Liebe Gleichleidende
Ich, 30 Jahre alt, stille Leserin seit März 2007, muss nun endlich meine Geschichte niederschreiben..es hilft, sagt man....
Meine Mutter, mein Vorbild, meine allerliebste vertraute Freundin...die ich begleite, bis dorthin, wo ich momentan nicht weiter gehen kann....der steinigste Weg, meines bisherigen Lebens.
November 2006
Akute Hirnblutung, aus dem Nichts, sie ist erst 55 Jahre alt. Eine Welt bricht zusammen, binnen Sekunden. Ein schrecklicher Anruf meines Stiefvaters. Sie hatte erst vor 2 Wochen geheiratet. Wie in Trance organisiere ich, wer meine Kinder (7 und 5 J) abholt von der Kita, wie in Trance ziehe ich meine Schuhe an um zu ihr zu fahren, Notaufnahme. Während der Autofahrt will ich reden..mit wem? Meiner Mam, die ich immer anrufe, wenn ich Sorgen habe. geht ja nicht, sie ist ja nicht ansprechbar. Gut, rufe meinen Vater an, er versucht mich zu beruhigen. Klappt eh nicht. Dort angekommen, ein Bild, das ich keinem Wünsche. Mama, nicht ganz bei bewusstsein, sie hat Schmerzen, Kopfschmerzen. Niemand weiss was los ist. Lähmungserscheinungen Links, Brechreiz, Verwirrtheit.
Sofort CT, riesiges Hämatom, akute Hirnblutung...es tut einfach nur weh, dazustehen, gesund, und nicht helfen zu können.
5h OP, fünf Stunden um 4 Uhr Morgens auf einem beschissenen Plastikstuhl, mit dem Wissen dass meiner Mam der Schädel geöffnet wird...bangen, schafft sie es? Überlebt sie es? Mit welchen Folgeschäden? Ich bin vorbereitet auf das Worst Case Scenario....
OP überlebt, ich komme in die Intensiv, mit meinem Stiefvater, mein Bruder kann nicht, ist zu emotional, er sagt ich solle zu ihr. Ich sehe sie, all die Schläuche, Geräte...ich streichle ihre Schulter. Sie stöhnt, versucht den Intubationsschlauch herauszuziehen. Es tut ihr weh, ich sehe eine Träne ihre Wange herablaufen. Der Schmerz zerreisst mich. Ich stehe da, streichle sie....
Mein Bruder kommt herein, kippt fast um, bittet mich um verzeihung, er könne nicht...ich bleibe.
Sie erholt sich wunderbar, 2 Tage nach der OP's macht sie Scherze, will aber undbedingt nach Hause. es zerfrisst sie weshalb sie diese Blutung hatte. Sie sucht Sündenböcke überall..schon da denke ich, im Nachhinein wusste sie es. Die !arzte haben keine Erklärung.
Reha in der Neurologischen. Sie hat einen leichten Neglect linksseitig...bleibt 3 Wochen dort. Ich merke, dass sie sich verändert hat. Sie ist ungeduldig, fast aggressive den Pflegenden gegenüber.
Januar 2007
Endlich ist sie zu Hause. Alles scheint Bestens...doch die Frage nach dem "Warum" beschäftigt sie.
Februar 2007
Starke Wesensveränderung, die ganze Familie denkt sie hat eine Depression. Sie kann nicht mehr arbeiten (Apothekerin) und ist zunehmends verwirrt. In meiner Wohnung findet sie die Toilette nicht, sie hat Tremor, bewegt sich sehr zaghaft. 3 Tage bevor wir sie in eine psychiatrische Klinik bringen wollen ist ihr schlecht. Kopfschmerzen, Überlkeit.
März 2007
Aufgrund der Sypmtome bringen wir sie ins Spital...CT.....etwas eigenartiges ist zu sehen. Die Ärtze sind vorsichtig mit der Diagnose, reden über einen Abszess von der vorgänigen Operation. Notoperation. Wieder bangen, hoffen, beten.....OP gut überstanden. Sie bekommt massiv Antibiotika, da ja von einem Infekt ausgegeangen wird. Die Histologie ist erst in 3 Tagen auskunftsbereit. 3 Tage warten, Temesta ohne ende. Mama spürt es, ich versuche ihr Zuversicht zu geben..nein, sicher kein Tumor, nur eine eitrige Entzündung..doch sie spürte es schon.
Der Histologiebefund was zerschmetternd....der Prof bezeichnet es als Geschwulst. Ich denke noch, Gott sei Dank, nur ein Geschwulst. Ich hatte ja keine Ahnung was das hiess, es dauerte aber nicht lange das ich eines besseren belehrt wurde. Kein Arzt traut sich einer Progonose..das einzige was ich höhre ist "schlecht"...sehr schlecht....Glioblastom, multiforme.
