... das linke Auge ... hätte es nicht das rechte sein können, das seit dem Augenunfall im Jahr 1980 so sehr lange gerettet und am wenigstens 80%-Sehen erhalten wurde und 30 Jahre später (Was, so alt bin ich schon, dass ich "30 Jahre später" sagen kann.) das Sehen nahezu aufgab. Irgendwo zwischen 5 und 20 % sind es noch, was egal ist, den für 3D-Filme reicht es sowieso nicht.
Aber Autofahren geht. Und ich fahre wieder so gern, weil es wieder besser geht. Ich habe sowohl nach der Augenkatastrophe 2010 (vergebliche Verbesserungsversuche folgten) als auch der Hirntumor-OP und Bestrahlung sehr lange gebraucht, um erstmal "um den Block", dann 10-15 km zu den Ärzten, dann auch 50 km zum KH zu fahren. Fuhr zu den Jungs-Familien nach Berlin rein (Berliner Stadtverkehr oho!), jeweils eine Dreiviertelstunde (ohne Parkplatzsuche). War froh, dass die Fernbuslinien erfunden wurden, um entspannter zu "reisen", zu den Hirntumortagen nach Würzburg, nach München zu meiner Tochter. Die 200 km in meine Lieblingsurlaubsgegend waren anstrengend, die Fahrten dort durch die engen Straßen der wundervollsten Gegend der Welt, der Sächsischen Schweiz, waren aufregend - aber auch Training. Ich fuhr mit dem Auto zu den Hirntumortagen nach Frankfurt (im für mich fernen Westen an den Main), nach Köln und nach Düsseldorf, weil ich dort gut eine Woche blieb, um Urlaub in den mir noch unbekannten Städten und der Gegend drumherum zu machen. (Deutschland ist schön! Wirklich!) Und ich war stolz und glücklich, dass das wieder ging.
Und in den letzten Monaten - spontan in unsere Partnerstadt in Polen, 125 km, dort rumgekurvt, zurück an der wunderbaren Oder entlang, Spargelessen am frühen warmen Sommerabend am Ufer der Oder mit Blick auf unser weites, schönes Nachbarland. Am Welthirntumortag am 8. Juni nach Dresden 200 km und nach den Vorträge wieder zurück. Das ging! Und sogar noch vor kurzem. Leipzig. Zur Mitgliederversammlung der Dt. HT-Hilfe, die so wunderbare Arbeit leistet, mit deren Forum ich aber nicht so gut klar komme. Und auch das ging vom Autofahren her, sogar nach zwei Stunden "Kleine Jungs-Hüten" am Vormittag. Danach wollte es der Zufall, dass ich auf dem Weg zu meinem Auto eine Kirche sehe, denke, schaust sie Dir mal an, da sind lauter Leute, na ja, hüpfst mal kurz rein, bevor da irgendetwas Ernstes beginnt ... und dann ist das "Ernste" ein Konzert von fünf ehemaligen, etwa 20-jährigen Thomanern, die ein sehr abwechslungsreiches Programm bieten. Diese Stimmen! Das war so schön! Nachdenklich, lustig, besinnlich, groß auch. Und ich hatte zuvor im Internet geschaut, weil doch an den Sonnabenden die Thomaner immer vormittags Motetten in der Thomaskirche zu Gehör bringen. Aber in Sachsen sind schon Sommerferien. Und nun habe ich dieses unverhoffte Glück! Hochstimmung. Danach will ich nach Hause. Hin nach Leipzig bin ich moderate 120 km/h gefahren. Zurück durfte es etwas mehr sein ... Und auch das funktionierte! Ein Tag vor meinem 21. Geburtstag ...
... hätte es nicht das rechte Auge sein können?
"Sie sehen es doch auch. Da ist etwas,und das ist größer geworden. ... Aber warten wir den Befund noch ab. Und dann gehen Sie ja am 22. Juli zum NC und der kann dann die Bilder nebeneinander legen und direkt vergleichen. Lassen Sie die mal einlesen, in der Radiologie, dort muss man das machen."
"Ja, mache ich. Könnte es nicht vielleicht am anderen Kontrastmittel in der anderen Radiologie liegen?", frage ich mit mir natürlich bewusster falscher Hoffnung, aber ich frage einfach trotzdem."
"Ich würde Ihnen so gen sagen, dass es am anderen Kontrastmittel liegt. Es tut mir so Leid. Aber Sie sehen es doch auch", sagt sie traurig ": Da ist etwas, was man nicht wegdiskutieren kann.
