoben hatte, doch mir war eindeutig mehr nach Wurstbrot.
An nächsten Tag konnte ich auf die Normalstation, und auch gleich aufstehen. Der Fuß funktionierte wieder deutlich besser, nur das “sprottelnde“ Geräusch des Hirnwassers beim Hinsetzen (Druckverteilung durch die Schädeldecke unter die Kopfhaut) war etwas gewöhnungsbedürftig. Bei der Visite sagte Professor Mehdorn zu meiner bei mir sitzenden Frau, dass wir ja wohl Glück gehabt hätten, da ich schon tot wäre, wenn der Tumor an einer anderen Stelle gesessen hätte. Unglaublich motivierend, aber wahr. Krankengymnastik (Laufen auf dem Flur und Treppensteigen) folgten die nächsten Tage, ebenso wie ein Besuch der Neuropsychologin, die meinen mentalen Zustand untersuchen wollte. Sie drehte allerdings quasi auf der Türschwelle wieder um, als sie mich auf dem Bett sitzend Sudoku rätseln sah.
Am 28.02.2009 konnte ich das Uni-Klinikum Kiel wieder verlassen.
Weitere Untersuchungen in Kiel und an der UK Bonn bestätigten histologisch den Befund Glio4. Beim Ziehen der Fäden nach einer Woche musste noch etwas Hirnwasser unter der Kopfhaut abgesaugt werden. Sonst verheilte alles prima. Bei einer fälligen Nachuntersuchung Mitte März fragte ich nach dem Autofahren. Professor Mehdorn meinte, wenn es eine erhebliche Einschränkung meiner Lebensqualität bedeute, sollte ich wieder fahren, da keinerlei Neigung zu epileptischen Anfällen bestünde. Da mir die Statistiken bezüglich der Lebenserwartung bei Glio4 bekannt sind, wollte ich das Leben doch noch so gut wie möglich genießen. Daraufhin fuhren wir Ende März 2009 für eine Woche Erholung in den bayrischen Wald. Einfach Toll. Leben!
Vom 03.04. bis zum 14.05. wurde ich Stereotaktisch bestrahlt mit 60 Gray um eventuell verbliebene Tumorreste im Operationsbereich zu verbrutzeln. Während der Zeit verlor ich etwa 80 Prozent meiner wieder schön nachgewachsenen Haare. Zum Großteil sind sie wieder da, nur im Überschneidungsbereich der Bestrahlung sind sie endgültig hin. Haarwurzeln vertragen etwa 20 Gray aber eben keine 60 Gray. Nun ist da halt eine Lücke.
Zur Bestrahlung holte mich morgens immer ein Taxi ab, fuhr mich 30 km zur Radiologischen Klinik im UK-SH, wartete dort und fuhr mich wieder nach hause. Die Taxifahrten kosteten mehr als die gesamte Bestrahlung. Nach der Bestrahlung stieg ich dann in mein Auto und fuhr zu meinem Hausarzt. Da ist richtig Logik dahinter, aber die Klinik verlangte es so.
Während der Bestrahlungszeit hatte ich keinerlei Einschränkungen und konnte schon wieder mit meinen geliebten Birkenstocks laufen (die hab ich sonst immer wieder verloren beim gehen).
Bei dem Kontroll-MRT Ende Juni, 6 Wochen nach der Bestrahlung zeigte sich eine heftige Strahlennekrose im Narbenbereich.
Ab dem 03.08.2009 folgten 6 Zyklen mit 450mg Temodal 5/23 und Zofran gegen die Übelkeit (Auch eine Erfahrung, wenn man in die Apotheke kommt und gefragt wird ob man Geld dabei hat, genug Geld, ca.6000,- Euro für 5 Tabletten und das 6.mal). Die Temodal sollen täglich zur gleichen Zeit auf nüchternen Magen genommen werden. In Absprache mit meinem Onkologen Dr.Bolouri in Kiel aß ich ab 18:00 Uhr nichts mehr, nahm um 21:00 die Zofran ein, um 22:00 die Temodal und verschlief anschließend fast alle Nebenwirkungen. Die letzte Einnahme hatte ich dann am 25.12.2009. Die einzigen Nebenwirkungen waren Müdigkeit sowie Phantomschmerzen für jeweils etwa 10 Minuten in Armen und Beinen.
Bei den fälligen Zwischenuntersuchungen bemerkte Professor Mehdorn im Juli dass ich meine “Murmel“ etwas trainieren solle, da ich ja nun seit dem 10.02 2009 krankgeschrieben sei. Also nutzten wir die Nähe zur Ostsee und machten Mitte September den Sportbootführerschein See. Ich bin mir zwar nicht sicher ob er das gemeint hatte, aber es macht einen Riesenspaß.
Nach dem Abklingen der Müdigkeit, einem weiteren Kontroll-MRT mit dem Verdacht auf ein Rezidiv, was sich zum Glück nicht bestätigt hat, gehe ich seit dem 01.03.2010 wieder Vollzeit arbeiten ohne Inanspruchnahme von Eingliederungsmaßnahmen. Ich fahre wieder auf U-Booten, Korvetten und anderen Schiffen und Booten der Marine als Abnahmebeamter mit.
Nun sind 3 Jahre nach der OP vergangen, der MRT-Abstand ist bei 6 Monaten und das letzte MRT von gestern zeigt keine Veränderung zu den vorhergehenden 4 Aufnahmen, daher dachte ich mir, meine Geschichte mal zusammenzuschreiben.
Schöne Grüße von der stürmischen Ostsee
Martin