Die nächsten Tage ist sie vollgepumpt mit Behruigungsmittel..sie sagt mir, das gebe man nur den Sterbenden. Ich versuche keine negativen oder traurigen Emotionen zu zeigen...belüge sie, flehe sie um Hoffnung in einem Kampf, denn sie eh nicht gewinnen kann. Ich fühle mich wie ein Verräter. Bis heute weiss ich nicht ob sie weiss wie es um sie steht. Die Psyche ist ein grossartiger Künstler im Verdrängen....
April 2007
30x 2 gray...ich bin immer dabei, halte ihre Hand bis zu dem Moment wo ihr Kopf mit den Strahlen beschossen wird. Spreche mit ihr über die Gegensprechanlage..jedesmal...weil sie so Angst hat. Der Schmerz, sie zu beobachten (2 Videokameras sind dort installliert) ist unermesslich. Diese perverse Krankheit Krebs, mit der ich von heute auf morgen konfrontiert wurde, ist die absolut negativste Bewusstseinserweiterung die vorstellbar ist. All diese Menschen im Warteraum der Radiologie, deformiert, leidend, angsterfüllt.....
Eigentlich wollte ich meinen Vater besuchen diesen Monat. er wohnt in Hamburg (ich in der Schweiz). Wollte ihn besuchen, weil ich weiss dass es ihm nicht so gut geht...er hat Herzprobleme (56, Diabetiker). Ich verschiebe die Reise, denke wenn meine Mam wieder fit ist gehe ich.
Ich telefoniere mit ihm, sage ihm, dass ich ihn noch brauche, weil ich weiss was auf mich/uns zu kommt mit meiner Mam. 5 Tage später ist er tot...gestorben, Herzinfarkt. 4h bevor ich zu ihm fahren wollte.. Ich und mein Bruder waren noch bei meiner Mam, um uns zu verabschieden. Wir wussten dass unser Dad im Spital war..wir wollten doch noch auf Wiedersehen sagen, ich wollte ihm noch sagen, dass ich ihn überalles liebe..dass seine Enkelkinder ihn lieben....
Mai 2007
Mein Stiefvater ruft an, seit November hasse ich es, wenn er mich anruft. Na klar, es ist, was ich erwartet hatte...Mama wieder im Notfall. Diesmal eplieptischer Anfall...wieder Spital, wieder diese Hilflosigkeit die mir ein Vernichtungsgefühl gibt, das die geschriebene Sprache nicht wiedergeben kann. Prophylaktisch bekommt sie Keppra...
Juni 2007
Alles läuft einigermassen "Normal". Sie bekommt Temodal....verträgt es die ersten 3 Tage gut, dann wird es schlimm, mit dem Brechreiz. Sie schläft unheimlich viel....wir freuen uns auf die einwöchige Chemopause..damit sie sich erholen kann.
6.07.2007
Ich bin im Büro, Alleinerziehende Berufstätige Mutter, bekomme wieder einen Anruf, meines Stiefvaters...schlecht Nachrichten. Mama ist wieder im Notfall. Massives Hirnödem, verursacht wohl durch das auschleichen des Cortisons. Ich kann und will nicht mehr, muss aber, denn ich bin ja gesund, meine Mam nicht. Ich komme ins Spital, sie realisiert gar nicht das ich da bin...nimmt mich nicht richtig wahr. Hat Kopfschmerzen und muss ständig erbrechen. Endlich geben ihr die Ärzte intravenös Cortison...2h später ist sie wieder einigermassen ansprechbar, macht kleine Witze. Keine Ahnung, ob sie Montag nach Hause kann.
Jeder, der jemanden verloren hat, daran ist jemanden zu verlieren, oder selbst von diesem Schicksal betroffen ist möchte ich hiermit meinen tiesten Respekt ausdrücken. Ich bin überfordert zu aktzeptieren, ich bin überfordert damit umzugehen..und ich glaube das ist auch in Ordnung so. Gesundheit ist das absolut selbstverständlichste Unselbstverständliche. Alle Probleme des Alltags sind lächerlich im vergleich mit dem Kampf, den ein Mensch zu führen hat, der unheilbar krank ist.
Wie jemandem, den man überalles liebt Hoffnung geben, wenn man sie selber nicht hat. Auf was hofft man genau?? Meine Grosseltern haben den steinigsten Weg zu gehen, ich selbst könnte es nicht ertragen meine Kinder gehen zu lassen, doch sie begeliten sie auf diesem Weg mit Bravour, ich ziehe meinen Hut. Ich danke Gott für den Bruder den ich habe, denn nur er, fühlt wie ich. Meine Freunde, die mehr geben als ich ihnen zurück geben kann, sie werden meine Famile sein....
Ich möchte aufgeben, doch darf ich nicht. Ich möchte meinen Schmerz heraus heulen, doch es nützt nichts. Ich hadere mit Gott, mit dem Glauben an Schicksal, an Fairness....alles unnütze Gedanken.
Doch ich bin dankbar, dass ich so eine Mutter habe..sie ist eine Löwin...kämpft. Sie kämpft nicht für sich, sie kämpft für uns, damit es leichter ist, unseren Schmerz hinzunehmen. Ich liebe Sie, und es tut einfach nur weh....