"Ja", sage ich, "und es hat keinen Grund, kleiner zu werden." Realitätseinsicht objektiv. Subjektiv ist das alles noch ein Bild mit einem größer gewordenen weiße Fleck irgendeines Betroffenen. Oder meines "Zweiten Ichs".
Mein "Zweites Ich", damit bin ich durch dieses Leben gekommen, das ich so nicht wollte und das ich doch gelebt habe, weil ich es leben musste und weil ich es - verdammt noch mal - WEIL ICH ES KANN ! Das eine ICH lebt, das andere ist die Kranke. Verdrängung auf ein zweites ICH ist das. Irgendwelche Psychobelehrer würden sagen, dass Verdrängen nicht die optimale und gesunde Methode sei. Aber die leben ja nicht seit zwei Jahren vor der Erstdiagnose plötzlich allein mit drei Kindern und denen wird nicht andauernd eine Hirntumordiagnose und im Wechsel noch Augenoperationen mitgeteilt und durchgeführt. Bis ich 37 Jahre alt war, hatte ich eine Mandel-OP als kleines Kind. Und danach wechselten sich diese blöden OPs ab. Immer der Kopf, ob Tumor oder Augen. Klar macht die Psyche schlapp. Und klar, aber so sehr schrecklich, schlimm, böse, dass Ausraster die besten Menschen der Welt trafen. Die es mir verziehen. Mama ist krank, deswegen ist sie so.
"Wenn Dr. NC sagt, dass er es entfernen kann, dann lassen Sie es machen."
"Ja, klar, ich bin ohnehin nicht der Wait-and-see-Typ und das verbietet sich hier ja sowieso."
"Und wenn Sie am Freitag bei ihm waren, kommen Sie noch mal zu mir, ja?"
"Ja, klar, mache ich."
"Kann ich Sie so nach Hause lassen?"
Und in meinem Kopf taucht die enorme Anerkennung für die Strahlenärztin wegen dieser Frage auf. Es gibt Ärzte, und das auch bei meinen Leuten, die einem eine Tumordiagnose so locker mitteilen, ohne sich der Tragweite für den Patienten bewusst zu sein. In der Luft zerreißen sollte man solche "ehrlichen" Ärzte, die ihre Patienten viel zu wenig kennen, um das einfach so, ohne gründliche Aufklärung und Therapieoptionen und Bedeutung der Risiken, sagen und die evtl. folgenden Reaktionen riskieren zu können. Und meine Strahlenärztin kennt mich seit mehr als 10 Jahren und ist besorgt. Die Liebe. Die Gute.
"Ja, können sie. Das geht schon."
Irgendwas redet sie noch, ich weiß nicht mehr, auf einmal ist der Kopf voll und der Garten ist raus und die Bücher sind raus und die schnelle Rückfahrt auf der Autobahn ist raus und dadrin ist Watte und ein weißer Fleck auf einem MRT-Bild.
"Ich will doch meine Enkel weiter aufwachsen sehen, und vielleicht bekommt meine Tochter noch ein zweites ...", sage ich später beim Abschied.
Und gehe zum nahen See, die dunklen Wellen mögen die Diagnose auch nicht, der Himmel beginnt zu weinen und schickt mich fort. Ich gehe einkaufen, Paprika und Cornflakes und Joghurt, Erdbeeren. Da sehe ich ein Sonderangebot: Dr. Oetker-Milchreis-Tüten im Dreierpack mit je einem kleinen Teddy in Plastefolie eingeschweißt. Ich kaufe nie Dr. Oetker, ist viel zu teuer. Drei Kinder allein großziehen, da lernt man sparen. Ab 2011 nur noch die Hälfte Geld. Aber der Teddy darin! Drei Sorten gibt es von den dunkelbraunen Bärchen mit den großen Kulleraugen und den zappelnden Beinchen, einer hat einen gelben Stern, einer ein rotes Herz und einer ein grünes, vierblättriges Kleeblatt. Der mit dem Glücksklee, der muss mit. (Grins)
Als die erste Diagnose war, hatte der Große Jugendweihe, die Kleine war eines der Blumenmädchen und die bekamen alle einen süßen Teddy geschenkt, mit Gesichtchen auf den vier Tatzen. Den hat sie mir mitgegeben. Damals vor 21 Jahren.
(Fortsetzung folgt ... )