Liebe haijaa,
ich habe drei Kinder und war mit ihnen seit meinem 36. Lebensjahr allein. (Er ging zu einer anderen.) 1,5 Jahre danach kam die HT-Diagnose.
Ich konnte es (fast) niemandem sagen.
Ja, meinem Schulleiter habe ich es (unter Tränen) erzählt.
Meinen Eltern und meinem Bruder.
Sonst niemandem.
Ich hatte einfach nur Angst. So große Angst, dass ich daran dachte, meinem Leben ein Ende zu setzen. Was wäre, wenn ich meine Kinder nicht mehr erkennen würde, wenn ich ein Pflegefall würde, ...
Meine Kinder schienen mir zu jung dafür, etwas von dieser Krankheit zu erfahren, sie waren im Alter von 10, 12 und 14 Jahren.
Ich arbeitete die 2 Monate bis zur OP weiter, ich wäre sonst durchgedreht.
Meine Kinder durften mit erleben, wie ich wieder voll da war, wie ich mir Zeit für sie nahm, wieder arbeiten ging. Auch fast fünf Jahre später, als das WHO III-Rezidiv operiert und bestrahlt worden war.
Da begann es bei mir wohl auch mit dem Ausrasten, mit der Aggressivität, denen die mir Lieben, vor allem meine Kinder ausgesetzt waren. Bemerkte ich es, versuchte ich es abzubrechen, weil ich mich entsetzlich schämte und lief davon. Ich verstand mich nicht. Wie sollten die Kinder es verstehen? Ich kam überhaupt nicht auf die Idee, ihnen erklären zu wollen, warum ich so bin. Ich wusste es ja gar nicht. Irgendwie ... war nicht ich das, sondern ETWAS machte das mit mir. Ich kam nicht auf die Idee, es verstehen zu wollen.
In dieser Zeit öffnete ein Fitnesstudio und ich ging häufig zum Sport, weil ich abnehmen und fit werden wollte. Nur wenige Wochen danach sagte mein Mittelkind, wie positiv ich mich verändert habe, seit ich zum Sport gehe. Ich fand diese Äußerung sehr schön, aber auf den Gedanken, dass der ganze Mist mit dem Hirntumor zusammenhängen könnte, kam ich nicht.
Meine beiden Jungs sind jetzt 30 und 32 Jahre alt, haben Frau und Kind und sind in pädagogischen Berufen tätig. Das Mittelkind ist weiterhin der Psychologe für mich. Meine Tochter ist 28 und lebt seit fast 9 Jahren 600 km weit weg (aus Ausbildungs- und nun Berufsgründen). Die Zeit der Abnabelung so weit von zuhause weg war für sie nicht einfach, ständig suchte sie nach ihrem Lebenssinn, nach Lebenswegen, las lauter solche Literatur. Es war für sie wichtig. Irgendwann war ich soweit und sie auch, dass wir merkten, dass wir miteinander über jene Zeiten sprechen konnten und wollten.
Sie sagte, sie hätte schon Erklärungen gewollt, warum ich so war, aber sie wirft mir nichts vor.
Ich beschrieb ihr im Nachhinein, wie das war und merkte, dass auch ich es kaum verstand. Aber ich versuchte es, ihr meine damalige Situation zu beschreiben. Sie ist reif genug, um diese Toleranz entwickelt zu haben, die man wohl benötigt, um eine Mutter in solchen Situationen trotzdem zu respektieren. Sie und alle drei wussten immer, dass ich sie so sehr lieb habe. Aber warum ich ihnen mit meiner Art so wehtat, verstanden wir alle nicht. Mit den Jungs gab es genügend Zeit dafür, dass sie mich in meinem Leben erlebten, ich an ihrem ferner werdenden Leben teilnahm. Meine Tochter war weg und kam nur noch zu Besuch und die direkten Gespräche in diesen Ausnahmesituationen waren nicht dazu geeignet, über DAMALS zu reden, um irgendein Verständnis für diese früheren Zeiten aufzubringen. Am Telefon haben wir viel geredet, aber ist ist so anders, als wenn man sich direkt in die Augen sehen kann, die Gefühle des Gegenübers empfindet. Mittlerweile sind wir miteinander klar auch über diese Zeiten und ich war unendlich glücklich, als ich vor kurzem eine Woche bei ihr war und es zu jeder Zeit dort einfach nur schön war.
Ich war einerseits viel mit mir beschäftigt, wegen der Krankheiten, andererseits wollte ich sie nicht als meine Krankheiten ansehen. Und andererseits war ich damit beschäftigt, meinen Kindern Zeit zu geben, ihr Leben in ihrem Sinne mitzugestalten, ihnen Möglichkeiten zu geben, ohne sie zu bevormunden, ihnen Vater und Mutter zu sein. Immer in der Angst, etwas falsch zu machen. Dass ich tatsächlich etwas (vielleicht) nicht richtig gemacht habe, weil ich mit ihnen nicht über diese Situationen geredet habe, habe ich erst viel viel später kapiert. Dass ich stolz darauf sein kann, dass ich die Drei zu vernünftigen Menschen erzogen habe, musste mir lange eingeredet werden.
Ich bin nun stolz darauf, dass ich sie habe, dass wir füreinander da sind, dass ich die Kinder nicht verloren habe, als sie ihre Partner fanden, sondern ihre Familien dazugewonnen habe. Der Hirntumor (und die Augenproblematik) stehen nicht zwischen uns, sondern das gehört einfach dazu.
KaSy