Und jetzt, nach den ganzen stressigen, turbulenten Monaten seit Anfang Februar fange ich auch an, über mich selber nachzudenken. Wie geht das weiter? Wie sind andere damit fertig geworden? Wie war das, aus einem leeren Haus wieder ein zu Hause zu machen, wie ist das wohl, das erstemal ohne schlechtes Gewissen und Trauer zu lachen? Wie ist das, nach über zwei Jahren, wo alles irgendwie die Überschrift "Hirntumor" hatte, plötzlich ohne Damoklesschwert über dem Kopf zu leben, und das auch noch alleine?
Fragen über Fragen, die sich hier wahrscheinlich jeder Angehörige mal so oder so oder so gestellt hat.
Wo finde ich wohl Antworten?
DEINE Antworten werden alleine kommen. Wie und was geschieht, kann dir keiner so genau sagen.
Ich werde dir mal MEINE Antworten aus derzeitiger Sicht und aus Sicht einer Tochter geben.
Meine Mutter wohnt nach wie vor in der Wohnung, in der sie 25 Jahre lang mit meinem Vater lebte. Ich finde es auch heute noch oft merkwürdig, da ein und auszugehen als wäre nie etwas gewesen. Dennoch fühle ich mich dort wohl. Immerhin habe auch ich dort einen großteil meines Lebens verbracht.
Immer noch hat sie viele Dinge, die meinem Vater gehören. Und jedes Stück, was weggeworfen, weggegeben oder zerstört wird fühlt sich an, als würden wir ein Stück von ihm wegräumen. Was natürlich nicht stimmt. Aktuell rafft sie die Krankenakten zusammen, steckt sie nach und nach in einen Karton und verwahrt sie erst einmal im Keller.
Lachen... ja... ich dachte auch, ich kann das nicht wieder. aber das stimmt nicht.
Irgendwie habe ich zwei "Realitäten". Die eine ist "mein Vater ist gestorben, den ich respektiert, und geliebt habe... und der schmerzlich fehlt" und die andre ist "ich habe eine eigene kleine Familie. Und allen andren, die mir wichtig sind, geht es aktuell (toi toi toi) gut".
Meine kleine Tochter hilft mir wahnsinnig über die Trauer hinweg. Sie ist eine kleine Quatschnase. Parallel ist aber auch die Angst größer, dass mal etwas mit ihr sein könnte. Damit will ich sie nicht erdrücken, und das schieb ich bei seite. Wie alles andre auch den ganzen Tag.
Mein Papa ist immer bei mir. Er ist bei mir, wenn ich in der Firma sitze. Er ist bei mir, wenn ich Auto fahre, wenn ich abends einschlafe, wenn wir Feierlichkeiten haben... etc. Eigentlich immer.
Schlimm sind für mich die Zukünfte, die nicht mehr passieren werden. Als mein Vater erkrankte, war meine Tochter gerade neun Monate alt. Er hat sich sehr Enkelkinder gewünscht. Es tut mir weh, wenn ich sehe, wie sie sich entwickelt und ich WEIß, wie sehr er das genossen hätte. Aber man lacht wieder. Wenn man sich nicht eingräbt und es auch zulässt. Und es trägt einem keiner auf, das nicht zu tun.
Im Nachhinein bin ich immer wieder auch froh, dass wir gar nicht in die Lage kamen, dass erst mal wieder alles einigermaßen wurde. Ab einer gewissen Einschränkung wäre es nicht mehr schön gewesen. Außerdem hatte ich immer Angst vor der Angst, die man vor jedem MRT hätte etc. Ich habe mal geträumt, dass wir das Glioblastom erfolgreich eingedämmt hätten (da war mein Vater schon gestorben, aber er war natürlich im Traum dabei). Ich hab mich unbändig gefreut... und gleichzeitig hatte ich Angst, erneut vor der Diagnose stehen zu müssen. Erneut mit diesem Hammer klar kommen zu müssen. Ich weiß grad nicht, wie ich das recht ausdrücken soll... aber ich denke, ihr versteht, was ich sagen möchte.
Uns hat die Krankheit "nur" ein halbes Jahr beschäftigt. Allerdings ist alles in wirklich schnellen Schritten passiert. Und so hatte uns nach wenigen Wochen die Krankheit völlig im Griff.
Inkontinenz, Temodalgabe, Dekubitusferse versorgen, Termine in der Klinik... Vollpflegefall weil halbseitige Lähmung... Man hat sich dem Trott so hingegeben und funktioniert.
Als Papa dann eingeschlafen war, hab ich als erstes erst einmal Erleichterung gefühlt... bevor die Trauer kam.
Erleichterung für IHN, dass das Leid ein Ende hat... und auch Erleichterung für uns, wo wir doch auch eine kleine Tochter haben.
Meiner Mutter hat von jetzt auf gleich die Aufgabe gefehlt. Der Mann, mit dem sie fast 40 Jahre das Bett geteilt hat, den sie bis in den Tod hinein gepflegt hat, war auf einmal weg. Für sie war es DIESBEZÜGLICH wesentlich schlimmer. Sie hat sich allerdings auch 24 Stunden um ihn gekümmert. Das war noch eine andre Hausnummer.
Meine Mutter ist wahnsinnig an allem gewachsen. Und sie hat sich NIE vergraben. Im Gegenteil. Sie lässt sich viel leichter mitreisen und ist sehr offen geworden. Wenn sie einen Tag für sich möchte, bringt sie das zum Ausdruck und dann ist gut.
Liebe Josel. Es ist ein ganz großer, schwerer Schei*weg den ihr geht. Ich fühle ganz arg mit euch, mit Dir...
Ich wünsche euch wirklich alles Gute. Alles, was ihr euch für die begrenzte Zeit noch wünscht und mehr....
Du wirst deine Antworten finden. Es ist gut, dass man im Leben nicht alles vorher weiß... sonst würde man vergessen zu Leben und sich auf die schlimmen Dinge konzentrieren.
Und genausowenig weiß man, wie die Zukunft aussieht. Du wirst deine Zukunft finden. Das ist gewiss.
Was ich lese sind die Worte einer starken Frau.
Meine herzlichsten Grüße,
Babsy